#1

Ein Herbstlied (Haikus)

in Minimallyrik 06.10.2012 16:15
von wüstenvogel (gelöscht)
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Erschöpfte Bäume
im Stürmen kühler Winde
rauschen die Kronen.

Blassgelbe Farben
über Wiesen und Feldern
sammeln sich Krähen.

Manch' buntes Blatt
auf den trüben Bächen treibt
der Wind die Wellen.

Trauerndes Leben
überall in der Natur
verhallen Töne.

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#2

RE: Ein Herbstlied (Haikus)

in Minimallyrik 07.10.2012 05:04
von mcberry • Administrator | 3.230 Beiträge | 3490 Punkte

Hallo Wüstenvogel,

ich schnappe mir mal eines, das zweite, davon heraus:
"Blassgelbe Farben /über Wiesen und Feldern" könnte sich fortsetzen mit Mückenschwärmen, deren
Flügel in sehr poetischer Weise mattgolden die Abendsonne reflektieren - aus der Ferne betrachtet.
Krähen hingegen sind definitiv viel dunkler.
Der Kurztext erscheint farbbezogen in sich widersprüchlich. Die 17 Silben geben dem Dichter keinen
Raum, daraus etwas zu machen. Als Teil einer Aussage wäre dieser Gegensatz natürlich in Ordnung.

Das letzte Haiku könnte das verhallende Moment stärker betonen: Schwindendes Leben käme aus.
Trauern und leiser werden gehen nicht notwendigerweise miteinander einher; Herbstzeit kennt Fülle.

Am besten lassen wir Chip da mal draufschauen. Die kommt nächste Woche wieder. Ungekürzte Grüße - mcberry

zuletzt bearbeitet 08.11.2012 14:55 | nach oben

#3

RE: Ein Herbstlied (Haikus)

in Minimallyrik 07.10.2012 16:59
von wüstenvogel (gelöscht)
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Hallo mcberry,

Wenn die Wiesen im Herbst ihre Grünfärbung verlieren, die Stoppelfelder gelblich verblassen, dann trifft das die Hertbststimmung ganz gut. Ich habe ja nichts über die bunt leuchtenden Wälder geschrieben.

Die Krähen sind die Vorboten des kommenden Winters, eine leichte Bedrohung schwingt da mit.

Noch sind viele (auch bunte) Herbsttöne da, doch allmählich werden sie leiser und verklingen.

Viele liebe Grüße

wüstenvogel

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#4

RE: Ein Herbstlied (Haikus)

in Minimallyrik 10.10.2012 13:10
von chip | 433 Beiträge | 461 Punkte

Zitat
Erschöpfte Bäume /im Stürmen kühler Winde /rauschen die Kronen.
Blassgelbe Farben /über Wiesen und Feldern /sammeln sich Krähen.
Manch' buntes Blatt /auf den trüben Bächen treibt /der Wind die Wellen.
Trauerndes Leben /überall in der Natur /verhallen Töne.


hallo wüstenvogel, treffsichere beschreibung einer herbststimmung wurde bisher nicht in frage gestellt.

warum einzelne strophen als haiku nicht für sich allein bestehen können, das hat mac oben aufgezeigt.
damit reduziert sich die japanische anmutung der verse auf ihre bloße form.

thematisch beginnt die erschöpfung der natur in den andererseits rauschenden kronen der bäume...
also wenn du meinst. gegensätzliches der natur zu beschreiben haben dichter ja auch allerlei zu tun.

über gelben stoppelfeldern sammeln sich wohlgenährte krähenschwärme. weitere bilder der fülle soweit.
"manch buntes blatt" folgt in keiner weise und schon gar nicht als quintessenz aus dem bisher gesagten.

immerhin bunt drauf auf trüben bächen. wieso sind die im herbst eigentlich trüber? macht aber nix, weil
wir schließlich eine dichterische freiheit in anspruch nehmen und hier in trübem wasser fischen solange wir
belieben. ein überaus dynamischer trüber bach, auf dem der wind die wellen vorantreibt. kenne keinen
solchen, aber egal, du ja vllt. überhaupt könnte die beschreibung eine metaphorische bedeutung haben.

die mir bis jetzt entginge. was in der natur bisher betrauert werden sollte, fand ich auch nicht.
adjektive wie "erschöpft" und "trauernd" kontrastieren mit den landesüblichen herbstansichten.

versuch einer interpretation: stimmt uns ein wissen um deren vergänglichkeit melancholisch, das mit dem
verhallen der töne einsetzt? dann finde dafür einen angemessenen ausdruck.

möchtest du auf eingehende kritische betrachtungen dieser art künftig verzichten, soll es mir auch recht sein.
wir treffen uns hier, um unsere werke zu fördern und loben nur anfänger über den grünen klee. tschüs chip

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#5

RE: Ein Herbstlied (Haikus)

in Minimallyrik 10.10.2012 17:39
von Joame Plebis | 3.690 Beiträge | 3826 Punkte

Guten Tag, Wüstenvogel!

Von Minimallyrik weniger angetan, betrachte ich das Gesamtwerk, das als Herbstgedicht weit über andere seiner Art hinausragt. Betrachtung ist eine subjektive Angelegenheit, bei der nicht allen Lesern entsprochen werden kann, somit auch nicht deren Empfindungsschwelle berücksichtigt werden kann. Es ist ein Herbstgedicht abseits der stets gepriesenen Fülle und der reichlich geernteten vollen Körbe: herbstlich knapp, schön, verständlich und gelungen.

Gruß
Joame

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#6

RE: Ein Herbstlied (Haikus)

in Minimallyrik 10.10.2012 21:33
von wüstenvogel (gelöscht)
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Hallo chip,

vielen Dank für deinen ausführlichen Kommentar.
Ich habe keine Probleme mit kritischen Betrachtungen.

Du hast völlig recht - ich habe versucht, die Haiku-Form spielerisch ein wenig zu "erweitern" - das geht so weit, dass ich zu jeder Jahreszeit ein "Haiku-Gedicht" mit vier Strophen geschrieben habe (außer beim Winter - da sind es fünf), so dass ein längeres "Gedicht" mit 17 "Strophen" entstanden ist - für jede Silbe eine Strophe.

Das "Sommerlied" geht folgendermaßen:

Strahlende Bäume
im warmen Hauch der Winde
summen die Bienen.

Leuchtende Farben
über Wiesen und Feldern
singen die Lerchen.

Plätschernde Bäche
zwischen Blumen und Gräsern
eilen sie dahin.

Fröhliches Leben
überall in der Natur
tanzen die Mücken.

Die Ähnlichkeit mit dem "Herbstlied" ist offensichtlich.

Der Herbst wird hier verstanden als das Bindeglied zwischen Sommer und Winter - von daher wechseln sich "Bilder der Fülle" mit solchen der Trauer, der Erschöpfung ab. Die Lebensfreude des Sommer soll genauso wie
die (kommende) Kälte und Erstarrung des Winters zum Ausdruck kommen.
Wie gut oder schlecht mir das gelungen ist, muss jeder für sich selbst beurteilen - wenn es dich nicht anspricht,
ist das völlig in Ordnung.
Dein Interpretationsansatz trifft es ganz gut - wenn die "Melancholie der Vergänglichkeit" ein wenig gestreift wurde, dann habe ich viel erreicht.

Hallo Joame,

auch dir vielen Dank für deine Bemerkungen.

Es freut mich, dass dir meine kleine "Haiku-Spielerei" gefällt.
Normalerweise mache ich mich in meinen Gedichten nicht so stark von der Form abhängig,
doch hier hat es mich mal gereizt.

Es gibt keine objektive Sichtweise auf Gedichte - jeder empfindet sie auf seine eigene Art und Weise -
da stimme ich dir völlig zu.

Zu gegebener Zeit werde ich das "Winterlied" einstellen.

Für jede Kritik dankbar

verbleibe ich

mit vielen lieben Grüßen an euch beide

wüstenvogel

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#7

RE: Ein Herbstlied (Haikus)

in Minimallyrik 08.11.2012 13:50
von ilmenau (gelöscht)
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Lieber wüstenvogel.

Nicht nur als Spielerei finde ich deine Jahreszeitenlieder stimmungsvoll und anregend, nur den Bezug auf die Form des Haiku würde ich weglassen, das provoziert nur unnötige Formkritik. Immerhin ist die 17-Silben-Regel diejenige, die seit mehr als 100 Jahren immer wieder in Frage gestellt wird, wenn auch aus ganz anderen Gründen als die im Kommentar von mcBerry genannten ("Die 17 Silben geben dem Dichter keinen Raum ..."). Ich empfinde beim Schreiben von Haiku genau das Gegenteil. Gerade die knappe Form ÖFFNET den Raum (im Hirn).

Wenn dich Haiku (obwohl der Duden das Plural-s aus rechtschreibreformatorischen Gründen zulässt, ist es als Übernahme einer japanischen Bezeichnung nicht die beste Wahl, weil es noch mehr in die Irre führt, da japanisch die Differenzierung in Singular/Plural anders handhabt als die deutsche Sprache) wirklich interessiert, empfehle ich dir einen Blick in: http://deutschehaikugesellschaft.de/wp_C...mmergras-91.pdf, Seite 8ff.

Viel Spaß, ilmenau.

zuletzt bearbeitet 08.11.2012 15:42 | nach oben


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