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  • niemand versus keinerDatum06.05.2009 09:01
    Foren-Beitrag von Brotnic2um im Thema niemand versus keiner

    Hallo Schnurzelpurzel,

    mitnichten ist Dein Beitrag überflüssig oder gar schnurz. Ich habe Paules Quelle und Deinen Text lesen müssen, um die Problematik halbwegs zu verstehen.

    Gruß
    Brot



  • Danke, danke an die Leser und Abstimmer und danke Dir GB für Deine Genesungswünsche. Meine Knabberleiste funzt wieder einigermaßen - auf der Felge zu kauen ist allerdings noch ungewohnt , aber es wird.

    Wie ist das jetzt eigentlich mit weiteren Bearbeitungen an dem Text? Die darf ich doch vornehmen, oder? Ich wollte nämlich noch ein, zwei Zeilen wieder in Kursiv setzen - das ist mal bei einer Überarbeitung verlorengegangen - und am letzten Drittel nochmal basteln. Während der Abstimmung habe ich mir das alles verkniffen. Darf ich jetzt wieder?


    Gruß Brot

  • Hi Margot,

    entschuldige, dass ich jetzt erst antworte. Mir ist in den letzten Wochen an jedem Dienstag, die Fresse poliert worden. Morgen, Donnerstag, ist der letzte Termin – Zahnfleischweg-Fräsung die Zweite. Danach habe ich Pause.
    Mit der Unterteilung in drei Teile, beziehe ich mich auf Deine drei Kommentare.
    Immerhin habe ich den zweiten Teil überarbeitet und am Dritten schon ein wenig rumgeschraubt. Im ersten Teil habe ich hoffentlich einen Art Deco Lift eingebaut. Übrigens gibt es z.B. in dem Hochhaus in der Cottbusser Stadtpromenade einen Lift, der außen anzeigt wo er steckt. ;)
    Weiter hoffe ich die Übergänge zu den Friedbert Erlebnissen etwas geschmeidiger hinbekommen zu haben, die Hüte verbessert zu haben und besonders sei gedankt für den Hinweis, das ein Wort alles schmeißen kann – siehe zweite Traumsequenz. Hoffentlich verbessert. Ach ja, die Gretchenfrage ist gestrichen. Völlig unnötig, wie Du richtig geschrieben hast.

    Kurz sei erstmal schon gesagt, dass ich froh bin, dass Du in Deinem Fazit eine Ebene erkannt hast, von der ich dachte, dass sie nicht erkannt werden würde. Eine andere Ebene hoffe ich jetzt stärker, besser herausgearbeitet zu haben. Insgesamt muss es aber für mein Gefühl mehr Zug – oder mehr Emotionalität statt Künstlichkeit – bekommen. Vor allem muss ich noch mal die Absatzstruktur überarbeiten. Also: es wird fortgesetzt und ich werde es weiter überarbeiten. Deine Textarbeit hat mir und dem Text sehr geholfen.

    Gruß Brot

  • Blind DateDatum31.03.2009 12:18
    Foren-Beitrag von Brotnic2um im Thema Blind Date

    Hallo Geratewohl.

    Vorab muss ich zusammenfassen:

    Norbert Stangel und Gisela Blum – Blumenstengel? Zusammen ein Ganzes, alleine nur die Hälfte und nichts Richtiges? – werden von ihren Freunden zu einem Blind Date verkuppelt. Die Geschichte erzählst Du aus Norberts Sicht. Norbert reflektiert sein Junggesellentum, sein Alleinsein, das Beisammensein der Anderen oder wie er sie nennt: der Kuppler.

    Gleich am Anfang wird klar: das Blind Date ist nichts geworden, es muss in einer Katastrophe geendet haben. Wobei Formulierungen Norberts, dass er offenen Auges in eine Katastrophe gegangen sei, sich als Witzfigur gefühlt habe und bevor er Gisela getroffen hat, den Initiator umbringen müsse, nahelegen, dass Norbert nicht erst durch den Ablauf des Blind Dates seine negative Haltung gewonnen hat, sondern von vornherein solchen Dates nichts abgewinnen kann. Er hat nur nicht Nein sagen können.

    Unterbrochen wird diese Handlung oder Norberts Reflexion über die Liebe und Blind Dates, von zwei Telefonaten, die für den Leser blind ablaufen, weil außer den Dialogen nichts beschrieben wird. Wie bei einem Telefongespräch hören wir nur die Stimmen. Das erste Gespräch endet in einer Katastrophe, das zweite, von Gisela initiiert, führt dann zum Treffen Es war also nicht der Freund, wie Norbert stur behauptet, dem er das Treffen zu verdanken hat. Und ein Blind Date war es nach den Telefongesprächen auch nicht mehr. Ähnlich wie die beiden Damen, die Norbert am Ende entgegenkommen, sind die beiden eingebauten Gespräche negativ und positiv und scheinen mir wieder die Fünfzig-fünfzig Chance auf ein gutes Blind Date zu reflektieren.

    Gewinnen ist aber die richtige Formulierung, denn Norbert riskiert nichts. Selbst bei einer guten Chance, die ihm – am Ende der Geschichte - auch noch äußerlich vorgeführt wird, zieht er den Schwanz ein und verdrückt sich. Am Ende sieht er seine vorgefassten Meinungen nur bestätigt.

    Soweit mein Verständnis der Geschichte und ihres Aufbaus.


    Die Stelle an der Norbert sich aufschreibt, dass er Manfred umbringen will und mit einem Ausrufezeichen vermerkt, damit er sich das ja merke, ist in meinen Augen sehr komisch und ich war an dem Punkt noch darauf eingestellt, dass ich eine Kurzgeschichte serviert bekomme, die Slapstickartige Kapriolen schlägt. Dann entpuppte sich Norbert als fünfzig, der Ton wurde gesetzter und ich war irgendwie überrascht das so alte Säcke so locker über Blind Dates reden. Aufgrund der Wortwahl war Norbert in meiner Vorstellung um einiges jünger und Manfred umzubringen und in einem selbstironischen Tonfall mit einem Ausrufezeichen zu versehen, machte es mir schwer mich dann in diesen verbitterten, älteren Mann wieder hineinzudenken. Das kann jetzt an meinen falschen, unbegründeten Erwartungshaltungen liegen, oder aber die Figur ist nicht stimmig.

    Die gleiche Unstimmigkeit empfinde ich beim Ende wegen meiner Erwartungshaltung, dass eine Katastrophe passieren müsse. Wo war die denn, fragte ich mich am Ende. Natürlich ist die Katastrophe passiert – im ersten Telefonat – aber ich erwartete noch mal eine weitere, größere, deutlichere Katastrophe dieser Art. Natürlich war das der falschen Erwartung geschuldet – Slapstick, Satire, Kapriolen – die ich aus dem Text zu Beginn herausgelesen haben wollte. Aber das Ende hinterließ mich doch sehr unschlüssig und ich musste mir erst über diese Zusammenfassung und Interpretation – deshalb die Länge des Kommentars- ein Bild von Handlung und Struktur machen. Zunächst hatte ich mir nur am Kopf gekratzt und gefragt, ob ich was verpasst hätte. Hatte ich auch. Aber – es mögen andere kommen und mir widersprechen – ich glaube, dass der Norbert mich mehr überzeugt hätte, wenn er nicht Manfred umbringen, sondern so was unkomisches wie : Zur Rede stellen geschrieben hätte und es dann mit einem Ausrufezeichen versehen hätte.

    Norbert ist mir nicht ätzend, nicht menschenfeindlich genug. Das muss sich nicht mit der gekünstelten Überhöflichkeit dieses Knilches beißen. Im Telefonat überzeugt er mich daher. Die zweimalige Wiederholung, dass er Fünfzig sei – schon wieder Fünfzig – fand ich sehr gut und sein Wutanfall am Ende passte auch.
    Hingegen seine Gedanken von Freundeskreis bis Seit einiger Zeit wird alles anders fand ich eher fad. Die brachten mich der Person nicht wirklich näher. Erst als er sagt: Ich bin ein Exot, da gewinnt der Text für mich wieder, von da an wird Norbert für mich wieder konkreter, greifbarer. Möglich, dass ich einer Überzeichnung, einer Comicfigur das Wort rede, aber so wie er in diesem Blind Date dargestellt wird, ist er mir zu blass. Die Stelle wo er sich vergewissert wie sein Date heißt, finde ich zwar passend, aber nicht das: Ah, gut dass ich nachschaue Vor allem, wenn er vorher noch abschätzig denkt: „Griselda, oder wie die heißt.“ In seinen Gedanken sollte Norbert keine Scheu haben.


    Nur noch eines, weil ich an dem Absatz wo Norbert seine Abneigung gegen Fangragen formuliert, lange rumgebrezelt habe ein Vorschlag zur Änderung:

    Die Leute könnten auch an einem Dienstag fragen ob heute Dienstag sei oder vor einer Blinddarmoperation fragen, ob man eine Betäubung wolle. Fragen, die garantiert mit „Ja, ich will“ beantwortet werden müssen. Darin besteht der Trick, mit dem man geködert wird, woraufhin man an einem öffentlichen Ort, einem Café oder einem Park, auf eine Begegnung wartet, mit der man sich offenen Auges ins Witzbuch des Lebens hinein schreibt. Nur weil man eine Fangfrage bejaht hat; nur weil niemand, die Frage: „Möchtest du eine Verabredung arrangiert bekommen, mit einer wildfremden, einsamen Freundin eines entfernten Bekannten von uns?“ aus gutem Grund so nicht stellt. Die sich wie selbstverständlich daran anschließenden Neins hätten schon längst dazu geführt, dass der demütigende Brauch des Blind Dates ausgestorben wäre.

    Hoffentlich kannst Du was mit meinen Gedanken anfangen ;)

    Gruß
    Brot

  • Hallo Margot,

    vielen Dank für Deine Hilfestellungen und ich hoffe, es ist nicht nur Fron für Dich. Für mich ist es natürlich spannend und hilfreich. Ich habe jetzt einen Teil – bis zu dem Punkt wo er aus der U-Bahn steigt, um seinen Freund zu treffen, überarbeitet. Das entspricht ungefähr dem Block, den Du in Deinem ersten Kommentar auseinandergenommen hast.


    Zu den einzelnen Punkten aus dem ersten Abschnitt: Plusquamperfekt und die Dopplung habe ich entsorgt, den Lehrer habe ich auch verschwinden lassen. Tatsächlich unnötig. Gänsehaut ist auch gestrichen.
    Die Zeichensetzung habe ich hoffentlich verbessern können – auch in der Wörtlichen Rede oder besser: nach der wörtlichen Rede.

    Die Geschichte mit den Heinzelmännchen, die lasse ich drin. Ich musste die selber nachschlagen, weil ich das nicht mehr im Kopf hatte und weil ich das Erbsen ausstreuen und das Ertappen drin haben will. An der Stelle hätte ich die Heinzels nicht Wichtel nennen sollen, weil ich das später noch mal einstreue. Hier sei schon gesagt, dass ich die Erbsen aber schlecht und mal wieder zu wenig gestreut habe. Aber weiter im Text.

    Die Traumsequenz ist mir schon wichtig – über Kürzungen will ich aber nachdenken. Die Geschmäcker sind ja unterschiedlich und ich habe auch schon mal gehört von Leuten, deren Meinung ich sehr schätze, dass diese Sequenz gut sei. Aber trotzdem sollte ich bei der Länge des Textes über zwei, drei Sätze weniger nachdenken. Wenn es kürzer geht, sollte ich (man) es kürzer machen. Und ich ahne jetzt schon, weiter hinten kann noch stärker gestrichen werden.

    Diese Hüte, dieses zwanziger Jahre Outfit, diese Seltsamkeiten, Unstimmigkeiten und der tägliche Erinnerungston – wer macht das schon so? - sind gewollt. Wer verbarrikadiert sich in seiner Wohnung? Wer nagelt zu? Wer sieht überall in fremde Häuser einen Mann eindringen? Was ich damit hoffe rüberzubringen ist: hier stimmt etwas nicht, hier ist etwas nicht mehr in Ordnung. Das muss aber wohl – vermute ich - viel, viel deutlicher und nicht so faserig erzählt werden. Den Fahrstuhl, den werde ich vollkommen unpassend umstylen in einen Art Deco Lift wo – z.B. wie beim Film „Schweigen der Lämmer“ - ein mechanischer Zeiger im Foyer den Stand des Lifts anzeigt. So einen Lift, geschweige denn Zeiger, gibt es in Zwanziggeschossern – wie z.B. in Berlin Marzahn - nirgends.

    Die hilflosen Erklärungsversuche warum er denn nicht seinen Freund anruft, um zu sagen, dass er später komme, die sind nicht nur hilflos, sondern auch verkehrt und deswegen gestrichen. Natürlich spielt Isa eine Rolle – versprochen.

    Der Text ist so auseinandergezogen, weil ich den Bleiwüsten Charakter unbedingt verhindern wollte.

    So viel zum ersten Block.

    Gruß und Dank

    von Brot.

  • Lieber Franz-Josef Wagner,Datum27.03.2009 15:18
    Foren-Beitrag von Brotnic2um im Thema Lieber Franz-Josef Wagner,

    Ich bitte Euch um Verzeihung,
    dass ich Euch diesen Wagner vorstellen musste, weil ich ihn selbst nicht mehr ausgehalten habe.

    Natürlich hoffte ich, dass Margot, als schweizer Fraktion des Eliteratums? Terrariums? E-Tums? genügend angepiekt sein würde, was bei ihrer stets vorgetragenen Panzerung ja nicht leicht ist, um die Schweiz verteidigen zu wollen. Ich habe heute morgen wieder gelernt - im Fernsehen - dass die Schweizer immer Angst hätten, dass sie erobert werden würden, aber wie mir Margots Kommentar bestätigt, wehrhaft geblieben sind. Trotz ihrer sprudelnden Konten .

    Ob dieser Wagner aber so einflusslos im größten deutschen Massenblatt herumschwafelt, so wie ich im besten Literaturforum uff der janzen Welt herumschwadroniere, das hoffe ich so, wie Du anscheinend, Oliver. Aber sprachlos bin ich letzlich auch. Triebtäter scheint er zu sein; gemischt mit den Zutaten, die Arno hier erwähnte. Und genau diese Mischung, dieses Bild von diesem Kerl und all das Zeugs, was er - nicht unbegabt und von nicht wenigen Kollegen auch bewundert - so von sich gegeben hat in einem schon zu lange dauernden Journalistenleben, da musste ich gleich denken: da geht doch was. Der Wagner ist kein Baby Schimmerlos, der Wagner ist ja politisch. Ein schwarzbraun gefärbter, wegen zuviel Konsum von irgendwas stets sein Gedröhn vergessender Quixotte - ohne liebenswert oder in irgendeiner Form erstrebenswert zu sein. Vielleicht geht da doch nichts.

    Aber was ich bei Dir, Arno, nicht verstanden habe, ist Dein Schluss:

    In Antwort auf:
    Und auch dieser Text, Brot, ist auf der sicheren Spur, etwas aufzuzeigen, dass selbst im showcharakterlichen Journalismus-Bereich nichts zu suchen hat - weil diese Wagner-Texte keinen Charakter (im moralischen Sinne) haben.


    Ich bin ja gerne auf der Spur und häufig irre und verlaufe ich mich auch, aber bei obigem Satz bin ich komplett auf dem Holzweg: ich verstehe nicht, was Du sagen willst. Arno, hilf mir bitte auf die Sprünge.

    Gruß
    Brot.



  • Prinzessin ElsebeeteDatum27.03.2009 14:27
    Foren-Beitrag von Brotnic2um im Thema Prinzessin Elsebeete

    Hallo Geratewohl,

    das ist ein schickes Märchen. Erst hatte ich gedacht, dass es vielleicht laang werden könnte, als ich bei den ersten Absätzen war und sah, dass die gute Elsebeete sieben Wordseiten lang ist. Aber wie ich dann verfolgte wie Elsebeete mit den Wachen des Schlosses verfuhr, war ich verdutzt, dass ich schon auf Seite sechs war.
    Flott, schnell und mit schönen und witzigen Dialogen erzählst Du Dein Märchen. Es ist wahrscheinlich ein Vorteil, dass Du Dich vieler Stilmittel bedienst, die Märchen beinhalten: phantastischer Hintergrund, Prüfungen, die ein sicheres Gleis für die Handlung und die typischen Wiederholunghen bieten und die klare Trennung zwischen Gut und Böse.
    Letzteres ist sicherlich durch die erstaunliche Kraft, Gestalt und Disziplin der Prinzessin wohltuend aufgebrochen. Passend zur Sprache, die modern klingt.

    Rundum glücklich? Nein, der Anfang, die Einleitung, die Einführung der Personen, außer Elsebeete selbst, finde ich – im Vergleich zum Rest der Story – zu behäbig und gewollt. Gewollt sind die Namen wie Lakritza, Lebertram, Fangopa etcetra. Das ist mir zuviel von gleicher Art und Witz.
    Zumal so kindlich die Sprache nicht ist, wenn ich z.B. von ominöser karriesrestenter Mundflora lese. Das Abhandenkommen der Königin Lakritza samt Masseur gen Fangopa, ist auch ein Scherz der für mich nicht richtig zündet, weil er mir zu dick aufgetragen ist und der Wellnesssalon komplett fremd und fehl am Platz wirkt.
    Zudem ist m.E. die Story um den Verbleib der Königin pengegal und überflüssig. Weg damit. Ist Lakritza halt tot, denn die Umstände, wie Lebertram alleinerziehend wurde, sind doch egal, oder? Wenn, dann sollte Sie Opfer ihrer Tochter oder dieses Intrigiduweißtschon sein. Um wieder zur Einleitung Deines Märchens zu kommen, dass völlig zu Recht, Prinzessin Elsebeete heißt. Mein Vorschlag wäre mit folgendem Absatz anzufangen:

    Prinzessin Elsebeete hatte, wenn das über eine Prinzessin überhaupt gesagt werden darf, Mundgeruch, nein, sie hatte nicht nur Mundgeruch, sie roch bestialisch aus dem Rachen. Gegenüber ihren Kindermädchen, Lehrern und ihrem Vater beteuerte sie immer wieder, dass sie einfach nicht zum Zähneputzen komme. Abends wäre sie halt zu müde und morgens könne sie es einfach nicht erwarten, zum Frühstück zu eilen.

    So modifiziert, könnte für mich die Geschichte beginnen und begann sie eigentlich auch erst. Dannach flutschte es für mich weg und ich hatte meinen Spaß. Natürlich fehlen ein paar Infos aus der Seite zuvor, aber die könnte man sicherlich einfließen lassen.

    Ach ja, noch zwei Kleinigkeiten:

    In Antwort auf:
    Glücklicherweise herrschte gerade Gegenwind, der ihr ins Gesicht pustete, so dass der Mann nicht ihren Mundgeruch so stark wahrnahm.


    Das wirkt an der zitierten Stelle, wie: wenn ich das nicht schreibe, wird mir einer kommen und mich darauf aufmerksam machen, dass ich ein Plothole hätte, weil der Mann ansonsten den Gestank doch hätte wahrnehmen müssen. Aber letztlich bemerkt es der Mann ja auch und ganz offensichtlich und richtig beschrieben ist die Adlernase von Mann mit Hund ein wohlerzogener Herr, der erst am Ende der Begnung wagt zu äußern:
    In Antwort auf:
    Übrigens, du solltest dir mal die Zähle putzen. Du hast ziemlichen Mundgeruch. Mir ist schon ganz schummerig.“
    Jetzt könnte die Frage kommen: Und was war mit dem Gegenwind?

    Ähnlich hier:
    In Antwort auf:
    Beim Anblick dieser armen Leute war Elsebeete ihr eigener Hunger vergangen.
    Die Info war mir wurscht gewesen, weil ich an den Hunger von Elschen auch nicht mehr gedacht hatte, sondern begierig war zu wissen, was passieren würde, wenn sie am Schloß wieder ankommt. Hunger? Egal. Eher sollte so etwas stehen, wie dass der Anblick sie gerührt hätte, was aber einen Kitschfaktor reinbringen würde, den Du wunderbar umschifft hast. Und daher noch mal etwas worum ich Dich beneide: die Dialoge. Die sitzen, nach meiner bescheidenen Meinung.

  • NEUES FORUM // Bugs // VorschlägeDatum26.03.2009 21:37
    E-Literatum.
    Keine Possenfrösche und Marquis de Schleims mehr - auch wenn es dass sein wird was den Geminator schmerzt - ich find's sehr gut.
    Glückwunsch.

    PS:jetzt passen auch wieder Banner und Titel.
  • Lieber Franz-Josef Wagner,Datum26.03.2009 10:24
    Thema von Brotnic2um im Forum Kommentare, Essays, Gl...

    Kennen Sie Wagner?

    Seit Jahren gönne ich mir den Grusel die Post von Wagner zu lesen. Franz Josef Wagner ist ein Kolumnist der Bild Zeitung. Seine Kolumnen sind Briefe an die lieben Prominenten oder diejenigen, die ins Fadenkreuz und auf die Seiten der Amokjournailsten von der Bild Zeitung geraten sind. Das kann dann auch mal den Papst treffen. Aber immerhin verschafft es Ihnen und mir Gelegenheit die Sache mit Aids, Kondomen und Liebe mal ganz grundsätzlich von F.J.Wagner erklärt zu bekommen:

    In Antwort auf:
    Lieber Bendekit, […]Gott kennt kein Kondom. Gott kennt nicht die Antibabypille. Die Botschaft des Papstes ist: Vermehrt Euch. Alles andere sind Dazwischenquatscher von Familienministerien und Weltkongressen.
    Für mich denkt der Papst in einer höheren Ebene. Er denkt, dass Aids mit Liebe zu besiegen sei. Er denkt, dass Herumvögeln nicht im Sinne Gottes ist. Er denkt, dass wir Menschen Respekt voreinander haben müssen. Dem Papst geht es nur um die Liebe. Die Definition von Liebe.

    Genau, Franz-Josef, Herumvögeln ist nix für die Menschen und den Afrikaner und sowieso nix für die Liebe. Mal ganz grundsätzlich gesagt: Wer nur ficken will, dem darf der liebe Gott den Arschkrebs verpassen. Schon klar. Alles andere sind Dazwischenquatscher. Pinscher oder verirrte Samariter. Wer Kondome nach Afrika schickt, wird die Hoffnung aufgeben müssen jemals dort wie Loth in Sodom und Gomorrha auch nur drei gerechte Bimbos zu finden. Und dass kann ja nun wirklich nicht gerecht sein! Für ein höheres Ziel auf einer höheren Ebene, darf man nicht, nur wegen etwaiger Verluste, den Schwanz einziehen. Jawoll. Der Platz an der Sonne oder rechts neben Papst, den gibt’s nicht umsonst. Frag die Kinder von Winnenden – den hat Wagner auch Post geschickt.


    Wenn die Liebe verloren geht, das wissen der Papst und Franz-Josef, wenn die Liebe verloren geht, dann ist alles aus. Welch dunkle Zukunft die Schwulenmetropole Deutschlands – Köln – vor sich hat, dass wissen wir Dank Josef Wagner und seit den Bohrungen im Kölner Untergrund und dessen dunkler Folgen nun auch:
    In Antwort auf:
    Liebe Kölner, […] Was ist Archiv? Archiv ist das Protokoll unseres Lebens. Im Archiv befinden sich unsere Tränen, unsere Hoffnungen. Das Archiv ist auch eine Form von Heimweh.
    Ihr Kölner müsst ab jetzt in einer Leere leben. Das Museum Eurer Erinnerungen ist tot. Es gibt kein Zeichen von Leben.

    Köln ist tot. Allerhöchsten die Totgeweihten grüßen noch. Und ich verstehe jetzt auch, nachdem ich die höheren Zusammenhänge kapiert habe, die tieferen. Es ist das ewige Duell Weiß gegen Schwarz, Gut gegen Böse. Wagner führt das am Inzest-Monster Fritzl nochmal grundsätzlich aus:
    In Antwort auf:
    Böser Fritzl [sic][…], Im Prozess gegen Josef Fritzl haben wir die Dunkelheit gesehen, das Böse. Wir haben in den Abgrund einer menschlichen Seele gesehen. Wir haben die Verderbtheit gesehen, wir haben das Gegenteil des Guten gesehen, wir haben den Teufel gesehen. Wir haben gesehen, was alles in uns sein kann. Teufel und Engel.

    Das wird jetzt knifflig. Wagner stößt an Grenzen. Zunächst einmal ist es unglaublich schwer in einem schwarzen Loch, einen Abgrund zu erblicken, ja, bei der Abwesenheit von Licht überhaupt etwas zu erkennen. Wagner spendet uns aber mit seiner Feder, seinen Gedanken Licht, als sei er eine Taschenlampe. Er zeigt uns das Böse, den Teufel. Vergesst Mephisto: Fritzl ists. Aber in dieser schwärzesten Seele, der tiefsten Dunkelheit gemahnt uns das Licht Wagners:
    In Antwort auf:
    Wir haben gesehen, was alles in uns sein kann. Teufel und Engel

    Da heißt es aufpassen, dass man nicht auf die falsche Seite gerät! Aupassen, das jenes FritzlfickenmitKondom Virus – obwohl es der Fritzl, Josef ja katholisch korrekt kondomlos mit der Tochter getrieben hat – nicht an der eigenen Weiß- wie Reinheit kratzt. Wenn das doch geschehen sein sollte, dann ist guter Rat teuer oder jeder Schweizer Finanzweltverschwörer willkommen:

    In Antwort auf:
    Liebe Schweiz, […] Die DDR hatte Bankkonten in der Schweiz, der KGB, der CIA. Die Nazis finanzierten ihren Krieg über die Schweiz. Die Schweiz ist eine Geldhure. Der Rohstoff der Schweiz ist die Geldvermehrung. Für die Schweiz stinkt Geld nicht. In den Tresoren der Schweiz wurde das Geld der Holocaust-Ermordeten gefunden. Eure Banken haben Geld damit verdient. Zum Verhältnis Schweiz Deutschland will ich abschließend sagen: Keine Vergangenheit ist ideal. Unsere bestimmt nicht, aber eure auch nicht.


    Ja,ja das ist schon diabolisch. Diabolisch gut. Zum einen beweist Wagner, dass selbst wenn man selbst oder in der eigenen Sippschaft so ein Fritzlmonster zu verantworten hat oder hatte und bis zu den Ohren in der Jauche schwimmt, trotzdem jeder klug oder wagnermäßig beraten ist, weiter ordentlich Jauche zu verspritzen.
    Ein jeder Haderlump und Heuchler weiß, dass dann schon was hängen bleibt beim Anderen. Man muß nur ordentlich denunzieren, vereinfachen und verunglimpfen. Und der Andere ist ja auch im Zweifel immer der Böse. Der Böse lebt in Sodom und Gomorrha und der Böse wird vom Erdboden vertilgt.
    Wie war das, Herr Wagner? Was macht die Schweizer Hure Babylon noch mal? Das ist wirklich unglaublich:
    In Antwort auf:
    Die Schweiz ist eine Geldhure. Der Rohstoff der Schweiz ist die Geldvermehrung. Für die Schweiz stinkt Geld nicht.


    Ja, das ist doch wieder eine Vergasung wert oder, Franz-Josef? Hähä, da leugnet man nichts und stellt hinten rum doch den Persilschein aus. Clever, lieber Wagner, wirklich clever.
    Aber die Schwarzweißmalerei scheint Grenzen zu haben, bzw. funktioniert nur auf höheren Ebenen auf denen nur der weißgewandete Papst und Sie, lieber Wagner, wandeln. In der Reailtät, da quatschen halt zu viele dazwischen, da ist das Böse oder die Liebe und das Gute stets verwaschen und das erkennen Sie ja auch aufrichtig an, lieber Franz-Josef.

    In Antwort auf:
    Liebe Opelaner[…]was für ein Scheißleben, durch die Werkstore zu gehen und nicht zu wissen, wie lange sie noch offen sind. Wenn Opel stirbt, dann stirbt die Sicherheit.


    Dann hilft weder ein Kondom, noch kein Kondom, geschweige denn des Wagners kleine Taschenlampe mit dem Licht des Guten mehr.


    PS: Wagner schreibt täglich in der Bildzeitung seine Briefe. Alle Zitate von dort.

  • Trödler, Künstler, KlinkenDatum23.03.2009 22:11
    Thema von Brotnic2um im Forum Zwischenwelten
    Kunstmarkt

    „Lass uns einen Kaffee trinken gehen.“ beschloss sie, als ich mich schon darauf gefreut hatte in wenigen Minuten den Rest des Sonntags schnarchend auf dem Sofa zu verbringen - verdienter Lohn für einen stundenlangen Aufenthalt auf einem Floh- und Trödelmarkt, der auch ein Kunstmarkt sein will.


    Das Konzept ist erfolgreich. Ein Gedränge wie bei Knut dem Eisbären. Aber statt einem knopfäugigen Bären - lauter seltsame Leute, die sich durch Anspruch und Geschmack zu tarnen wissen. Soviel Geschmack, das Comics nicht Comics sind, sondern was Besseres, etwas für das man sich nicht schämen muss; eine Art non-mainstream Markenschuh. Ein Ambiente in dem sich der Zweitbuchbesitzer angenehm unterhalten fühlt. Die Kunsthändler und -produzenten, die Trödler freut es offensichtlich auch und ich vermute, es freut sie wegen des Aufpreises.

    Mich erfreute, dass ich Imbissbuden entdeckte, die mir eine Curry und Pommes mit Majo verkauften. Wahrscheinlich sind diese Buden noch nicht vom Käfer Catering übernommen worden, weil sie so authentisch wirken. Gegen eine feindliche Übernahme der Panflötenindianer mit ihrer nervtötenden Pustemusik, hätte ich dagegen nichts einzuwenden.

    Und zwischen Currywurst und Comictrödel gaben sich die Kunsttrödler die Klinke in die Hand. Das ist eine naheliegende Verkettung, denn Türklinken gibt es da : sagenhaft! Massenhaft Beschläge, Griffe, Klinken - bergeweise. Aber wer braucht das? Wahrscheinlich diejenigen, die an diesem Ort Kinderpuppen kaufen, auf denen „Anfassen verboten“ und ein Traumpreis steht. Aber wieso eigentlich?
    Klinken kaufen Leute, die keine Griffe oder keine Klinken haben. Wenn die keine Klinke haben, wie öffnen oder schließen sie dann die Tür? Anders, beschloss ich, einfach anders.


    “Jetzt noch einen Apfelstrudel im Einstein - das wäre es!“
    Wieso wäre? Statt auf der Couch meine Ruhe zu genießen, stattdessen Strudel im Cafe. Das war fix wie der Ort: Das Einstein – Berlin, Kurfürstenstraße, Künstler Cafe, gehobene Klasse. Da geben sich Promikünstler die Klinke in die Hand und das keine hundert Meter von der Love Sex Dreams - LSD - Filiale entfernt. LSD ist der Megasexshop auf der Discount Sexmeile Berlins. Ficken für Fünffünzig. Fünfzig Cent ist der Zewarollenanteil. Wer sich einen Kopierer kauft, zahlt ja auch Urheberrechtsanteil.

    „Wieso sollen Künstler anders ficken, wenn sie genauso kacken?“, durchfährt es mich plötzlich wie eine Erkenntnis aus dem brennenden Dornbusch und ich denke sofort an Quantitätsficker wie Immendorf, die es im Dutzend billiger besorgt bekommen oder an den Leute-beim-Interview-Betatscher Friedmann, der sich mit einer Ladung Mädels aus einem ukrainischen Viehwagon vergnügte. Haben die Frauen eigentlich gehalten, was er sich versprochen hat? Was er sich versprochen hat, vor oder auf oder in oder neben sie zu verspritzen? Ist das recherchiert worden? Ist Friedmann ein Künstler? Es wird so vieles einfach nicht zu Ende gedacht, recherchiert oder gesagt. So viele offene Fälle. So offen wie die Frage ob Ariel Scharon noch immer im Koma liegt.

    Vielleicht fehlen einfach die Beschläge um die Krisen zuzumachen? Wo die Beschläge, die Schlösser sind, weiß ich.

    Zum Glück ist das Einstein ein Bohnenpuff was soviel wie professionell heißt. Die servieren da jedem, die besorgen es jedem, lassen keinen hängen aber das hat seinen Preis. Einen gesalzenen Preis. So wie die Mad Hefte auf dem Kunsttrödelmarkt. Aber nur die Verrückt Hefte, die von Herbert Feuerstein redaktionell bearbeitet worden sind. Egal - Bedienung ist wichtig. Nicht bedient zu werden, kratzt an der Ehre. Wer nicht bedient wird, muss sich fragen, warum ausgerechnet sein Geld stinkt.


    Bedient

    Als ich mit meinem feuerwehrroten Discount-Fox-Anorak, den ich günstig in der Banane gekauft hatte, die nichts anderes, als eine verglaste aber bananenkrumme Einkaufspassage in Cottbus ist, ein Cafe in Kreuzberg betrat, da passierte es mir, dass ich nicht bedient wurde.

    Das Cafe sah aus wie eine komplett ausgeschabte Höhle. Total reduziert. Wenn verziert, dann nur durch Kohlezeichnungen an den Wänden. Zeichnungen großäugiger, junger Mädchen, die so aussehen, als wollten sie mein Y-Gen ab- oder sich selbst die Pulsadern aufschneiden.

    In dieser hippen Gruft war hinten rechts noch eine Ecke frei. Rettung. Ich schob mich - mit deutlichem Unbehagen – vorbei durch die gefühlte Kreativabteilung Berlins. Vorbei an toughen, jungen Weibern mit Kurzhaarigelfrisuren und tief wie dunkel geschminkten Augenhöhlen; vorbei an metrosexuellen Typen mit manikürten Fingern und dem Air Notebook auf dem Schoß.

    Den Typen gab ich Namen. Namen wie Biomargarine und vermutete, dass Magarine-Audi R8 um die Ecke geparkt ist. „Neid!“, rief ich mich zur Ordnung. Nur Neid und Frevel meinerseits. „Sei doch nicht so hässlich und steh zu deinem roten Anorak aus der Banane.“
    Eben drum, konterkarierte ich mich selbst und klopfte mir obendrein ob dieser Reflektion auf die Schulter, weil ich mich nun very british fühlte. Erleichtert erreichte ich die hinterste Ecke und langte nach der Karte.

    Als ich die Karte durch hatte und sich keine Bedienung zu mir verirrt hatte, fühlte ich mich sehr allein.

    „Wo gucke ich jetzt hin“, dachte ich, und während ich so dachte, fiel mir auf, dass die Bestellkarte ein individuell gestaltetes Büchlein ist, wo auf jeder zweiten Seite die Bilder dieser psychotischen Kohle-Strich-Mädchen abgebildet sind. Mein Blick wanderte von der Karte zu den Wänden und von überall her, glotzten mich die Kohlefrauen an.
    „Toll“, dachte ich und suchte die Karte erneut nach einem Preis für ein Pils durch. Wieder fand ich, wo nach ich gesucht hatte. Dreieurofünfzig für ein Pils vom Fass. Das wollte ich haben. Aber keine wollte es von mir haben.

    Eine gefühlte Stunde später, fasste ich die Karte nicht mehr an und schämte mich dafür, dass ich die Karte überhaupt berührt hatte.
    Es war offensichtlich, so befand ich, dass man mich mied, weil ich die Karte wie einen Ottokatalog behandelt hatte. Zumindest bildete ich mir das ein. Wenn auch nicht sehr erfolgreich. Es ist nicht die Karte, nagte es in mir. Es ist nicht dein Handeln, es ist deine Aura, deine Präsenz.

    You are not one of us. No, no, no, not one of us. Immer wieder hörte ich diese Zeile. Leider gebar mein Herz in dieser Stimmung nur melancholische Peter Gabriel Melodien und Texte. Trotz dieser depressiven Grundhaltung unterließ ich es, mir ein verbrauchtes Glas vom Nachbartisch zu greifen, reinzupissen, auszutrinken, mir den Mund abzuwischen, das Glas auf den Tresen zu hauen und erlöst zu bemerken: „Danke, dass ich wenigstens meine Pisse saufen durfte. Vielen Dank. In Zehlendorf hätten sie mich totgemacht, weil sie meine Armseligkeit nicht hätten ertragen können. Also, Freunde, was bin ich euch schuldig?“


    Was wäre passiert, hätte ich Mr. Self Destruct von Nine Inch Nails im Ohr gehabt? Überflüssige Gedanken. Tatsächlich beschloss ich, nachdem ich mich innerlich ausgepisst hatte, mich zu bewegen und nicht mehr auf eine Bedienung zu warten.

    So unauffällig und selbstbewusst wie möglich schlich ich zur Theke und war froh, dass ich mich an der Bar festhalten konnte. Nach gefühlten zwei Tagen erbarmte sich eine Bedienung mit Kurzhaarigelfrisur meiner und fragte mich „Was!?“


    Das Bier, dass sie mir auf meinen Tisch stellte, schmeckte wie Pisse. Ich saß in meiner hinteren Ecke umrahmt von den Monsterfressen aus Kohle. Ich schluckte, ich trank und ich ließ mir nichts anmerken. Endlich war ich ein Kunde wie jeder andere auch. Das Bier schmeckt hier wohl generell schal, beruhigte ich mich. Ich war sogar stolz, dass ich es geschafft hatte in meinem Outfit, in einem solchen Laden bedient worden zu sein. Strike. Das war doch der Lackmus Test, dass ich kein Gartenzwergsnazispießer bin, dass ich nicht „Konzentrationslager Erhard“ bin? Und warum? Weil mein Geld nicht stinkt. Und wenn mein Geld nicht stinkt, dann bin ich nur ein Kunde.


    Als ich dann, weil wieder niemand gekommen war, an der Theke stand und darauf wartete, dass ich endlich abgerechnet werde, bemerkte ich aus dem Augenwinkel einen alten Bekannten, der mich offensichtlich auch bemerkt hatte. Er stand vor dem Lokal, vor dem großen Fenster und er winkte wie ein debiler Duracell Hase auf Viagra. Er winkte mir so zu, als sei das Fensterglas der Kneipe, die Linse einer Fernsehkamera. Ich wünschte mir, dass des Hasen Batterien augenblicklich ihren Geist aufgäben. Sie gaben aber nicht auf und die Igel-Barfrau, der die Situation und mein Unbehagen nicht entgangen war, kassierte mich lächelnd ab.


    Strudel Pils Melange

    „Eine Melange und den Apfelstrudel mit Vanillesauce, bitte.“, flötete sie der adretten Kellnerin zu.
    „Und der Herr?“, wand sich die Dame mit gespitztem Stift zu mir.
    „Pils.“, sagte ich nur.

    Kurz bevor ich so antwortete, hatte ich mir einen Blick in mein Innerstes gegönnt. Da lagen am Meeresboden meines Magens viele kleine zerkaute Brocken einer Currywurst. Einer Wurst, fein garniert mit gelben Popeln, die mal Pommes waren. Über allem schwebte, ausgeflockte Mayonnaise. Auf Cappuccino mit Sahne und eine Sachertorte war mir der Appetit vergangen.

    „Warsteiner vom Fass? Großes, Kleines?“, hakte die Bedienung ungeduldiger werdend nach.
    „Ja, bitte.“, antwortete ich gedankenverloren und bemerkte leider den irritierten, wenn nicht angewiderten Gesichtsausdruck meiner Begleitung. Sie war mit der Wahl meines Getränkes offensichtlich nicht einverstanden.
    „Also ein kleines Warsteiner vom Fass?“, bemühte sich die Kellnerin weiter. Sie wirkte sehr kontrolliert und professionell.
    „Ja.“, wiederholte ich. Die Sinne waren mir vernebelt und mein Gemüt düster.
    „Fein.“, zischte die Kellnerin, zog deutlich einen Strich unter die Bestellung, klappte den Block zu und marschierte zum nächsten Tisch.

    „Muss ich jetzt fahren? Oder wie hast Du Dir das gedacht? Es wäre nett gewesen, wenn“, giftete sie sofort los.
    „Moment“, unterbrach ich ihre Predigt, stand auf und brüllte der Bedienung hinterher: „Fräulein, ich hätte doch bitte ein Großes, ja? Ein großes! Pils. Danke!“, dann setze ich mich wieder und wand mich voll konzentriert meiner Freundin zu, die glücklicherweise genauso verstummt war wie der gesamte Laden.

    „Was wolltest Du sagen, Schatz?“, fragte ich freundlich.
    „Du bist unmöglich.“, flüsterte sie nur und verbarg weiterhin ihr Gesicht hinter der großen Karte des Einsteins.

    So isoliert von meiner Liebsten, Zeit und Raum konnte ich gelassen meine Blicke durch den Saal wandern lassen. Resigniert stellte ich fest, dass meine Erwartungen erfüllt wurden. Lauter schicke und intelligente Menschen, Künstler, Friseure, Promis und größenwahnsinnige Literatur-Studenten. LSD.
  • David Peace -1974Datum23.03.2009 21:06
    Thema von Brotnic2um im Forum Literatur

    Wer auf Thriller, Ein-Wort-Sätze, Kugelhagel von Dialogen und schnellen Schnitten steht und trotzdem Intelligenz nicht verabscheut: dem sei dieses Meisterwerk ans Herz gelegt.

    David Peace
    1974
    Heyne Verlag.

    Ein Buch mit einer ungestümen Wucht, das man nicht aus der Hand legen mag - Die Zeit

  • Warum schaffen wir KunstDatum21.03.2009 11:19
    Foren-Beitrag von Brotnic2um im Thema Warum schaffen wir Kunst

    Goile Frage.


    Vielleicht um das Urteil fällen zu können, dass der Avatar von Oliver64 extrem hässlich ist? Angefangen bei den Schweinelocken, die mich leider an Wolfgang Petry und seine speckigen Freundschaftsbänder erinnern, aus denen Backfischwichse tropft, über die fernsehergroße, kackbraun getönte Sonnenbrille, die zum Glück große Teile dieser Verirrung der Evolution verdeckt, bis hin zu der Kussschnute über der ein Streifen prangt, den ich nicht als Schnurrbart sondern als verirrte Bremsspur identifizieren würde, so als hätte man diesem armen Menschen mitten ins Gesicht gekackt.

    Aber das wäre zu armselig. Es stimmt ja noch nicht mal. Es ist ja gar kein Kerl, der mich hier so leicht über die Brechgrenze brachte, sondern nur ein Fake. Und das scheint mir in jeder Hinsicht passend. Hinter der Kackfresse müsste sich Cameron Diaz verbergen. Ich meine aus den Engel für Charlie Filmen. Aber da bin ich mir nicht sicher.

    Zwei Bitten an Olli: Klär mal aus welchem Film das Bild kommt und roll bitte wieder mit den Augen. Bitte!

  • NEUES FORUM // Bugs // VorschlägeDatum20.03.2009 20:42

    Da ich mich nicht automatisch anmelde, habe ich nach 2-4 Fehlversuchen schnell den Editor aufgemacht und meine Tastaturund Eingaben geprüft. Alles sauber. Dann habe ich irgendeine, dass müsste ich nochmal prüfen, bze. wiederholen können, andere Seite des Tümpels gewählt wo auch ein Login abverlangt wird. Da ging es dann sofort. Deshalb vermute ich, dass es an den temporären Dateien des Browsers liegt - oder andersrum ;).
    Mit dem Notebook mit dem ich gerade surfe, ist mir das noch nicht passiert.Beim Notebook werden bei Beendigung von FF 3.0 alle Temp Dateien gelöscht. Den PC von heute Vormittag, wo mir der Fehler passierte, den muss ich manuell säubern. Vielleicht hilft das.

  • NEUES FORUM // Bugs // VorschlägeDatum20.03.2009 20:21
    Die Siebzehn war gefühlt. Entschuldigung. Aber es waren schon ein paar Versuche, weil ich sichergehen wollte, dass ich keinen Tipp- oder Einstellungsfehler habe.
    Betriebssytem Xp;Browser Firefox 3.0.
    Gruß
    Brot
  • NEUES FORUM // Bugs // VorschlägeDatum20.03.2009 19:47

    Hi Maya,

    dass es heute langsamer ging, kann ich nicht finden. Es geht alles ganz flott.
    Scriptfehler wurden nicht angezeigt. Keine Probleme. Nur einmal, heute Vormittag, brauchte ich siebzehn Versuche um mich anzumelden. Die Anmeldedaten seien falsch. War mir aber sicher, dass ich mich nicht vertippt habe. Ist aber danach nicht wieder aufgetreten.

    Gruß
    Brot

  • 19.03.2009Datum20.03.2009 10:11
    Thema von Brotnic2um im Forum Das Tagebuch
    19.03.2009

    Mein Freund, der Unternehmer, der Boss, sah heute in der Frühlingssonne so aus wie Konstantin Wecker vor seinem Entzug. Er war wieder mal wach bis drei Uhr morgens gewesen und hatte an seinen Apparaten rumgespielt. Den Illuminat Server hätte er auf eine andere Maschine geklont. Heute um drei Uhr morgens hätte er das gemacht. Hat geklappt, bemerkte er immer mal wieder ganz stolz. Hat geklappt. Funktioniert. Guckst Du.
    Das kann auch nicht gesund sein.
    Sein Kollege, Uli die Hasenscharte, der mir ganz lieb das Telefonkabel, dass ich im Lager gefunden hatte, aufwickelte schien mir auch übernächtigt, aber sehr glücklich zu sein. Er schwallte, während er wickelte, von Multimedia Servern und sagenhaften V-DSL Down- wie Upstream Raten, die er jetzt zu Hause hätte. Er schwöre übrigens auf Mac. Was ich denn heute noch mache?, fragte er.
    Ich gehe jetzt ein super Modem installieren, antwortete ich ihm.
    Und da glänzten seine Augen und er wollte mehr wissen.
    Ob ich so ein V-DSL 48mbit, alter 48mbit! konstant und Antwortzeiten! von 0,82 hätte?
    Nein, musste ich zugeben, so ein Modem hätte ich nicht gemeint. Mehr den Klassiker: V90 Analog Modem.
    Da lachte er. Ich sei ja ein Schelm und wickelte lachend das Telefonkabel weiter auf, dass der Boss ihm in die Hand gedrückt hatte, um mir ein Gefallen zu tun.
    Aber vielleicht könne ich ihm ja sagen wie lang so ein HDMI Kabel denn maximal sein dürfe.
    Drei Meter, näselte ich gelangweilt, aber souverän zurück. Ich hatte keine Ahnung. Jedenfalls war ich froh, dass er mir das viel zu lange Telefon Kabel aufwickelte, dass ich die Dreier Steckdose mit langer Schnur und zwei USB Kabel bei ihm gefunden hatte und dabei war abzustauben. Andernfalls hätte ich quer durch die Stadt wieder ins Büro fahren müssen, diese Kleinteile, die ich heute morgen vergessen hatte, einsammeln und wieder quer durch die Stadt zurück – wenn man so will – zum Anfang hätte bringen müssen. Fast zum Anfang dieses Tages. Denn der Anfang war sowieso unterbrochen worden, weil



    mein Telefon klingelte. Kurz nachdem ich am Schreibtisch Platz genommen und die Kaffeemaschine angeworfen und den Brackwasserbecher unter die Düsen der Maschine gestellt hatte, kurz danach klingelte mein Telefon mit diesem aggressiven Klingeln. Wie ein „Bei Fuß“ Befehl.. Die Nummer kannte ich. Das Gegenteil von Kaffee stand im Display. Natürlich nahm ich ab – für den Anrufer war ich so was wie der Brackwasserbecher.

    Der Rechenknecht in der Warenannahme verweigere den Dienst. Der fahre nicht mehr hoch. Was soll ich drücken, was kann ich tun?, forderte er mich auf.
    Nichts.
    Nichts?
    Gar nichts. Da muss ich rauskommen.
    Ja, dann machen Sie das, antwortete er noch und legte auf.
    Energie, dachte ich und überschlug die Möglichkeiten, wägte ab, welches Problem der Rechenknecht in der Annahme haben könnte und schnappte mir nach und nach, was ich meinte, dabei haben zu müssen.
    Zum Glück, so dachte ich noch, während ich die Werkzeuge einsammelte, war mir eingefallen, dass ich noch die alte Modem Karte einstecken sollte, die ich Tage zuvor schon erfolgreich auf Funktion geprüft hatte. So könnt ich nach einer erfolgreichen Notoperation am Konsumumschlagplatz endlich zum Hausmeister von dieser Hausverwaltung fahren können, weil der eh seit Tagen darauf wartete, dass ich ihm den neuen PC, den sie bei mir gekauft hatten, betriebsbereit mache. Dabei vergegenwärtigte ich mir noch, dass, wenn ich bei dem Büttner, dem Hausmeister sei, ich unbedingt beim Geschäftsführer der Hausverwaltung bescheid sagen solle, wenn der Büttner, mir von sich aus erzählen würde dass er schwul sei. Das mache der nämlich bei jedem, aber das wolle er, der Chef, von mir bestätigt haben – sofern es denn stimme.


    Die Operation verlief zunächst erfolgreich und ich war guter Dinge, dass der PC am Umschlagplatz schnell wieder genesen und produktiv am Netz sein könne. Während ich so dachte, fiel mir die „Hart aber Fair“ Sendung von gestern Nacht ein: Erstklassig kassieren, zweitklassig kurieren. Also unterzog ich den genesen Rechenknecht einem weiteren Test bei dem er wieder prompt versagte und die Arbeit wieder einstellte. Während ich die Operation wiederholte und wusste, dass ich die Festplatte und das darauf installierte System, wenn Sie es denn noch ein bißchen durchielte, würde klonen müssen, kam der Hauselektriker des Weges mit seinem Laptop. Der würde auch nicht mehr tuen. Der schwule Hausmeister würde warten müssen.

    Nachdem ich nun leidlich zussammengeflickte Rechenapparate ihrem elektronischen Schiksal überlassen konnte, fand ich mich beim Arbeitsplatz des schwulen Hausmeisters wieder.
    Es war ein kalkweiß gestrichenes Loch in irgendeinem Keller der weitläufigen Wohnanlage. Es war eine Abstellkammer. So gemütlich wie eine Gummizelle. Der Büttner war dicklich und weiß und lächelte mich an.
    Sie, der Eigentümer und die Verwaltung, hatten ihm einen nigelnagelneuen PC, Monitor und Multifunktionsderwisch von einem Drucker spendiert, so wie eine nicht mehr ganz neue Telefon. Fax Amatur von Panasonic.
    Mitten in diesem kleinen Raum stand ein neuer, wuchtiger Schreibtisch in Buche mit PC Fach – wo die Dinger regelmäßig zu heiß werden – und ich saß dahinter. Vor mir der lächelnde und schwule Hausmeister.
    Er brauchte es gar nicht zu sagen. Er war dicklich, trug einen Blaumann, schnaufte immer leicht durch die Nase, dessen Ränder so rot waren wie seine durchgetretenen Turnschuhe. Irgendeine Tönung war in seinen Haaren und sein Händedruck war fluffig gewesen. Ob er denn jetzt Internet bekäme?
    Nein, sagte ich.
    Da guckte er mich ganz verwirrt an.
    Nein?
    Nein.
    Aber er müsse doch E-Mails lesen und schicken und der PC, der müsse doch noch aktualisiert werden, Bei seinem Notebook hätte er ganz viele Updates einspielen müssen.
    Das sparen wir uns. Sie kriegen dafür dass hier.
    Was ist das?
    Eine Modemkarte. Damit werden Sie ihre E-Mails abholen und lesen können, sofern Sie keinen zu großen Anhang haben.
    Büttner blieb verwirrt und ich werkelte und fluchte, weil mir jetzt auffiel, dass ich die Hälfte vergessen hatte. Modemkabel, Dreierstecker, USB Kabel. Die Arbeit würde liegen bleiben und ich würde wieder in diesen zugigen Keller müssen. Es wurde zwar Frühling, die Sonne schien, aber dieser Abstellraum war weiß, kalt und windig wie Büttner und ich.

    Herr Büttners Verwirrung blieb, aber er lächelte weiter und blieb sehr freundlich. Ja, fast zutraulich. Zwar funktionierte noch nichts an seinem Arbeitsplatz und er hatte auch verstanden, dass er niemals, nie, nicht in seinem Keller würde surfen können, dass sein PC nicht mal einen Virenscanner bekam, weil er damit einfach nur zwei Tabellen und Texte würde schreiben können, aber Büttner bedankte sich und blieb artig. Wann ich denn wiederkomme? Vielleicht heute oder morgen. Ich melde mich bei Ihnen, brubelte ich und verschwand wie Paulchen Panther.

    Aber dann rief der Boss an und fragte, ob ich Zeit hätte. Klar hatte ich Zeit. Der Boss und sein Unternehmen war ganz in der Nähe von der weitläufigen Wohnanlage mit dem schönen weißen Keller. Der Boss hatte einen Server geklont. So wie ich es ihm Tags zuvor geraten hatte. Er war stolz wie Bolle. Aber die Tastatur würde nicht funktionieren. Das Ding fahre zwar hoch, aber er könne sich nicht anmelden, weil die verdammte Tastatur nicht funktioniere und dann lachte er und dann lachte ich auch. Ob er ein Modemkabel hätte, fragte ich während wir lachten. Klar hätte er das. In seinem Lager hätte er alles. Komm vorbei. Bedien Dich.


    So war ich beim Boss, Hasenscharte und dem großen Lager gelandet. Es war alles da. Dreier, USB und Uli wickelte das lange Kabel auch noch für mich auf – kürzer gab es das leider nicht. Macht nichts. Büttner ist artig, dachte ich. Wir lachten viel und das Tastaturproblem war nach einem Besuch im Bios des Rechners auch schnell behoben. Es ging zack, zack, zack, die Sonne schien auf gräsige Gesichter und flusch saß ich wieder im weißen Keller von Herrn Büttner. Das sei aber schnell gegangen, sagte er ein ums andere mal, während ich mich auf der Zielgeraden befand. Dröhnig erklärte ich ihm wie man so ein USB Multifunzding installiert und dass man sich ja an die Installationsanleitung halten müsse, weil sonst, naja, sonst würde es halt schwer werden. Es wurde schwer.

    Das Ding wollte nicht scannen und Büttner saß die ganze Zeit vor seinem Schreibtisch auf diesem Kinderstuhl, dieser große, schwere, weiße und im Blaumann steckende Mann, saß da und glotzte mich mit großen Kulleraugen ganz lieb an. Naja Hauptsache er druckt, meinte er. Das tat dieses Schweinegerät. Aber nach einem kurzen Gespräch mit der Hotline wußte ich, dass es auch scannen würde, wenn ich ein zwei Sachen aus dem Internet herunterladen und installieren würde: Tools und Treiber sowie eine Anleitung zur kompletten Deinstallation der vorherigen Installationsversuche. Warum müssen eigentlich immer Reste übrig bleiben, dachte ich, sah mich aber in einer fürchterlichen Klemme.
    Sagen Sie, gibt es hier im Haus jemanden der einen DSL Internetzugang hat?, fragte ich Büttner.
    Ja, antwortete er und veränderte nicht einen Hauch seiner Mimik.
    Ich müsste mir schnell mal was vom Hersteller herunterladen und mit dem Modem in ihrem PC
    Dauere es viel zu lange, vervollständigte er meinen Satz. Wir könnten zu seinem Freund gehen, der hätte ein Notebook mit DSL Anschluss.
    Prima, sagte ich und saß kurz danach auf einem Bullenpenis von einem Barhocker vor einem Laptop, dessen Anmeldeavatar ein sabberndes Gesicht eines Bernadiners war. Die Ähnlichkeit war nicht zu übersehen. Prima, dachte ich. Hatte ich seinen Freund eigentlich richtig wahrgenommen? Hatte ich das gewollt. Ich war in einem Tunnel und dachte an Pulp Fiction. Gleich würde der schwule Axtmörder mit dem Rasiermesserpenis kommen und mich in einen Ganzkörperlatexanzug stecken, solche und ähnliche gedanken verfolgten mich, wähend ich den 100% der Download Statusbalken entgegenfieberte. Sie tuschelten und lachten hinter meinem Rücken. Der Freund des Hausmeisters hatte so ein bronchiales Husten. Wortfetzen drangen an mein Ohr. Hielten die mich für gestört?
    Ruhig Brauner, ermahnte ich mich und war froh, als ich meinen Stick aus dem fremden Rechner ziehen konnte.

    Zum drittenmal saß ich dann in diesem Keller, an diesem Schreibtisch und zum drittenmal saß der Büttner auf dem Kinderstuhl vor mir und lächelte. Als seien all die Momente geklont. Diesesmal wurde ich fertig. Mit allem. Es lief. Das Anmeldekonto von Büttner schränkte ich schnell noch ein und verließ nach einem letzten fluffigen Händedruck den Verwaltungskeller des Hausmeisters der weitläufigen Wohnanlage.

    Im Auto überlegte ich noch, was sie getuschelt hatten. Vermutlich war ich ein Arschloch für sie. Ein Schizo oder Psycho. Meinetwegen, dachte ich, meinetwegen. Meine Arbeit war fertig geworden, das Tagewerk vollendet und Arschgeigen

    Aber den Gedanken konnte ich nicht mehr fertig denken weil das Handy wieder klingelte. Es klang wie heute morgen, so als sei der Ton wie der Tag geklont worden.
  • Thema von Brotnic2um im Forum Ausgezeichnete Prosa
    I.

    Ich bin jetzt siebenundfünfzig Stunden wach. Ich werde Ihnen alles erzählen und Sie werden glauben, ich halluziniere oder sei durchgedreht. Aber es ist meine Wahrheit. Es ist das, was ich erlebt habe. Still! Ich glaube er kommt. War da nicht ein Geräusch? Ich könnte ja durch den Spion sehen? Geht nicht. Gestern habe ich die Wohnungstür komplett vernagelt. Mist. Aber es ist besser so. Es ist besser zu wissen, dass seine Schlüssel nicht ausreichen hier hereinzukommen. In meine Wohnung wird er sich nicht schleichen können. Hier nicht!

    Er ist einer von der leisen, unauffälligen Sorte: älterer Herr, Schiebermütze, grauer Handwerkerkittel und – wie zum Hohn – hat er immer einen kreisch roten Werkzeugkoffer dabei. Still! Nein. Fehlalarm. Wie lange ist es her, dass ich Mr. Toolbox das erste Mal bemerkt habe? Drei Jahre? Nein. Drei Monate? Drei Wochen? Auf jeden Fall ist es länger her als dreißig Stunden.


    Ich hatte am Schreibtisch in der Kanzlei gesessen und wie so oft eine Nachbarschaftsklage studiert. Es war mir zunehmend schwergefallen, mich auf die Buchstaben zu konzentrieren. Ich ertappte mich dabei, wie ich Sätze las, die nirgendwo standen. Mein Handy piepte. Der Ton riss mich aus der Versunkenheit meiner Arbeit heraus. Es war eine Erinnerung. Zwanzig Uhr. Isabel. Weihnachtsmarkt.

    Bei einem Speed-Dating hatte ich Isa kennengelernt. Ich kann mich nicht mehr erinnern, was ich ihr oder den anderen Kandidatinnen erzählt hatte. Vielleicht, dass mein Ururgroßvater Schamane war und mit einem Einbaum zweihundert Jahre nach Kolumbus die alte Welt entdeckt hat? Mit Sicherheit hatte ich diese Story erzählt und Isabel musste sie geglaubt haben, denn sonst hätte sie sich nicht mit mir zu einem samstäglichen Date auf den jüngst gestarteten Weihnachtsmärkten verabredet. Dieses Date wollte ich nicht verpassen. Ich hatte mein Handy unmittelbar nach unserer Verabredung, so programmiert, dass es mich von da an, jeden Tag erinnere, dass ich ein Treffen mit Isabel auf dem Weihnachtsmarkt habe.

    Da ich zerstreut bin und gerne mal mich selbst vergesse, versuchte ich mich mittels dieses elektronischen Helferleins auf Spur zu halten. Meine neunmalkluge Tante Rosa sagte immer, wenn etwas schief ging: „Und wer ist schuld?“, und bevor Friedbert, ihr Mann, oder sonst jemand antworten konnte, schloss sie selbst: „Die Schneiderfrau.“ Die sei so neugierig gewesen, führte Tantchen aus, dass sie Erbsen gestreut hat, um den fleißigen und rechtschaffenen Heinzelmännchen auf die Fährte zu kommen. Aber die hätten das gemerkt und seien danach nie wieder gekommen. Wer wolle sich auch ertappen lassen?

    Nach dem kurzen Schreck, den der Erinnerungston meines Telefons ausgelöst hatte und dem Gedanken, dass ich heute, in viel zu knapper Zeit, Isabel treffen würde, beruhigte ich mich wieder. Am heutigen Tage sollte das Treffen ja gar nicht stattfinden. Trotzdem beschloss ich für heute, die Arbeit ruhen zu lassen. Kein Einspruch, keine Schrift oder Petition musste zwingend und auf dem letzten Drücker fristgerecht in den Gerichtsbriefkasten eingeworfen, kein Schreiben noch unbedingt bis morgen früh eingesprochen sein, damit meine Frau Koch aus dem Sekretariat es tippen konnte. Ich gähnte. Es war jetzt weit nach sechs und ich hatte keine Lust mehr. Für einen Moment surfte ich noch durch das Internet und verzog die Miene wegen des marktschreierischen Schreckens-, Mord- und Ekeljournalismus, den auch seriöse Zeitungen mittlerweile pflegen. Blutige Bilder, nackte Frauen, Sex and Crime und eine Portion Angst und Schrecken, das sind die Zutaten des Groschenromans und des modernen, investigativen Journalismus. Alles ist eine Katastrophe, wenn nicht der Untergang des Abendlandes. Ob die tote Frau in der Wanne, der Benzinpreis, das Fernsehen oder der nächste Terroranschlag. Widerlich. Bevor ich meinen PC herunterfuhr, las ich noch eine Mail von Frau Koch. Sie erinnerte mich, dass jemand vom Sicherheitsservice des Hauses heute wiederholt nach einem Termin gefragt hätte.

    Alle im Viertel waren ein wenig nervös geworden, wegen der einen Geschichte, als ein Spezialteam ins Haus gekommen war. Ein Mieter hatte wegen eines verdächtigen Geruches Alarm geschlagen. Am Ende war es ein chemisches Schulexperiment zweier Jungen gewesen. Die vom Haussicherheitsservice sollen sich mal nicht so haben, dachte ich, sammelte meine Utensilien ein, löschte die Lichter, verließ die Kanzlei und wollte zuschließen. Ein Jugendfreund, der jetzt bei der Staatsanwaltschaft ist, hat mich schon zu Schulzeiten damit aufgezogen, dass ich ein Klöterer sei. Damit meinte er meinen Schlüsselbund, der an meinem Gürtel „herumklötere“. Ich tat und tue mich immer noch schwer, Schlüssel wegzuwerfen. Mit der Zeit ist das Bund dicker geworden. Mit der Zeit habe ich Schlüssel am Ring gefunden, deren Schloss ich längst vergessen hatte. Fahrrad? Minitresor? Computer? Dummfug? Schlüssel gibt es ja für alles und ich weiß, dass es meistens lächerliche Sicherheitsbärte sind, die man so mitschleppt. Aber wegwerfen? Könnt’ ja was sein? Während ich meine Schlüssel unschlüssig durchfingerte, schaltete die Automatik der Flurbeleuchtung das Licht wieder aus. Schlagartig war es dunkel im Treppenhaus. Im gleichen Augenblick spürte ich in meinem Rücken Schritte. Ganz leicht. Federnd. Ich bekam eine Gänsehaut. Ich hasse das Gefühl, alleine und einer unbekannten Bedrohung ausgesetzt zu sein. Das hängt mit einem Traum zusammen, den ich als Kind hatte.

    Schon als Kind hatte ich einen Traum, der mir weismachte, dass ich aufgewacht sei.
    Damals träumte ich, dass ich wach werde und meine Kinderzimmertür aufschwingt. Ein Fremder erscheint im Rahmen und hinter ihm ist nur eine gähnende Leere. Er kommt wortlos zu mir an mein Bett. Und ohne dass ich mich wehren kann, hebt er mich heraus und trägt mich fort aus meinem Kinderzimmer.

    Obwohl ich wusste, dass es ein Traum ist und mir ein Traum nichts anhaben konnte, fürchtete ich mich Nacht für Nacht. Viele Male stahl er mich aus meinem Bett und jedes Mal dachte ich, es sei endgültig vorbei. Obwohl ich meinte, laut zu schreien und meine Familie aufwachen müsste, trug er mich wortlos durch die Tür in sein schwarzes Nichts. Jedes Mal, wenn ich dann mit rasendem Herz aufwachte, setzte ich mich auf die Bettkante, stellte meine Füße auf den Boden und vergewisserte mich, dass ich noch am Leben war. Und dann ärgerte ich mich, dass der Traum immer noch Macht über mich hatte.
    Irgendwann, als ich mal wieder auf der Bettkante saß und mich von meinem Alb zu befreien suchte, gewahrte ich den Teppich unter meinen Fußsohlen, spürte seine Beschaffenheit, den weichen Filz, die Härchen. Es war ein spektakuläres Gefühl und es war der Schlüssel, den fremden Mann zu besiegen. Denn ich konnte mich nicht entsinnen, in meinen Träumen jemals meine Füße oder den Boden unter meinen Füßen verspürt zu haben.

    In der nächsten Nacht, als ich wieder wach wurde, die Tür zu meinem Zimmer aufschwang, er in der Tür erschien und langsam auf mich zukam, dachte ich nur an eines: „Wenn du wirklich wach bist, dann stell deine Füße auf den Boden und spüre die Realität. Wenn du wach bist, wird er verschwinden.“ Aber er kam auf mich zu.„Stell sie auf den Boden“, schrie ich mich im Traum an, „Stell sie hin!“ Vollkommen unbeeindruckt, wie in den Nächten zuvor, kam er immer näher. Ich hatte das Gefühl, als würde ich wild strampeln und meine Beine durch die Luft wirbeln und meine Decke abwerfen. Alle meine Bewegungen waren vollkommen unkontrolliert, aber es gab einen Willen und einen Plan, sich dem Schrecken zu entziehen: „Bring sie auf den Boden!“

    Als er mein Bett fast erreicht hatte, war es mir endlich gelungen, meine Beine aus dem Bett zu wuchten. Ich spürte den Boden unter meinen Sohlen, spürte das Kratzen des Flors und dann machte ich meine Augen auf. Ich saß halb aufrecht im Bett, die Decke lag am Boden, mein Herz schlug wie wild aber er war verschwunden. Ich hatte wieder die Kontrolle und war wach. Nie wieder schaffte er es, mich aus dem Bett zu holen. Jedes Mal war ich schneller und am Ende so routiniert, dass er allen Schrecken verlor und nie wieder in der Tür erschienen war. Trotzdem blieb dieser Alb immer in meiner Erinnerung und sorgte wahrscheinlich mit dafür, dass ich den Schrecken vor der Dunkelheit, die Gänsehaut beim Betreten eines muffigen Kellers immer behalten habe. Die kindliche Angst, seine Welt mit einem Schlag ans Irrationale verlieren zu können, ist mir bis heute erhalten geblieben.

    Weshalb ich auch an dem Abend unfähig gewesen war, mich zu bewegen. Steif wie ein Brett stand ich zitternd vor der Kanzleitür. Ich wagte es nicht zu atmen und spürte, wie der Mann den Treppenabsatz erreichte. Ich spürte seine Körperlichkeit und betete, dass er weiter gehen möge. Dann machte es „Klack!“ und das Licht ging wieder an.
    „Viel besser! Im Hellen ist es angenehmer und im Dunklen finden Sie den Schlüssel sowieso nicht. Das ist übrigens ein beachtliches Bund, das Sie da tragen.“ Ich wusste überhaupt nicht, wie mir geschah. Die Stimme war warm, freundlich und sie hatte Witz. Von dieser Stimme hätte ich mich sofort in den Schlaf singen lassen. Trotzdem blieb mein Unbehagen und ich stotterte irgendwas zur Antwort. Offensichtlich war ich immer noch im Bann meiner Angst und hatte keine Kontrolle über meinen Körper.
    „Darf ich mal sehen?“, fragte er und sah mich aus stahlblauen Augen an, die unter seiner Schiebermütze hervorblitzten, und ich musste zweimal schauen, damit ich mich versicherte, dass er nicht der bekannte Schauspieler Armin Müller Stahl war. Er war es nicht. Aber er hätte es sein können.

    „Zeissikon H007“, sagte er nach einem kurzen Blick auf das Türschloss und zog fast gleichzeitig aus meinem Bund den richtigen Schlüssel heraus. „Das ist der Richtige.“
    „Danke“, antwortete ich und fragte spontan: „Wer sind Sie?“
    „Ich? Oh. Hier ist meine Karte. Ich muss weiter“, antwortete er leicht irritiert, steckte mir zum H007 Schlüssel seine Karte zwischen die Finger, drehte ab und mit einem „Klack“ ging das Licht wieder aus. Seinen Schritten nachlauschend blieb ich unentschlossen stehen. Dann erst tatschte ich nach dem Lichtknopf. Als das Licht wieder an war, besah ich die Karte. Sie war wirkte merkwürdig. Ich las: „Haben Sie Angst? Dann rufen Sie mich an.“
    Darunter stand eine Telefonnummer. „Albern“, dachte ich noch und beschloss wachsam zu bleiben. Ich bin Anwalt, trage Verantwortung, denn mein Beruf funktioniert nur, wenn die Regeln nicht beliebig sind. Mein Freund von der Staatsanwaltschaft hat es während unseres gemeinsamen Studiums so formuliert: „Wir tragen zwar keine Pistolen, aber dafür tragen wir Paragrafen – wir sind Lawman.“ Dabei hatte er mich angezwinkert und spielte auf die Western an, die wir beide uns als Kind so gerne angesehen hatten. Die Rollenverteilung in den Western gefiel uns damals. Der Mann mit dem schwarzen Hut war der Böse, der mit dem Weißen, der Gute. Die Zeiten haben sich geändert. Aber einfach so mit Kennerblick für Schlüssel und einer idiotischen Karte in fremden Häusern herumzuspazieren, finde ich nicht seriös.

    Noch in der U-Bahn, eingezwängt zwischen Zeitungslesern, die mit dem Format ihrer Seiten sichtlich Mühe hatten, begann ich, mein Handy mit den vordringlichsten Aufgaben zu füttern: Türschloss gegen alle Wahrscheinlichkeit einer Kompromittierung wechseln, die Telefonnummer auf der Karte des Toolbox-Mannes prüfen, meinen Freund von der Staatsanwaltschaft und die anderen Mieter von meinem Erlebnis in Kenntnis setzen, notierte ich eifrig. Ich war so beschäftigt mit dieser Aufgabenliste, dass ich fast meine Haltestelle verpasst hätte. Dank einer Dame und ihres fast unhöflichen Eingreifens schaffte ich es gerade noch, rechtzeitig auszusteigen. Ihr Gesicht kannte ich, weil ich ihr häufig früh oder abends auf meiner Linie begegnete. „Sieh an“, dachte ich, „Dann bin ich ihr also auch aufgefallen.“ Soziale Kontrolle ist so selten geworden, dass es auffällt.


    Still! Er kommt. Ich höre doch was? Oder nicht? Ruhig bleiben. Nicht durchdrehen. Nicht hinter jedem Knacken ein Genick vermuten. Aber warum habe ich am nächsten Morgen nichts von dem getan, was ich mir vorgenommen hatte? Wieso habe ich weder Nachbarn noch die Polizei informiert? Noch nicht mal das Schloss hatte ich wechseln lassen. Idiotischerweise habe ich die Telefonnummer von seiner Karte kontrolliert. Quatsch – kontrolliert habe ich gar nichts. Angerufen habe ich. Mehrmals. Am Tag danach und später auch noch. Immer war ein Anrufbeantworter dran: „Leider ist unser Team zurzeit vollkommen ausgelastet. Bitte hinterlassen sie nach dem Signalton eine Nachricht. Einer unserer Service Mitarbeiter wird sich in kürzester Zeit mit ihnen in Verbindung setzen.“ Und als ich bereit war, eine Nachricht zu hinterlassen, schaltete sich das Gerät mit dem Hinweis ab, das „die maximale Aufnahmelänge erreicht sei.“


    Seit dem Tag der Begegnung fiel mir der Schiebermützenmann und sein roter Werkzeugkoffer immer häufiger auf. Quasi im Stundentakt. Wenn ich, um mich vom Aktenstudium zu entspannen, aus dem Fenster auf die Straße blickte, wen sah ich? Eine Schiebermütze und einen roten Koffer, der in einem Hauseingang verschwand. Wenn ich eine vor Ort Besichtigung hatte, wegen irgendeiner verblödeten Nachbarschaftskrise, wen sah ich? Den Mann mit dem Koffer. Wenn ich einfach noch mal abends zum Supermarkt ging, wer kreuzte meinen Weg und verschwand wie ein Zauberer in irgendeinem Hausflur? Wen sah ich im Lokalfernsehen? Natürlich nicht als Protagonisten. Aber dafür spazierte er ganz ungeniert im Bildhintergrund herum. Er ging ein und er ging aus und niemand hinderte ihn daran oder schien ihn auch nur zu bemerken. Und immer wenn ich ihn sah, fütterte ich mein Handy mit weiteren Erinnerungen, dass ich etwas unternehmen müsse.

    An einem der nächsten Tage, als ich wie gewohnt Punkt Sieben die U-Bahn bestiegen hatte, bemerkte ich, dass die Dame, die mich kürzlich davor bewahrt hatte, meinen Ausstieg zu verpassen, ungewohnterweise nicht da war. Stattdessen saß er mir gegenüber. Ich ließ mir nichts anmerken und beobachtete ihn verstohlen. So gut es eben ging, denn weder links noch rechts von mir lasen andere Passagiere in überdimensionalen Zeitungen. Wie gerne hätte ich über manch Balkenüberschrift ganz unschuldig zu ihm hinüber hinweggespitzt. Aber ich tat mein Bestes und auch er ließ sich nichts anmerken. So fuhren wir von Station zu Station. Ich zuckte nicht, als meine Station angesagt, erreicht und wieder verlassen wurde. Jetzt wollte ich wissen, wo er aussteigt, was er macht und wo er bleibt. Als er endlich ausstieg, folgte ich ihm so geschickt und unauffällig wie möglich. Wir waren in einem Viertel, in dem ein Block neben dem Anderen stand. Arbeiterregale wurden diese Schuppen auch genannt. Gut, dass mein Handy auch ein Fotoapparat ist. Ich fotografierte, wie er in einem Hauseingang verschwand. Dann stand ich vor dem Zwanziggeschosser, in dem er verschwunden war.

    Ich blieb inmitten eines Wohnparks umringt von Wohnungsriesen stehen, wartete und fühlte mich zunehmend unwohl. Mit Hut, Mantel und Tasche, so wie ich mich am Morgen für die Kanzlei zurechtgemacht hatte, stand ich da und starrte auf den Eingang, durch den er verschwunden war. Natürlich vermutete ich, dass mich die Passanten misstrauisch beäugten. Das ist normal und heutzutage, wo ein vergessener Koffer Panik auslöst, all zu verständlich. Aber je länger er wegblieb, um so nervöser und unwohler fühlte ich mich. Nach einer gefühlten Viertelstunde zog ich die Krempe tiefer ins Gesicht und marschierte kurz entschlossen auf den Eingang zu. Mein Herz und mein Puls rasten. Dieses Gefühl war nicht nur unangenehm. Es war auch berauschend. Es war Adrenalin. „Was wäre, wenn?“, hämmerte es durch meinen Kopf. Als ich das von Klingelknöpfen und Namen übersäte Feld betrachtete und einen Weg suchte in das Haus hineinzukommen. „Irgendwo klingeln“, dachte ich, „irgendwo“. Ich drückte das Schild von I.Godard. Ich wartete. Sollte ich meine ganze Hand auf das Brett pressen? Ich sah mich um. Eine Frau schien sich, dem Eingang zu nähern und für einen Moment dachte ich, dass ich sie kenne. Ich spürte in den Achseln, wie ich schwitzte. Kurzerhand drückte ich mit der Handfläche eine Batterie von Knöpfen und fast zeitgleich ging der Summer.

    Erleichtert atmete ich im Foyer durch. Dann wurde mir bewusst, dass ich keine Ahnung hatte, wohin der Mann mit der Mütze verschwunden sein könnte und was ich machen sollte. Das Haus hatte zwar nur einen Eingang, aber etliche Etagen und noch mehr Türen. Hilflos stand ich da. Ich befürchtete, dass die Frau, die ich draußen bemerkt hatte, jeden Moment ins Foyer kommen könnte. Da sah ich, dass ich vor einem Fahrstuhl stand, der mir anzeigte, in welcher Etage, er zuletzt gehalten hatte. Der Lift erinnerte mich an Art Deco Selbstfahrer, die ich sonst nur in Filmen gesehen hatte. Die Schiebetüren waren verziert mit mehreren Halbbögen, die aufeinander aufbauten. Die Intarsien innerhalb der Bögen waren symmetrisch und in abwechselnden Schattierungen angeordnet. Über dem Rahmen waren in einem Halbkreis die Stockwerke in glänzenden Zahlen angebracht. Der goldene Etagenstandzeiger stand auf der Dreizehn. So erleichtert ich war, dass ich einen Anhaltspunkt für meine Suche gefunden hatte, um so nervöser wurde ich, als ich feststellte, dass der Knopf, den Fahrstuhl zu rufen, fehlte. Stattdessen sah ich neben der Tür nur ein Schlüsselloch und darüber eine dunkle Lichtanzeige, die bei Aktivierung ein „Fahrstuhl kommt“ signalisieren würde. Das kannte ich von Altbauten und nicht von modernen Wohnhäusern. Nur die Mieter bekommen einen Schlüssel für den Fahrstuhl und können ihn aktivieren. Aber ich bin ein Klöterer. Ich sah auf das Schloss, auf meinen Bund und der von mir ausgesuchte Schlüssel passte sofort. “Fahrstuhl kommt“ leuchtete in rötlichen Buchstaben auf und der große Zeiger auf der Dreizehn schob sich Nummer für Nummer nach unten. Als der Zeiger die Drei erreicht hatte, spürte ich ein Kribbeln auf meinem Rücken, und als der Zeiger die Eins fast erreicht hatte, hörte ich, wie sich ein Schlüssel in der Haustür drehte. Das kann nur die Frau sein, die ich glaubte, zu kennen. Auf einen möglicherweise peinlichen, gar kompromittierenden Moment, a la „Sie hier?“, hatte ich keine Lust. Ich konnte es kaum erwarten, bis der Zeiger die Null erreicht hatte. Als sich die Türen aufschoben, ich Gelegenheit hatte zu verschwinden, hoffte ich, dass sich die Türen wieder schlossen, bevor ich mich zu erkennen geben müsste.

    Mit einem PING kam ich im Dreizehnten an. Die Tür glitt auf und eigentlich hatte ich erwartet, dass der Mann mit der roten Box vor mir stehen würde, stattdessen, war alles ruhig. Ich schritt heraus und links und rechts von mir erstreckte sich ein grauweiß gestrichener Schlauch, der sich, starrte ich lang genug hin, sich endlos in die eine wie die andere Richtung zog. Was machte ich hier? Ich fragte mich, ob ich durchgeknallt sei. Dann hörte ich plötzlich, wie ein Schloss einer Wohnung entriegelt wurde und mein Handy klingelte.

    Ich weiß nicht mehr, wie ich es geschafft habe, den Klingelton zu unterdrücken und mich selbst in einem Türrahmen zu verbergen. Verzweifelt versuchte ich meinen Atem zu unterdrücken und sah abwechselnd auf das stumm blinkende Display in meiner Manteltasche, wo anklagend Büro blinkte und in den Wohnungstrakt, in dem er auf einmal stand. Gewissenhaft verschloss er die Wohnungstür, aus der er getreten war, richtete seinen Kittel und ging mit starrem Blick in meine Richtung. Sein Schatten zog an mir vorüber. Was wäre, wenn jetzt der Mieter, in dessen Rahmen ich klebte, hinter meinem Rücken die Tür aufzöge? Was wäre, wenn der Mützenmann sich umdrehte? Immerhin, er hatte mich nicht bemerkt. Wie aufgezogen und mit Tunnelblick war er an mir vorbeigegangen und routiniert wartete er auf den Selbstfahrer. „PING“ machte es und die Fahrstuhltür glitt auf. Er schritt in die Kabine und drückte eine Taste. Jeder normale Mensch dreht sich spätestens jetzt um und schaut wieder zurück. Ich befürchtete natürlich, dass er mich dann sehen könnte, und überlegte, in die Knie zu gehen; oder mein Versteck zu verlassen und in einen toten Winkel zu fliehen. Aber er rührte sich nicht und hielt sein Gesicht stur zur Kabinenwand gerichtet. Meine Intuition versicherte mir: Der dreht sich nicht mehr um. Und richtig: Die Tür glitt zu, ohne, dass er auch nur gezuckt hätte. Beinahe hätte ich mir kurz zuvor in die Hose gemacht und nun dachte ich schon wieder an den Maler Magritte und seine Spiegelbilder. Es hätte nicht viel gefehlt und ich hätte hysterisch losgelacht, aber ich hatte meine Nerven im Griff. Nun, da ich wusste, dass er weg war, löste ich mich aus dem Rahmen und ging zur Tür aus der er gekommen, um mir zu notieren, bei wem er gewesen war.

    Godard stand auf dem Klingelknopf. Zufall? Ich glaube nicht an Zufälle. Dieser Name war mir unten aufgefallen, diese Klingel hatte ich gedrückt. Hatte er mir aufgemacht? Wahrscheinlich. Deshalb hatte er sich auch nicht im Fahrstuhl umgedreht. Er wusste ganz genau, schon seit der U-Bahn, dass ich ihm gefolgt war, wusste, als es bei Godard klingelte, dass ich es sein musste, wartete ab, lauschte, bis er die Klingeln nebenan hörte und dann erst öffnete er mir die Haustür. Und hier im Flur tat er so, als sei ich gar nicht da. Er drehte mir demonstrativ den Rücken zu und lachte mir dennoch ins Gesicht. Raffiniert.

    Während ich mir Namen und Uhrzeit der von ihm Besuchten in mein Handy programmierte, funkte mir leider wieder mein Büro mit einem Anruf dazwischen. Mist. Ich nahm den Anruf entgegen. Es war Frau Koch, die fragte, wo ich bliebe. Im Fall Mann gegen Heinzel liefen Fristen aus. Das stimmte. Ich sah auf die Uhr. Fast elf. Es würde Mittag vorbei sein, wenn ich im Büro einträfe. Mein Abenteuer am Vormittag hatte länger gedauert, als ich es gedacht hatte und meine Pflichten es vertrugen. Trotz des Stresses und meiner Beschwichtigungs- und Erklärungsversuche gegenüber Frau Koch musste ich, während ich mit ihr sprach, fast zwanghaft an die Peanuts Zeichentrickfolgen im Fernsehen denken. Immer wenn bei den Peanuts die Erwachsenen auftreten, die man nie sieht, ertönen tiefe, lautmalerische Töne, die keinen Sinn, aber eindeutig Respekt einflößend genug sind, um die kleinen Nüsse wieder in die Spur zu bringen. Wenn man solche Dinge reflektiert, wird es einfacher zu gehorchen? Ich weiß es nicht. Jedenfalls sputete ich mich und versuchte auf dem Weg ins Büro nicht darauf zu achten, ob ich irgendwo den Toolbox Mann sehen würde. Ich sah ihn, aber ignorierte ihn.


    Wenn ich mir heute alles wieder durch den Kopf gehen lasse, frage ich mich, warum ich nicht schon früher meinen Freund ins Vertrauen gezogen habe? Warum ich nicht bei I.Godard geklopft, geklingelt oder angerufen habe? Warum ich nicht bei meinem Lokalsender angerufen habe und den Aufnahmeleiter gefragt, ob er den komischen Typen mit dem roten Werkzeugkoffer bemerkt hätte? Gar nicht zu reden von den Mietern, die oberhalb der Kanzlei wohnen.


    Es mussten wieder zwei, drei Tage nach der Begegnung in dem anonymen Hochhaus und etliche weitere zufällige Begegnungen mit dem Fremden verstrichen sein, als ich mich endlich dazu aufraffen konnte, meinen Freund von der Staatsanwaltschaft aufzusuchen. Es war ein spontaner Entschluss. Ich hatte für einen anderen Fall recherchiert und stolperte im Internet über Schlagzeilen wie Terror, Mord und Totschlag. Es war höchste Zeit, um Rat und Aufklärung zu bitten und ich ärgerte mich, dass ich solange damit gewartet und versucht hatte, hinter ein Geheimnis zu kommen, dass zu lösen nicht meine Aufgabe war. Ich hatte genug andere Akten, die ich wälzen musste. Es war zwar schon spät, aber wenn ich mich sputete, würde ich es noch vor Dienstschluss bis zu seinem Amt schaffen können. Die Straßen waren voller Hektik wegen des nahenden Feierabends. Eine Bahn, die proppenvoll war, fuhr genau vor meiner Nase weg und ich überlegte, ob ich es vielleicht mit einem Taxi versuchen sollte. Aber der Takt der Bahnen war kurz. Die Nächste erschien wenige Minuten später. Sie war ähnlich voll. Irgendwie quetschte ich mich hinein. Mir fiel die Uniformität der Bürger auf. Mantel, Hut, schlichtes Kostüm. Fast alle hatten Knöpfe im Ohr und ließen sich bedudeln. Die Musik schien sie, in eine andere Welt zu tauchen. Ich, der ich das Rauschen, Brummen, Atmen und Sirren hörte, fühlte mich ausgesetzt, aber wirklichkeitsbezogener als die Anderen, die sich mit Musik die Welt erträglich machten. Nur wer den größeren Nutzen hatte oder glücklicher war, wusste ich auch nicht.

    Als der Amtsgerichtsplatz erreicht war, musste ich die Schultern der Männer in ihren Trenchcoats fast gewaltsam auseinanderdrücken, um mich durch die Schiebetür auf den Bahnsteig zu zwängen. Fast gleichgültig ließen sie es mit sich geschehen. Vielleicht hätten sie erst aufgemerkt, wenn ich ihnen den Stöpsel aus den Ohren gezogen hätte? Die Zeit drängte, denn schon blinkten über den Türen, die Lampen, die zur unmittelbar bevorstehenden Abfahrt mahnten. Panisch schubste ich einen zusteigenden Passagier, der sich mitten im Weg befand, zur Seite, um nicht von den Türen eingequetscht und möglicherweise bis zum nächsten Bahnhof geschleift zu werden. Erst als ich auf dem Bahnsteig stand, drehte ich mich um, und erkannte, wen ich weggeschubst hatte. Es war Mr. Toolbox. Obwohl die Bahn sich in Bewegung setzte und sich sein Bild sich schnell verlor, war ich mir sicher, dass er mich unter dem Schirm seiner Mütze beobachtete und einen Schlüssel demonstrativ vor sein Gesicht hielt. Der Schlüssel erschien mir bekannt. Ich schluckte trocken und befürchtete, dass er bei dem unfreiwilligen Zusammenstoß, die Gelegenheit genutzt hatte, um mir meinen Schlüssel zu entwenden. Mit zitternden Händen zählte und befühlte ich die Bärte und beruhigte mich erst wieder, als ich den Zeissikon H007 in meiner Hand hielt. „Warum hätte er ihn stehlen sollen“, schalt ich mich, „wenn er doch eh Zugang zu den Häusern hatte?“ Dieser Gedanke erinnerte mich an mein eigentliches Ziel: meinen Freund.

    Ich hetzte die Stufen nach oben ans Licht. Ans Licht? Es war dunkel geworden. Matschig und dreckig war es in dieser Stadt ohnehin. Ich dachte in diesem Augenblick, ob ich nicht alles an den Nagel und mich nur noch meinem Hobby der Fotografie weit fort von hier in Feuerland oder Patagonien hingeben sollte? Was hatte ich hier verloren? Broterwerb nach Brago? Was scherte mich der Quark den Nachbarn sich gegenseitig unter die Nase hielten? Immerhin, vielleicht würde das Treffen mit Isabel Licht in mein Leben bringen? Aber das war jetzt nicht das Thema und ich musste zu meinem Entsetzen feststellen, dass die Behörde die Pforten schloss und die Lawmänner nach Hause strömten. Sie sahen alle gleich aus in ihren hellen Mänteln und breitkrempigen Kopfbedeckungen. Wie ein verirrter Junge, der seinen Papa sucht, vergriff ich mich mal an jener, mal an dieser Schulter und musste mich für die zahlreichen Verwechselungen entschuldigen. Sollte ich ihnen die Hüte vom Kopf schlagen? Plötzlich hörte ich die Stimme meines Freundes. Seine Stimme sprach von einem Mord, einer Frau, die in einer Wohnung eines Hochhauses tot in der Badewanne aufgefunden worden war, dann, abgelenkt durch eine Zwischenfrage von einer Überwachung, einer Zelle, deren Gefährlichkeit noch schlecht einzuschätzen sei, dann wieder von der schönen Toten. Ich wühlte mich durch die vielen hellen Mäntel immer seiner Stimme nach. Endlich erreichte ich ihn, aber leider erst, als die Meute die Bahnsteigkante erreicht hatte.

    Mein Freund erkannte mich nicht gleich und war verständlicherweise überrascht, mich zu sehen. Aber kaum das wir uns begrüßt hatten, blinkte an der Tafel ein stilisiertes Bild einer Bahn und kündigte deren Kommen an. Es blieb mir nur Zeit, ihm meine Beobachtungen in knapper Form zuzurufen und um Nachprüfung der Telefonnummer zu bitten. Als sich die Türen der Bahn schlossen, schaffte ich es gerade noch, die Visitenkarte des Werkzeugkoffermanns, zu ihm durchzustecken. Er rief mir durch die geschlossenen Türen zu, dass er sich darum kümmern und sich bei mir melden würde, sobald er etwas wüsste.


    Jetzt habe ich jedes Loch in meiner Wohnung zugenagelt und welche Chancen habe ich? Vermutlich keine. Wie viele Fertiggerichte habe ich? Mehr als genug. Mehr als ich aufbrauchen könnte. Kaffee? Soviel, dass meine Hände jetzt schon zittern und ich habe einen Lid Tic. Wenn ich einschlafe, wird er kommen. Das habe ich erlebt; das weiß ich. Ich werde ihn im Schlaf nicht aufhalten können. Im Gegenteil. Keine Ahnung, warum ich jetzt an meinen Onkel „Friedbert der Flieger“ denken muss. Ausgerechnet „Friedbert der Flieger“. Immer kujoniert von seiner Frau, meiner Tante Rosa, aber begehrt von seinen Neffen. Friedbert war Diabetiker. Der einzige Verwandte, dem wir Kinder Süßigkeiten zustecken konnten.


    II.


    Als Kind war ich häufig bei Friedbert und Rosa zu Besuch. Mein Onkel, der Segelflieger, genoss es, an seiner Zigarre zu knöseln und mir Dreikäsehoch von seinen Abenteuern zu erzählen. Währenddessen lief auch immer der Fernseher. Friedbert und Rosa hatten schon früh Farbfernsehen und ich genoss die bunten Bilder und die Abenteuer meines Onkels. Sein Flugabenteuer vom „Diamanten“, ist mir bis heute in Erinnerung geblieben. Er sei einen Diamanten geflogen, davon hatte er mir am Liebsten erzählt. Das Abenteuer begann in Neuchâtel oder in irgendeinem anderen Schweizer Kaff zwischen den Schweizer und französischen Alpen. Dort hätten sie ihn hochgezogen. Hoch und höher und ein Wetter, Kleiner, ein Wetter, sei das gewesen, dass er jeden Millimeter Erde unter ihm gestochen scharf gesehen hätte. Als sie ihn ausgeklinkt hatten, hätte er sich wie ein Gott gefühlt. Da oben schwebe man über allem. Niemand könne dich dort erreichen. Das sei besser, als tauchen. Und die Kulisse, die Alpen, der Fels, Kleiner, das drehe einem den letzten Rest an Verstand heraus und er hätte, Aufwind um Aufwind, Welle um Welle, gesucht und sich weiter hinaufgeschraubt. Normal seien dreitausend Meter Höhe, aber er war schon auf viertausend Meter und stieg noch, als er die Wolkentürme von West wie Ost bemerkt hätte. Zwei Fronten, eine dunkler als die andere. Es hieß zwar, dass niemand zwischen zwei Gewittersysteme geraten könne, aber ihm sei es passiert und er wusste, dass es seinen Segelflieger wie Papier zusammengeknüllt hätte, wenn er zwischen den Wolkentürmen bleiben würde. Der friedliche Ausschnitt unter seinen Füßen, mit den saftigen, grünen Almen und den schneebedeckten Gipfeln hätte mit einem Mal fremd und unwirklich gewirkt. „Da, Kleiner, hat Dein Onkel gedacht, dass sein letztes Stündlein geschlagen hätte. Aus! Aus und vorbei!“, rief Friedbert mit geharzter Stimme und klatschte in die Hände, als seien seine Pranken, die Wetterfronten, zwischen denen er gefangen gewesen sei. Nachdem seine Pranken zusammengeklatscht waren, schwieg er, sog an seinem Zigarrenstumpen, wuschelte mit seinen nikotingelben Fingern über mein Haupt, sog am Stumpen und schwieg wieder. Endlich sagte er: „Aus wäre es gewesen, Junge. Für immer. Aber zwischen den Türmen, zwischen den Fronten, gab es einen Schacht. Du musst Dir das, wie einen Schornstein vorstellen. Der Aufwind, der dort herrscht, ist mörderisch.“
    Ich war ein kleiner Junge, als ich Onkels Fliegergeschichten zu Ohren bekam und ich bin mir heute nicht mehr sicher, ob ich die Geschichten von Friedbert dem Flieger richtig verstanden hatte.


    Das Wochenende mit Isabel stand bevor. Es war Freitag und der Freitag war störungs- und irritierungsfrei verlaufen. Rote Koffer hatte ich nicht gesehen. Nach der Arbeitsroutine, für dich ich sehr dankbar war, beschloss ich, den Treffpunkt, den ich für morgen mit Isabel vereinbart hatte, schon heute, in Augenschein zu nehmen. Es könne nicht schaden, sagte ich mir, den Markt zu kennen, um Isabel weltmännisch zu den interessanten Ständen führen zu können. So machte ich mich nach Dienstschluss zum Diogenesmarkt auf, wo jedes Jahr der Weihnachtsmarkt stattfindet. Als ich auf die Bahn wartete, bemerkte ich, wie sich der Bahnsteig mit einem Schwall roter Mäntel füllte. Wo hin ich auch sah, sah ich rot. Rote Kapuzen und rote Mäntel. Schließlich saß ich in einem Waggon, in dem außer mir, sonst nur Weihnachtsmänner in ihren roten Kostümen saßen. Es stellte sich heraus, dass diese Kostümierung für einen Rekordversuch veranstaltet worden war. Tausende Weihnachtsmänner sollten sich vor der Tonne des Diogenes einfinden, und einen alten Weihnachtsmannrekord auslöschen. So zumindest verstand ich die Dialogfetzen, die mir während der Fahrt ans Ohr drangen. Am Ende stieg ich mit einer Kompanie Weihnachtsmännern im Schlepptau aus.

    Der Diogenesplatz ist groß. Der Platz ist bei Licht betrachtet eine Wüste aus Asphalt und Beton. Wenn man ihn zur Weihnachtszeit nicht mit Buden und Schaustellerattraktionen aller Art zugepflastert hätte, obendrein das größte mobile Riesenrad der Welt und die größte Tanne Mitteleuropas ins Zentrum des Platzes gestellt hätte, alle Besucher hätten sich vor Einsamkeit geschüttelt. Zur Weihnachtszeit war der leere Charakter des Platzes mit bunten Blinklichtern, Maronen-, Glühwein- und Knoblauchdüften, Gesängen und warmen Wünschen nebst grellen Schaubuden übertüncht worden. Ein totes Gesicht, das mit rotem Lippenstift grell überschminkt ist. Selbst die Tonne des Diogenes, sonst berührend und still wie das Innere eines Kirchenschiffes, war nur noch bunt und laut.

    Ich machte mich daran, den Markt zu erkunden. Mittlerweile hatte ich mich an die roten Mäntel, die sich blutstropfengleich um mich scharten gewöhnt, und nahm sie kaum noch wahr. In dieser Traube von Nikoläusen trödelte ich um den Markt und inspizierte die Waren. Immer in der Hoffnung, einen exquisiten Stand zu entdecken, der mir Isabels Respekt einbringen könnte. Am Deutlichsten blieb mir der Stand von den Grimms im Gedächtnis, die aus jedem zugerufenen Wort, Allegorien aus Büroklammern und Alltäglichkeiten zusammenschweißen und in einer Nussschale präsentieren konnten. Die Brüder forderten mich auf, sie mit einem Wort zu füttern. Sie schmeichelten mir, dass ich ganz offenkundig ein Mann des Wortes sei. Sie gaben erst Ruhe, als ich Ihnen nachgab und ihnen das Wort „Paragraf.“ zurief. Sie waren entzückt und schnell war das § Zeichen aus Bürodraht geformt. Dann bastelten sie noch einen Galgenbaum und erhängten mein Zeichen. „Nicht originell, aber knallig“, dachte ich, als ich das in einer Walnussschale präsentierte Ensemble in Empfang nehmen wollte. Aber statt des Kunststücks bekam ich mit einem Mal einen Ellenbogen von hinten in die Seite gedroschen. Mir blieb der Atem weg, ich drehte mich um und sah noch, wie ein Weihnachtsmann Fersengeld gab. Offensichtlich war ich in seinen Fluchtweg geraten. Bevor ich, halbwegs zu Atem gekommen, Verwünschungen hinterher rufen konnte, zerrte mich plötzlich einer der Grimms weg und schmiss mich zu Boden. Eine ganze Meute von Weihnachtsmännern, die Befehle brüllten und Handfeuerwaffen im Anschlag hielten, stieb wie eine Bisonherde über das Pflaster. Wäre ich stehen geblieben, die Herde hätte mich totgetrampelt. Als die rot kostümierte Stampede vorbei war, riss ich mich leicht benommen vom Bruder Grimm los und stolperte der Meute hinterher. Heute weiß ich, dass er mich gerettet hat. Damals wollte ich weg und lieber wissen, welche Seltsamkeit es mit diesen Nikoläusen auf sich hatte.
    Die Verfolger riefen „Stopp!“, „Polizei!“ aber es fielen keine Schüsse. Der Flüchtende wurde schließlich geschnappt. Als ich den Ort der Festnahme erreicht hatte, konnte ich erkennen, wie ein am Boden liegender Weihnachtsmann, umringt von einem Pulk aus roten Mänteln, mit Baseballschlägern malträtiert wurde. Fast wäre ich nach vorne gestürzt, um der Gewalt ein Ende zu setzen. Aber zwischenzeitlich hatten einige aus der Weihnachtsmanntraube ihre roten Mäntel fallen gelassen und darunter kamen grüne Polizeijacken zum Vorschein. Alle hatten auf dem Rücken Dreiecke, Quadrate oder andere Swastika aus reflektierendem Material aufgeklebt bekommen; vermutlich zur Kennzeichnung der Teamzugehörigkeit.
    Erst später fiel mir ein, wie seltsam eine Kennzeichnung ist, die unter einem Mantel verborgen bleibt.

    Trotz der Polizeiuniformen und dem Gefühl, viel zu tief in einen Strudel der Gewalt hineingeraten zu sein und obwohl ich meinem Instinkt Reißaus zu nehmen, kaum noch zu beherrschen vermochte, zückte ich meine Handykamera und versuchte, die planlose Gewalt der Gesetzeshüter einzufangen. Es war schier unmöglich, hinter der Mauer aus Beinen und Stiefeln, das am Boden liegende Opfer zu fokussieren. Der Atem stand, die uniformierten Männer lachten hässlich, ich hörte dumpfe Schläge, das Bild im Display war körnig verwackelt und ich dachte, in einen Albtraum geraten zu sein. Zunehmend aufgeregter fotografierte ich schließlich alles, was mir vor die Linse kam, und achtete nicht mehr auf den Ausschnitt. Es machte ein-, zweimal das verräterische Ratschgeräusch eines Kameraverschlusses und die Aufmerksamkeit der Meute schwappte abrupt zu mir rüber.
    Auf einmal sah ich die aggressive Fratze eines kurz geschorenen Ordnungshüters im Sucher. Sein Gesicht hatte trotz oder wegen der Kälte die Färbung eines Pavianhinterns und ich hatte das Gefühl, als sei ich in ein Raubtiergehege eingedrungen. Ich überlegte nicht mehr und nahm meine Beine in die Hand. Was zu viel war, war zu viel. Ich rannte wie der Teufel. Der Diogenesmarkt verzerrte sich so, als hätte ich auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt. Adrenalin durchströmte meinen Körper und ich lief, wie ich glaubte, nie zuvor gelaufen zu sein. Es war ein Rausch. Ausgelöst durch die Angst, meine Existenz zu verlieren. Existenz? Was für ein Wort? Leben. Die wollten mich. Die klebten mir am Arsch und wollten zuschlagen. Keine Diskussionen, keine Worte, keine Reflexionen. Einfach das Licht ausmachen. So unerbittlich wie der Timer in einer anonymen Flurbeleuchtung. Klack. Licht aus.

    Bis ich wieder in der Lage war, mich von der Adrenalinlichtgeschwindigkeit auf Echtzeit zurückzubeamen, war die U-Bahn schon viele Stationen gefahren. Das Wort „Abgehängt“ dröhnte in mir nach, als ich mir bewusst wurde, dass ich in einem Waggon einer U-Bahn stand und mich trotz meiner zitternden Knie an einem Handgalgen senkrecht zu halten vermochte. Abgehängt. Ich hatte sie abgehängt. Was für eine verrückte Scheiße. Ich lachte. Niemand außer mir war im Waggon. In den Displays des Fahrgastfernsehens lief unter dem Thema Lifestrips eine Art Daumenkino unter dem Titel „Was ein Leben.“ ab: Der Protagonist liest sein eigenes Tagebuch und glaubt nicht, dass es sein Tagebuch ist. Stattdessen beglückwünscht er neidisch den Tagebuchautoren für sein erfülltes Leben.
    Bevor ich begreifen konnte, was sich mir dargeboten hatte, kamen aktuelle Lokalmeldungen: Anschlag auf Weihnachtsmarkt in letzter Sekunde verhindert. Tausende verdanken der Polizei ihr Leben. Im Geschenksack vom Nikolaus lauerte die Todesbombe. Die Bilder, die zu diesen Headlines eingespielt wurden, erinnerten mich allerdings nicht an meine Begegnung mit den Santas, die ungeniert einen Anderen niederknüppeln. Die Bilder zeigten schwarz uniformierte Sondereinheiten, die vorschriftsmäßig einen normal gekleideten Bürger abführten. Die Sackbombe wurde von einem Bombenentschärfungsroboter ganz steril aus irgendeinem Papierkorb geholt. Es gab keine Baseballschläger, keine Swastika. Alles war, wie nie geschehen. Mit einer Hand am Galgen fuhr ich durch die schwarzen Tunnel der U-Bahn. Ich kann mich nicht erinnern, wie lange ich so stand. Fahrgäste kamen, Fahrgäste gingen. Gesprächsfetzen rauschten vorüber. Mal wurde über den Anschlag getuschelt, mal über die Frau, die in der Badewanne verblutet war. Ich sah mich selbst, von links oben gefilmt, im Abteil stehen. Ich sah mich, als sei ich nur eine Erinnerung meiner Selbst. Erst als mein Handy vibrierte und mir signalisierte, dass ich eine Nachricht erhalten hätte, kam ich wieder zu mir.

    Alles in Ordnung las ich. Mein Lawman hatte die Visitenkarte überprüft. Mach Dir keine Sorgen, las ich. Der Mann mit dem roten Werkzeugkoffer ist keine Bedrohung. Im Gegenteil. Aber mehr darf ich Dir nicht sagen. Wieder und wieder las ich die SMS und verstand nichts. „Was darf er nicht sagen?“, fragte ich mich. Und: „Was ist das Gegenteil von Sorgen? Muss ich nicht mehr sterben? Oder bin ich schon tot und brauche mir deshalb keine Sorgen mehr machen? Aber vielleicht sollte ich beherzigen, dass mein Freund kein Idiot ist? Vielleicht bin ich dabei durchzudrehen? Was ist das Wahrscheinlichste?“
    Mit der letzten Frage legte ich mir selbst Ockhams Rasiermesser an die Kehle. Was ist die einfachere, die elegantere Erklärung: Sind alle anderen durchgedreht oder bin ich es? Und wenn ich durchgedreht bin? Dann sollte ich mir nichts anmerken lassen, um nicht in den Strudel der Psychiatrie zu geraten. Was aber auch bedeutet, dass ich nicht mehr weiß oder beurteilen kann, ob ich durchgedreht oder normal bin? Oder als Normaler unter Verrückten durchgehen kann? Oder umgekehrt?

    Zum Glück lösten sich alle Fragen in Wohlgefallen auf, als ich bemerkte, dass ich dabei war, meinen Mantel an der Garderobe meiner Wohnung abzulegen. Trotz der Existenzängste, der wirren Gedanken, der allzu sehr entzündeten Fantasie, hatte ich es oder die Vernunft in mir, ganz souverän zu meiner Wohnung geschafft. Ich kam mir in diesem Augenblick sehr albern vor. Da hatte ich Teufel und Dämonen im Blut, aber statt durch die Gegend zu irren und hinter jedem Busch einen Dieb zu vermuten, war ich ganz ordentlich nach Hause gegangen.
    Ich schalt mich, dass ich mich so kirre hatte machen lassen. Bei einem Glas Rotwein und laufenden Fernsehbildern las ich meine Mails. Frau Koch hatte mir in der Zwischenzeit ein Dutzend gesendet. Ich ermahnte mich, endlich den Bitten meiner Frau Koch nachzukommen und mich um den Sicherheitscheck des Vermieters zu kümmern. Ich speicherte die betreffende Telefonnummer als Erinnerung in meinen Organizer. Dabei stolperte ich über die Fotografien vom Diogenes Markt. Sie wirkten auf mich auf einmal fremd. Unecht. Schlecht und hilflos. Ich löschte alle Bilder dieses Tages, sowie alle anderen Notizen die ich in diesem Zusammenhang gemacht hatte. Nur bei der SMS meines Freundes zögerte ich kurz, dann löschte ich sie auch. Es war einfach lächerlich, beruhigte ich mich. All die Erlebnisse auf dem Diogenes Markt verdrängte ich und schmunzelte darüber, was ich mir eigentlich vorgestellt hatte, dort zu tun oder gesehen zu haben?

    Der Wein schmeckte gut. Ich blieb noch länger auf, saß auf meiner Couch und zappte durch die Programme. Es war der übliche Mist aus Boulevard, drohenden Katastrophen, Weltuntergangsszenarien oder ermordeten Frauen. „Einerlei“, dachte ich „Es ist doch einerlei, ob sie mir von einem Terroristen oder Mörder berichten oder ich den Toolboxmann im Hintergrund herumlaufen sehe?“ Es sei nicht mein Job alles zu ergründen und ich solle einfach meinen Job machen und gut ist, beschloss ich den Abend und ging zu Bett. Ich hatte das Gefühl, dass meine Selbstsicherheit, die ich lange vermisst hatte, zurückgekehrt war. Als ich das Licht ausmachte und die Augen schloss, ruhte ich in mir selbst.

    Ich träumte. Ich träumte den Traum aus meiner Kindheit. Aber statt der aufschwingenden Kinderzimmertür hörte ich ein Klacken, ein Schnappen einer Verriegelung, die geöffnet wird und ich spürte, wie jemand in meine Wohnung eintrat. Träumte ich es oder war ich wach und der Eindringling wirklich? Ich musste es geträumt haben. Ich lag im Bett und ich schlief. Und wenn nicht? Wenn er in die Wohnung eingedrungen war? Vielleicht war er schon im Schlafzimmer und hat sich neben meinen Kopf gekniet und seinen Koffer geöffnet? Aber ich träumte doch alles? Aufwachen! Ich musste aufwachen. Um wach zu werden, muss ich meine Füße auf den Boden stellen, meine Sohlen auf dem Boden spüren, meine Augen öffnen und meine Nachtischlampe anmachen. So funktioniert der alte Trick. Ich quälte, ich strampelte mich aus meinem Schlaf heraus.

    Ich saß auf der Bettkante und atmete tief durch, denn ich spürte den Boden unter meinen Füßen. Ich sah mein Schlafzimmer im trüben Licht meiner Nachttischlampe und spürte meine Füße. Ich war wach.
    Es war alles in der Ordnung. Ich stand auf, öffnete die Schlafzimmertür und vor mir lag der lange Flur in dessen Mitte sich ein Durchgang zum Wohnzimmer öffnet und an dessen Ende das Bad liegt. Gemächlich watschelte ich über das Parkett zum Bad. Als ich den Durchlass zum Wohnzimmer passierte, schauderte es mich unmittelbar und ich bekam eine Gänsehaut. Ich öffnete die Badezimmertür, ging hindurch, schloss sie ab und hörte den schmatzenden Sound meiner Füße auf den kühlen Fliesen und spürte sie auch. Aber ich ging nicht auf die Toilette. Ich ließ nicht Wasser. Stattdessen stellte ich mich vor das Waschbecken. Ich stützte meine Ellbogen auf die Kanten des kühlen Emaille auf und atmete durch. Unvermittelt drehte ich den Wasserhahn auf, beugte mein Gesicht hinunter, wollte mein Gesicht benetzen und schaute doch noch mal in den Spiegel: Ich sah mich klar und deutlich. Aber ich sah nichts dahinter. Ich sah nur mein Gesicht, vor einer gähnenden Leere. Im selben Moment hörte ich, wie sich hinter mir, in meinem Rücken, ein Schlüssel im Schloss drehte. Die Badezimmertür öffnete sich und schwang lautlos auf. Jemand trat ein. Meine Nerven schrien, dass der Eindringling gekommen sei, dass er von mir Besitz ergreifen wolle. Erst in diesem Moment wachte ich auf.

    Es war noch früh am Morgen an diesem Samstag. Der Sichelmond stand tief, aber scharf gestochen am Himmel. Die Sonne ging grade erst mit violetten Lichtvorläufern auf. Es würde ein schöner, aber sehr kalter Morgen werden. Ein glasklarer Himmel deutete sich an. Ich sah aus meinem Fenster auf einen Hang an dem viele kleine, weiß gestrichene Häuser stehen. Noch waren sie unscheinbar, grau und stachen kaum aus dem Dunkel ab. Wenn aber die Sonne aufgegangen sein würde, würde das Weiß ihrer Fassaden das Licht dutzendfach spiegeln und einen unwirklichen Glanz ausstrahlen. Einen Glanz, der alles übertünchen würde. Es ist eine gute Gegend, in der ich wohne. Es gibt unter den Hausbewohnern auch ein paar, die mich konsultiert haben. Wie immer wegen Nachbarschaftsstreitigkeiten.

    Ich nippte an meinem schwarz gebrauten Kaffee und dachte daran, dass doch einer der Besitzer der weißen Häuser den Mut haben sollte, seine Fassade in schwarz, oder in blutrot zu streichen. Einfach mal gegen den Gleichschritt treten oder den Takt schlagen? Natürlich war das ein alberner Gedanke. Als Beobachter fällt es mir leicht, mir vorzustellen, wie es wäre, wenn sich jemand in einer Gruppe anders als der Rest verhielte. Meines Erachtens hat dergleichen Verhalten auch Charme, wenn es einen Funken Esprit hat. Es ist aufregend, weil es anders ist und wenn es intelligent ist, ist es witzig. Ein Teil meines Jobs ist es, diese Menschen, diese Außenseiter zu verteidigen. Natürlich kann es auch meine Aufgabe sein, die weiße Fassade vor dem schwarzen Punkt zu verteidigen. Auch das. Aber niemals war ich ein Teil der einen oder der anderen Partei, oder begehrte es zu werden. Verteidigen, Fürsprechen? Ja. Gemeinmachen? Nein. Diesen und ähnlichen Gedanken hing ich an diesem Morgen nach. Die Sonne stand schon weit über dem Horizont und der Berg der weißen Fassaden strahlte in voller Pracht, als ich gegen Mittag meine Mails abrief und einen Schrecken bekam. Eine Nachricht von GIsabel. Natürlich. Es konnte nur eine Absage unseres Dates sein. Warum hatte ich mich auch damals darauf eingelassen, mich erst so spät nach dem Speed-Dating mit ihr zu treffen? Oder hatte ich auf den Termin gedrungen? Ich wusste es nicht mehr. Aber vor allem: Warum hatte ich ihr nicht wenigstens alle zwei, drei Tagen mal eine Mail geschrieben? Was für ein Idiot ich doch sei, verfluchte ich mich selbst, als ich die Mail mit einem Klick öffnete. Sie wollte, dass ich zu ihr komme. Zu ihr nach Hause. Heute. Wenn ich wolle, sofort. Das war ein Schlag. Sie schrieb, dass ihr wegen der ganzen Geschichten, die neuerdings passierten, der Diogenesmarkt nicht mehr gefalle. Sicher und geborgen fühle sie sich momentan nur in ihren eigenen vier Wänden. Wenn ich bei ihr sei, könne man ja immer noch losziehen. Aber weihnachtlicher und gemütlicher als bei ihr, sei es nur in Bethlehem. Ich möge schnell antworten, aber sie werde jetzt ein Schaumbad nehmen. Wie ein Idiot grinste ich gegen die Sonne. Was hatte ich mir wieder eingeredet? Ich war ich und Isabel war Isabel und die Welt war schön. Ein Bad? Ein Bad hatte ich auch nötig. Zeit war’s.

    Frisch frottiert stolzierte ich durch meine Wohnung und fühlte mich wie neugeboren. Als ich mir den letzten Schliff anlegte und vor dem Spiegel meinen Schlips mit doppeltem Windsor am Kehlkopf zusammenschnürte, schon bereit war Hut und Mantel zu greifen, fiel mir auf, dass ich keine Ahnung hatte, wo Isabel wohnt. Wo wohnte sie? Ich hatte keine Ahnung, dachte aber, ich hätte es in der Mail gelesen. Herausgeputzt klappte ich mein Notebook wieder auf, schaltete es ein, lockerte den Windsorknoten, den ich so stramm gezogen hatte, als wollte ich mich daran erhängen und wartete ab, bis es sich hochgefahren hatte. Während dieser kurzen Zeit schaute ich aus dem Fenster und sah ihn: den Toolbox Mann. Er lief in ein Haus, keine hundert Meter Luftlinie entfernt von mir. „Es ist in Ordnung“, beschwichtigte ich mich und konnte es kaum erwarten, dass mein Laptop die Anmeldemaske zeigte.

    Nachdem ich mich angemeldet und meine Mailbox aufgerufen hatte, erhielt ich zu erst eine Nachricht von Frau Koch. Frau Koch und ihre Erinnerungen. Frau Koch musste gar nicht mehr vor ihrem PC sitzen. Diese kleinen, spitzen Erinnerungen würden die Maschinen solange generieren, solange es Mutter Koch befahl. Sie verstand die Technik. Sie konnte sie zu ihrem Zweck und Vorteil nutzen und mich wie einen Sklaven aufs Rad damit spannen. Es ging mal wieder um den Sicherheitscheck. Was sonst? Ich kritzelte die Nummer der Firma genervt auf und öffnete die Mail von GIsabel. Wo war ihre Adresse? Ich scrollte hinab, hinauf und sah es nicht. Erst als ich die Mail ausdruckte, erkannte ich in der Signatur die Adresse und fühlte mich verlorener als mein Onkel Friedbert, als er seinen Diamanten fliegen musste, um sich vor dem Nichts zu retten.


    „Junge, ich war verloren“, rief Onkel Friedbert und sog wieder am Knösel. „Da hing ich nun mit meinem Kopf Tausende Meter hoch in dieser Plastikbox und drehte verzweifelt meinen Hals. Unter mir die schönste Welt: grün und gesund. Aber links und rechts? Tiefschwarze Aussichten. Es gab keinen Ausweg. Nur diese Gewitterfronten, die mich zermahlen würden. Es war aussichtslos. Aber dann sah ich den Schlauch. Weißt du, was ein Schlauch ist, Junge? Ein Schlauch, das ist wie ein Kamin, ein Schornstein. Wenn du im Sog bist, wirst du mitgerissen. Als ich keine Rettung mehr sah, sah dein Onkel einen Schlauch. Eine Rettung. So klar und deutlich, wie du vielleicht schon Sonnenstrahlen gesehen hast. So sah ich meinen Strahl, meinen Notausgang, meinen Lift in die Freiheit.
    Ich riss meinen Steuerknüppel herum und steuerte meine Nase in das Zentrum des Schlauchs und wie beim Staubsauger von Deiner Tante Rosa, schießt es mich direkt in den Beutel. Es reißt mich nach oben. Die Aufwinde, die Welle, Thermik war so stark, dass es mich doppelt so schnell in die Höhe riss, wie ich es sonst gewohnt war. Wenn mich aber die Fronten, die sich da West wie Ost aufgetürmt hatten, erwischt hätten, das hätte mich ohne Gnade zusammengeknüllt. Allerdings stieg mein Höhenmeter auf sechs, auf sieben, ja auf achttausend Meter und mehr. Junge, es hätte mich kaputtmachen müssen, aber ich war nicht mehr bei mir und sah nur aus dem Augenwinkel wie der Höhenanzeiger verrückt spielte.
    Für einen Moment hatte ich das Gefühl, ich würde das Weltall berühren können. Es war so ruhig gewesen mit einem Mal. Alle Farben waren gestochen scharf voneinander abgehoben. Ich schwitzte Todesängste aus und war auf einmal ganz bei mir. Alles war ganz selbstverständlich, taub und wie schwerelos. Das ist der Himmel, dachte ich noch, aber dann riss es mich hinunter, dass ich fast den Verstand verlor, aber ich schaffte es, meinen Flieger über den Sturm zu bringen.
    Ich war über die Gewittersysteme und in Sicherheit gesegelt. Die Welt hatte mich wieder und ich fühlte, dass ich etwas geschenkt bekommen hatte. Gelandet bin ich ganz wo anders, als ich gestartet war und deine Tante hat mehr als einen Tag gebraucht, mich zu wieder zu finden. Aber so glücklich Rosa zu sehen, war ich noch nie gewesen.“

    Wo ist mein Schlauch, mein Diamant, fragte ich mich, als ich die Adresse schwarz auf weiß vor mir sah. Ich kannte die Adresse. Ich kannte den Block, das Haus, die Wohnung. Dreizehnter Stock. Godard. G. Isabel oder I. Godard. Alles bekannt. Es war ein Trick. Alles war ein Trick. Es musste ein Trick sein. Während ich den Ausdruck in meiner Faust zerknüllte, sah ich raus und natürlich sah ich ihn: den Mann mit der Box. Wieder ging er ein Haus weiter und wieder kam er ein Haus näher. Rein intuitiv griff ich mein Handy und wählte die Nummer, die ich mir aus der Mail von Frau Koch abgeschrieben hatte: „Leider ist unser Team zurzeit vollkommen ausgelastet. Bitte hinterlassen sie nach dem Signalton eine Nachricht. Einer unserer Service Mitarbeiter wird sich in kürzester Zeit mit ihnen in Verbindung setzen.“ Ich legte auf und lachte lauthals auf. Alles entglitt mir. Ich dachte sofort an Isabels Zeilen: „So richtig geborgen fühle ich mich nur noch in meiner Wohnung.“ „Ha! Ha!“, antwortete ich im Geist. Aber hatte Isabel mir diese Zeilen geschrieben? Nein. Das war ein Fake. Ich sollte aus meiner Wohnung raus. Das Feld räumen. Er sollte freie Bahn haben und mich manipulieren oder sonst wie umprogrammieren können. Niemals! Was stand auf seiner Karte? „Haben Sie Angst? Dann rufen Sie mich an.“ Ja, sicher. Und wenn ich anrufe, dann seid ihr nicht da und doch überall, und wenn ich nicht aufpasse, dann schnappt ihr euch mich! Dann manipuliert ihr mich so, dass mir alles andere egal ist und ich alles fresse, was ihr mir erzählt. Dann ist der Osterhase der Weihnachtsmann. Was hat mein Lawman gesagt? Es ist alles in der Ordnung? Ja, sicher. In der roten Kiste sind genug Werkzeuge, um auch noch die schrägste Schraube anzuziehen, nicht? Nicht mit mir.


    Ich bin jetzt achtundfünfzig Stunden wach. Ich habe Ihnen alles erzählt und Sie werden immer noch glauben, dass ich halluziniere oder durchgedreht sei. Aber es ist meine Wahrheit. Ich bin bedroht. Mein Leben, meine Unversehrtheit ist in Gefahr. Ich werde terrorisiert. Still! Ich glaube er kommt. War da nicht ein Geräusch? Ich könnte ja durch den Spion sehen? Geht nicht. Gut zu wissen, dass seine Schlüssel nicht ausreichen hier hereinzukommen. In meine Wohnung wird er sich nicht schleichen können. Er muss sie schon aufbrechen.
  • Wir sind WinnendenDatum18.03.2009 10:27
    Foren-Beitrag von Brotnic2um im Thema Wir sind Winnenden

    Die Frage, wer denn mehr Amok läuft, der Tim K. oder z.B. der Kai D? Ist mehr als berechtigt. Leider kann sich der eine nicht mit seiner Knarre erschießen. Würde aber auch nichts nutzen. Wenn Kai D. Munition wäre, die Medien könnten unendlich nachladen. Bis zur nächsten Flashgrafik. Wobei so ein Amoklauf durchaus belebende Momente hat. Faszinierend.

  • BlumenmannDatum23.05.1970 05:10
    Thema von Brotnic2um im Forum Kurzgeschichten, Erzäh...
    Der Blumenmann



    Es war nicht November, aber es war auch kein Sommer, als sie von ihm Abschied nahm. Es war nicht warm, nicht kalt, noch trocken oder feucht, der Tag fühlte sich nach nichts an: geschmacksneutral. Sie konnte nicht umhin zu registrieren, dass alle anderen diesen Tag so lebten wie alle Tage: gewöhnlich. Dass um die Ecke einer in die Grube fuhr? Wen sollte das bekümmern? Das Aufhebens wäre nur dann von Belang gewesen, wenn es sein Herz mitten am Tage auf der Straße und nicht mitten in der Nacht auf dem Weg zur Toilette zerrissen hätte.
    Nun war er fort. Nein, nicht fort gegangen sondern in eine Holzkiste gesteckt und vergraben und verbuddelt worden. Sie fühlte sich wie eine Verräterin und ahnte schon, als sie die letzte Hand am Grab geschüttelt hatte, dass sie nicht willens war, aufzuarbeiten oder Trauerarbeit zu leisten. Sie hatte in ihrem Leben gelernt, dass es vorrangig darauf ankam zu funktionieren. Die inneren Dämonen? Gingen keinen was an.

    Nun waren nach seinem Tod die Monate ins Land gegangen und sie hatte ihre Pflicht erfüllt und sehr gut funktioniert. Sie sah nicht, dass sie verhärmter wirkte als zuvor und wenn sie jemand darauf aufmerksam gemacht hätte, dann hätte sie wohl auch nur den Kopf geschüttelt, weil sie so eine dusslige Feststellung für nicht der Rede wert gehalten hätte. Wie, so hätte sie gedacht, sollte es auch anders sein, wenn einem der Mann, Freund, Partner und Geliebter aus Jahrzehnten einfach so wegstirbt? Aber es machte sie auch keiner aufmerksam, so dass sie sich hätte rechtfertigen müssen. „Hauptsache, du gibst nicht nach und lässt dich nicht gehen; Hauptsache du gießt die Blumen, machst die Wäsche, wechselst Gardinen, putzt den Flur und pflegst dich anständig“, dass war ihr Mantra, wenn es zu still in den Zimmern ihrer Wohnung geworden war und die Dinge nur das waren was sie sind: stumm.


    I.

    An einem Nachmittag, mitten in der Woche, klingelte es plötzlich an ihrer Tür. Sie war irritiert und gestört zugleich, denn das Klingeln platzte herein in ihre blaue Stunde, die sie sich schon immer gönnte. Damals noch mit Vogel und Katze. Es war ihre Mittagspause, die sie zu einer stillen Einkehr überhöht hatte. Damals hatte sie sogar noch geraucht, aber ganz diszipliniert, nur drei, vier Zigaretten am Tag und sehr gepflegt, dazu genehmigte sie sich einen Fingerbreit guten Scotch und lächelte über die, die ihre Figur und ihren Verstand mit süßlichem Zeug vergeudeten und vermanschten und freute sich lieber über guten Geschmack und die Anhänglichkeit ihres Vogels.
    Die Katze hatte er angeschafft, der Vogel, ein Nymphensittich, war schon immer ihrer gewesen. Die Katze lag abends auf seinem Schoss und schnurrte, und ihr Ari saß auf ihrer Schulter und gab ihr Köpfchen.
    Ihr Mann hatte vor seinem Tod viel und lang in der Filterfabrik gearbeitet, war wortkarg vom Wesen aber immer zuverlässig und tüchtig. Diese Tugenden schätzte sie an ihm. Phantasie aber ging ihm dafür ab. Katze hieß Katze bei ihm und auch alle anderen Dinge, Gegenstände, Menschen und sein Weib – oder auch mal fast zärtlich sein Mädchen - pflegte er in den allgemeinen oder oberflächlichen Namen zu benennen oder zu rufen. Nur manchmal, wenn Katze um ihn herumscharwenzelte, wenn er sich seinen „Stinkerkäse“, wie sie ihn despektierlich nannte, zubereitete und auf Brot mit Zwiebel, Salz, Pfeffer und Paprika genoss und nebenher einen Finger in ein Schälchen Kräuterquark tunkte (“der Gaumen muss geschmiert sein, Weib“) und ihn ableckte oder ihn von Katze unter beiderseitigen gutturalen Geräuschen ablecken ließ, da konnte es bisweilen geschehen, dass er Katze lächelnd Schnurri nannte.


    Vogel, Scotch und Zigarette fehlten schon seit langem an ihren blauen Mittagen, als die Klingel sie aus ihrer Einkehr brachte. Sie fand das Geräusch der Klingel immer schon hässlich, aufdringlich und ohne Takt. Langsam erhob sie sich aus ihrem Sessel, rieb sich die Augen und während erneut der Summer noch zweimal gequält ertönte, war sie zum Plattenspieler gegangen, hatte den Tonarm gelupft und unterbrach das wunderbare Orgelkonzert von Helmut Walcha. Auf den Geschmack von Whiskey oder Tabak konnte sie in ihrer blauen Stunde verzichten, aber niemals auf gute Musik. Unerträglich fand sie das Bild eines Plattentellers, der unter der nahen, aber doch entfernten Nadel kreist, die Einsamkeit und Stille in Musik verwandeln kann. Aber nut wenn es einer höheren Macht gefällt. Ansonsten kreist der Teller um seine Mitte und hört nur sich selbst. .

    Friederike Helm lugte durch den Spion und sah vor ihrer Tür niemanden mehr; was ihre Zornwütigkeit steigerte, aber bevor sie unter extremer Contenance und ohne Hast den Sichtverschluss wieder vor den Spion geschoben hatte, gewahrte sie vor der gegenüberliegenden Wohnungstür einen breiten Rücken gewandet in ein buntes, regenbogenfarbenes Hemd, dass über den Bund herüberschlabberte. Der Herr stand leicht vornüber gebeugt und schien Mühe zu haben, seine Tür, so es denn seine war, zu öffnen.

    Dieser feiste, junge Kerl mit seinem kurzen, borstigen Haar war wohl ihr neuer Nachbar und seine Kleidung verriet Friederike, dass er keinen nennenswerten Geschmack oder Verstand haben konnte. Ausgerechnet so ein Knilch war der Nachmieter des vor Jahresfrist pleite gegangenen Bibliothekars mit seinem Antiquariat im Erdgeschoss. Sie hatte schon bemerkt gehabt, dass die alte Eingangstür zum Antiquariat, durch die sie eine handvoll mal gegangen war, seit dem sie hier eingezogen waren, seit längerem schon zugeklebt und dichtgemacht worden war und gemunkelt wurde, dass ein Blumenladen bald seine Pforten dort eröffnen würde.

    Nicht mal einen Tag, einen Einkauf beim Reichelt oder beim Edeka, hatte es gebraucht, um ein mit Büchern und Regalen voll gestopftes Ladenlokal abzuräumen, leer zu machen und zum Verkauf anzubieten, hatte Friederike noch gedacht, als sie mit ihrem prall gefüllten Einkaufsnetz an ihrer Haustür stand und den Schlüssel suchte und dabei gewahrte, dass es keinen Bücherladen und keinen stillen Nachbarn mehr gab. Wann hatte sie den Antiquar, ihren Etagennachbarn, das letzte mal gesehen, wann seinen Laden betreten und nicht nur vor dem Schaufenster schmunzelnd seine unbeholfenen Werbungsversuche verfolgt? Sie wusste es nicht.


    Nun haderte sie ob sie ihre Wohnungstür öffnen sollte und war eigentlich schon abgeneigt das Gesicht zum Hintern, der sich in der dunkelblauen, an den Nähten arg gespannten Jeans ihrem Blick durch den Spion entgegenreckte, sehen zu wollen, aber dann entschied sie sich doch dafür, die Augen dieses Kerls kennen lernen zu wollen, der es gewagt hatte, sie in ihrer Mittagsruhe zu stören.

    Sie hätte es sich selbst nicht zugestanden, dass sie zur Theatralik und zum Auftritt neigte, aber sie hatte definitiv Spaß daran, als sie ihre Türkette beiseite schob und mit größtmöglichen Schwung die Tür aufmachte und mit einem Timbre aus allen je genossenen Scotchs und Zigaretten ein souveränes „Junger Mann? Haben Sie mich aus meiner Mittagsruhe gerissen?“ herauszuhauen.

    Der wackelpuddingartige Körper des Fremden zuckte konvulsivisch zusammen, dehnte sich, spannte sich in grotesk kurzen Spannen und vor Schreck flutschte ihm der Schlüssel aus seinen dicklichen Fingern und schepperte viel zu laut auf die Fließen des Treppenhaus.
    Seine Verrenkungen, sein sich deutlich in den Achselhöhlen abzeichnender Schweiß und seine hervorquellenden Augen bereiteten ihr Vergnügen und seufzend wie kopfschüttelnd ergänzte sie noch: „Für diesen Lärm habe ich mein schönes Konzert unterbrochen.“

    Nachdem sich ihr neuer Nachbar, der in ihren Augen ein „Kalb Moses“ war, sich und seinen Schlüssel wieder unter Kontrolle gebracht hatte, stand dieser dicke, unbeholfene Junge vor ihr und strahlte aus kleinen aber klaren Augen und sprach sie ohne Scheu oder Distanz an.

    „Was soll ich sagen Frau Helm?“, begann er, machte eine Pause, nur um dann „Männer!“ zu gurgeln und dabei seine Augen zu verdrehen.
    Friederike Helm sah ihn irritiert an und fragte sich wovon er sprach.
    „Männer“, wiederholte er, als hätte er schon ihre Zustimmung, „kommen im unpassenden Moment und können es nicht erwarten, ihren Hintern wieder aus der Schusslinie zu nehmen.“

    Wieder machte er eine Pause, suchte Augenkontakt und erwartete vielleicht einen Lacher, aber Friederike war, obwohl sie der Knabe einen kurzen Moment lang positiv anrührte, sprachlos. Als beide den Moment verpasst hatten, eine Gesprächspause nicht peinlich werden zu lassen, plapperte ihr Gegenüber los.

    „Es tut mir leid, Frau Helm“ begann er und haspelte sich ab, „wenn ich so aufdringlich geklingelt habe, aber ich dachte mir, dass es gut ist, dass es richtig ist, wenn ich mich vorstelle. Wer macht das noch? Wenn ich mir überlege was nicht passieren würde, wenn wir, wie Menschen das doch tun sollten, einfach – einfach so und gradheraus – aufeinander zugingen und sich die Hand gäben und sich einander vorstellten und“
    „Ja, dann machen Sie es doch!“, unterbrach ihn Friederike jäh, weil die Plapperei ihres Nachbarn, ihr zunehmend auf die Nerven ging. Die kleinen Augen ihres Gegenübers wurden groß und kalbsartig.
    „Was denn?“, echote er tonlos.
    „Sich vorstellen.“, entgegnete sie kalt, streckte dabei ihre Hand zur Begrüßung aus und ergänzte „Friederike Helm, und mit wem habe ich das Vergnügen?“

    Sein teigiges Gesicht wurde blass, dann rot.
    „Briegel“ antwortete er wie ferngesteuert.
    „Angenehm, Helm. Und weiter?“, half sie mit maliziösem Vergnügen aus, während sie seine Hand ergriff, die sie instinktiv für eine Flosse hielt.
    „Oh? Entschuldigung : Piet.“, ergänzte er tranig wie eilfertig.
    „Fein, Briegel Piet, es hat mich gefreut, Sie kennen lernen zu dürfen. Auf gute Nachbarschaft und auf Wiedersehen.“
    Und mit einem ordentlichen „Rrrumms“ ließ Friederike die Tür wieder ins Schloss fallen.

    Piet Briegel stand noch wie bestellt und nicht abgeholt geraume Zeit geistesabwesend vor ihrer Tür. Natürlich genoss es Friederike, dass belämmerte Gesicht ihres Nachbarn aus der Perspektive ihres Türspions, noch ein Weilchen beobachten zu können, bis ein Schütteln durch Piets schweren Körper ging und seine Augen wieder Glanz und Fokus erhielten. Piet Briegel war aus seiner Verdatterung erwacht, kratzte sich kurz am Kopf und ging dann endlich seiner Wege.


    II.

    „Briegel’s Blumenlyrik – Gestecke, Blumen und gebundene Worte.“, las Friederike eines Vormittages auf einem Werbeprospektchen und war sowohl verärgert als auch ein wenig resigniert. Obwohl sie auf ihrem Briefkasten einen Aufkleber angebracht hatte, der in unmissverständlichen Worten den Zustellern mitteilte „Keine Werbung!“, schien der Zusteller dieser Sendung, des Lesens nicht mächtig gewesen zu sein. Wunderte das Friederike? Nein. Denn schon das apostrophierte ‚s’ in Briegels hatte sie erschauern lassen. „Schreiben kann er also auch nicht“, murmelte sie und wunderte sich warum ein solcher Analphabet in seinem im Erdgeschoss neu eröffneten Laden nicht nur Blumen sondern auch Gedichte an den Mann bringen will? Aber das die Welt seltsam ist, das war für Friederike wahrlich nichts Neues und es war auch seltsam, dass sie trotz dieser aufdringlich bunten Werbung schnurstracks in Briegels Laden ging, um Blumen zu kaufen; sofern er denn ein paar Anständige zu einem guten Preis im Sortiment haben sollte. Aber so seltsam war es auch wiederum nicht, denn Friederike wollte zum Grab ihres Mannes, sie war in Eile und es fehlten noch Blumen. So ergab es sich, dass sie den Laden von Briegel betrat, ein wenig verweilte und überrascht, gut gelaunt, schönen Blumen und einer besonderen Karte im Gepäck, bald darauf den Laden wieder verließ.


    Als sie im Bus zum Friedhof saß, dachte sie unentwegt an diesen völlig veränderten Mann. Er kannte sich sehr gut mit Blumen aus und seine Gebinde waren akkurat und einfach top. Von seiner Unbeholfenheit, über die sie sich bei ihrer ersten Begegnung im Treppenhaus noch lustig gemacht hatte, war ebenso wenig zu merken wie von seinen dicklichen Fingern und seinem schwabbeligen Leib. Im Korsett seiner grünen Schürze beherrschte er seinen Körper wie ein Instrument und wirkte souverän. Aber am allererstaunlichsten waren seine Worte, seine Gedichte. In den besten Gestecken steckten Karten auf denen in schöner Kaligraphie ausgezeichnete Sonette standen. Die Blumen und die Worte bildeten eine wundervolle Einheit und bei einem musste sich Friederike verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel wischen. Famos, ganz famos, hatte sie ein- ums andere mal in ihre Hand genuschelt und hätte sie sich umgedreht, dann hätte sie gesehen, dass Briegel sie dabei beobachtete und ein verschmitztes Lächeln sich nicht verkneifen konnte.

    Dass er sie nach Strich und Faden und bester Schule um den kleinen Finger gewickelt hatte, dass er eine neue Stammkundin gewonnen hatte, als er ihr Gesteck und Gedicht nicht umsonst hergab, denn sie sei eine Frau, die von einem Fremden und obendrein einem Händler nichts umsonst haben will, aber nach der Unannehmlichkeit, die er ihr so tölpelhaft bereitet hatte, könne sie es ihm nicht abschlagen, dass er sie zu Lilien und Versen einlade dürfe, dass er sie spätestens da im Sack hatte, hätte Frau Helm weit von sich gewiesen. Sie hatte sich in dem Mann einfach getäuscht, na und? Ihr neuer Nachbar hatte einfach Klasse. Basta.



    Babylon, du hast drei Wunder verloren,
    die steinernen Zeugnisse weltlicher Macht:
    den Turmbau, die Mauer, doch wirkliche Pracht
    wird einzig und ewig aus Eden geboren.

    Denn Pflanzen und Blumen hat Gott auserkoren,
    dass Liebe im Menschen erst keimend erwacht,
    dann wächst und gedeihet und schließlich entfacht
    die Blüte der Leidenschaft, unausgegoren.

    Ob himmelbunt heischend, ob bauschend, girlanden,
    hie kindlich und sanft, hüben sinnliche Härten
    so trotzte das Täubchen dem Tod und es fanden

    und brachten des Nebukadnezars Gefährten
    Semiramis Samen aus all jenen Landen
    und Huld wuchs aus Hades in Hängenden Gärten.

    B.



    III.

    Friederike pflegte Kurts Grab sorgsam. Niemand hätte ihr sowohl in Anzahl ihrer Grabbesuche, der Verweildauer und der Auswahl der Blumen einen Vorwurf machen können. Nein, sie war sich sicher, dass alles pikobello war. Aber als sie mit der Gedichtkarte an seinem Grab stand, zögerte sie, das Sonett in den Kranz zurückzustecken. Viele Gedanken gingen ihr durch den Kopf, ob sich Kurt je etwas aus Worten gemacht hat? Kurt und Worte? Kurt hatte in der Filterfabrik gearbeitet und Maschinen betreut, die vollautomatisch Kaffeefilter produzierten. Nein, Worte hatte Kurt nie viele gemacht. Zärtlich konnte er zwar sein, aber seine Zärtlichkeit war spärlich und ungerecht verteilt. Piet hatte, in Piets Worten gesprochen, Friederike eingeladen und nicht Kurt. Es war ihr Sonett, so wie es ihr Ari war und Katze eben zu Kurt gehörte. Ein leichter Schauder ging ihr über den durchgedrückten Rücken, als sie an Katze dachte und wie sie sich von Katze verabschiedet hatte.



    Das Tier hatte panische Angst. Die Schwärze der Pupillen füllten die Augen komplett aus. Das Vieh schrie zum Gott erbarm. Aber vor Katze saß nicht Gott sondern Friederike. Die Welt war seltsam. Zur Zeiten der Kinderlandverschickung war Friederike als junges Mädchen auf einem Hühnerhof gelandet und hatte viel gelernt.
    Aber die kopflosen Hühner, die wie bescheuert über den Hof rannten, waren nicht das Seltsamste was die kleine Friederike gesehen oder erlebt hatte. Vielleicht waren es die steifgefrorenen Piloten, die in schneebedeckten Äckern steckten oder die Stunden im Kartoffelkeller, eingezwängt zwischen dem Bangen der Lebenden und dem Erbeben der Erde, die unter ihren Füßen, so fest Friederike sie auch in den Boden stemmte, weggezogen werden drohte. Sie überlebte die Bombennacht. Doch als sie danach, als sich der Rauch zu legen begann, wieder ins Elternhaus wollte, musste Friederike lernen, dass es das Haus, ihr Zimmer, ihre Erinnerungen nicht mehr gab. Es gab nichts mehr, außer den paar Habseligkeiten, die ihr Vater noch geborgen hatte. Aber diese Dinge waren herausgerissen worden aus ihrer gewohnten Umgebung und intimen Vertrautheit. Sie verstummten, obwohl sie gerettet worden waren, für immer. Kurz nach der Zerstörung des Elternhauses saß Friederike im Zug zum Hühnerbauern, dessen Familie als ihre Pflegefamilie vorgesehen war.
    Diese Erfahrungen, ließen Friederike früh lernen, dass es mächtigere, unbekannte Kräfte gab, die darüber entschieden ob sie leben oder sterben würde.

    Als Stunden später die Katze im Schuppen ausgeblutet war, stand Friederike auf und verscharrte das Tier. Sie hatte die Katze verbluten lassen, nicht weil sie sich Befriedigung verschaffen wollte, was sie pervers gefunden hätte, sondern um den Mord an Ari zu sühnen.

    Ari und Katze waren lange beisammen gewesen. Ari war schon da, als Kurt Katze anschleppte. Nie hatten sie sich gesorgt, ob die Katze Ari angreifen würde, denn Ari wusste sich zu wehren, wenn die Katze zu aufdringlich wurde. Aber dann, als Friederike und Kurt an einem ihrer runden Jubiläen sich gegönnt hatten, länger auszubleiben und zu schwofen, was sowieso selten genug vorkam, obwohl Kurt ein guter Tänzer war, und Friederike beschwor – und Kurt es später bezweifelte – das Bäuerchen von Ari geschlossen zu haben, fanden sie, als sie lachend und gutgelaunt wie lange nicht mehr, die Wohnungstür aufgeschlossen hatten, den einstmals schönen, weißen Nymphensittich Ari mit blutverschmierten Flügeln und verdrehtem Kopf im Flur und Katze kam, so als sei nichts geschehen, mit hocherhobenem Schwanz auf Kurt zu, scharwenzelte um seine Beine und schnurrte, dass es nur so eine Art hatte.

    Kurt und Friederike waren alt genug, hatten beide Schlimmeres gesehen, als tote Tiere und Kurt hatte sich in diesem Moment ganz tadellos verhalten. Wenigstens konnten wir erwachsen werden, pflegte Kurt nicht selten, wenn es Rück- und Schicksalsschläge gegeben hatte, zu sagen. Wenigstens konnten wir erwachsen werden, um das alles durchzustehen.

    Friederike konnte es nicht nur durchstehen sondern auch warten. Solange, bis Kurt – was selten genug vorkam – zu einer Schulung des Kaffeefiltermaschinenherstellers für eine Woche in ein Nest irgendwo am Neckar musste. Es war vielleicht ein Jahr nach Aris Tod vergangen und am dritten Tage von Kurts Abwesenheit, rief Friederike im Schulungszentrum an und musste Kurt berichten, dass seine Katze seit seiner Abfahrt verschwunden sei und sie befürchte, weil sie doch so anhänglich, dass sie ihm hinterhergelaufen sei und sie sich Vorwürfe mache, nicht besser aufgepasst zu haben.

    „Weib“, wollte er Friederike zu harsch beruhigen, machte dann aber eine Pause und sagte zärtlich: „Mädchen, Friede, wenn Katze weg ist, dann wollte sie es so. Bleib ruhig. Wir sind erwachsen. Was immer passiert, wir stehen es durch und jetzt stell Deine Füße wieder auf den Boden. Und? Spürst Du den Boden?“, und ohne abzuwarten, ob seine Frau ihre Füße auf den Boden stellt oder selbigen fühlt, schloss er zufrieden: „Na, siehst Du. Wie sage ich immer: solange wir, nicht den Boden verlieren, kann uns nichts passieren. Wirst sehen: Katze kommt irgendwann wieder.“

    Als sie aufgelegt hatte, dachte Friederike: „Das ist mein Kurt. Tadel- aber Phantasielos.“ Ihre Schuldgefühle, dass sie unter anderem mit Rattengift die Katze verrecken ließ, hatten sich nach dem Gespräch mit Kurt minimiert, denn Kurts Verhältnis zur Katze war erwachsen.


    Hätte Kurt Lyrik das Prädikat Erwachsen oder das Prädikat Kinderkram verpasst?, fragte sich Friederike. Würde er sich nicht sogar vergackeiert vorkommen, wenn eine „Biene mit Stich“ – wie er Frauen im Allgemeinen gerne nannte, weil er die meisten – bis auf Friederike – für generell unsortiert oder geradezu verquer gehalten hat? „Worte bedeuten Dir doch nichts, Kurt“, flüsterte sie und verstand nicht, warum sie innerlich so aufgewühlt war; ihr Herz am Grab bis zum Hals klopfte und sie das Zittern ihres Körper nicht beherrschen konnte? Die Strophen des Sonetts schmückten am Ende des Tages nicht Kurts Grab.


    IV.

    Nun waren nach Kurts Tod mehr als Monate ins Land gegangen und sie hatte nicht nur ihre Pflicht erfüllt und funktioniert, nein, sie hatte einen Verbündeten gefunden, für den Ästhetik, Schönheit und Kunst nicht nur Worthülsen sondern Elixiere des Lebens und der Vernunft waren.
    Sie merkte nicht, dass sie frischer und lebendiger wirkte, als je zuvor und wenn sie jemand darauf aufmerksam gemacht hätte, dann hätte sie wohl nur den Kopf geschüttelt, weil sie so eine dusslige Feststellung für nicht der Rede wert gehalten hätte.

    Gerne verbrachte sie ihre Tage im Wechsel zwischen Blumenladen, Grab und Café Metropol, dass unter neuer Bewirtschaftung kurz nach Briegels Blumenparadies genau gegenüber eröffnet hatte und tiptop Marmor-, Zitronen und Blaubeerkuchen im Programm hatte. Der Kaffee, war eine Wucht, wie Friederike oft mit Schmackes sagte und die ihre blaue Stunde jetzt öfters im Café, nebst einem Sonett und Irish Coffee und zwischen Nippen, Quartetten, Terzetten und den neuesten Blumenarrangements im Schaufenster gegenüber, genussvoll verbrachte.


    An einem Sonntag, als Friederike mit sich haderte, ob sie Kurts Grab besuchen oder sich einen gemütlichen Vormittag bereiten sollte und dergestalt unentschlossen nichts richtig begonnen, geschweige denn zu Ende gebracht hatte, passierte es, dass sie noch gegen Mittag im Schlafanzug in der Küche saß und mit einem male Hunger bekam. Zum Bäcker wollte und konnte sie nicht in ihrem Aufzug. Deshalb war sie froh, dass sie noch Brötchen im Froster fand. Sonntagsbrötchen, die sie sich sonst regelmäßig frisch geholt hatte. Heute wollte sie darauf verzichten und sich das Übrig gebliebene von letzter Woche in ihrem Toast und Grill Apparat, den Kurt vor langer Zeit mal angeschafft hatte und den sie bis dato noch nicht einmal benutzt hatte, aufbacken.

    Friederike legte das Brötchen auf den Grillaufsatz, schob den Schieber nach unten und erschrak fürchterlich.
    „Küss mich“ schepperte es blechern aus dem Toaster, als sie den Schieberegler gerade über die Mitte gedrückt hatte.
    Entsetzt riss Friederike ihre Hand hoch, der Schieber schnalzte zurück und der Toaster war wieder stumm. Friederike atmete tief durch, sah an sich herunter und vergegenwärtigte sich ihr Mantra: Lass Dich nicht gehen, bleib stark und pflege dich! Friederike ging duschen.

    Nach einer guten halben Stunde, stand sie wieder in der Küche und schmunzelte über sich selbst. „Da hast Du Dich schön ins Bockshorn jagen lassen“, dachte Sie und wiederholte lachend, während sie den Küchentisch für ein ordentliches Frühstück eindeckte, die Liebesbotschaft ihres Toasters: „Küss mich.“ Sie betonte es übertrieben tief und rauchig und amüsierte sich prächtig, behielt den Aufbackautomaten aber stets, wenn auch verstohlen, im Blick. Der Tisch war bald gedeckt, der Kaffee durch und eingeschenkt - es fehlte nur das Brötchen.

    „So, du Blechtrottel, wag es noch mal mein Don Juan de Toast zu sein.“ dachte sie, während sie den Hebel zitternd, aber dennoch kräftig herunterdrückte.
    Der Hebel rastete ein und die Heizspiralen begannen unmittelbar darauf zu glühen.
    „Na, siehste. Geht doch.“, murmelte Friederike, setzte sich auf ihren Küchenstuhl und schlürfte mit Genuss ihren Kaffee.

    Zehn Minuten werden lang, wenn man still auf sein Brötchen warten muss. Nach dem Erlebnis von vorhin, hörte Friederike das Knacken jeden Krümels und schrak jedes Mal zusammen, wenn ein Geräusch aus Richtung des Toasters kam. Trotz oder wegen ihrer Schreckhaftigkeit, ärgerte sie sich über ihre Feigheit, den Automaten nicht gleich nach der Dusche, wieder in Betrieb genommen zu haben, denn dann hätte sie das Brötchen schon auf dem Teller und würde jetzt nicht das Gras wachsen hören. Sie war dem Problem ausgewichen und das war kindisch gewesen.

    „Wie hältst Du das eigentlich aus?“
    „Gar nicht.“ antwortete Friederike spontan, hielt aber sofort inne und stellte ganz langsam wieder ihre Kaffeetasse ab. Sie hatte Mühe, Luft zu bekommen und starrte mit großen Augen zum Toaster. Es war zweifellos der Toaster gewesen, der sie gefragt hatte, wie sie es aushalten würde. Aber das, sie war erwachsen, konnte beim besten Willen nicht sein.
    „Wie meinst Du Das?“, hakte der Brotgrill ungeniert nach.
    „Ich bin verrückt geworden.“, flüsterte Friederike. Ihr Herz pochte wie verrückt und sie ließ den Toaster keinen Augenblick aus den Augen.
    „Alte Schachteln mit aufdringlichem Parfüm, blauen Haaren, rot geschminkten Lippen, Leguanhälsen und faltigen Fingerchen und angepinselten Fingernägeln? Wie meine ich das wohl?“, insistierte der Apparat und Friederike wiederholte spontan den letzten Satz in Gedanken und es entging ihr nicht, dass der Automat immer anders klang, mal männlich wie anfangs, als er einen Kuss haben wollte, mal weiblich, als er wissen wollte, wie sie es aushalte.
    Friederike kniff ihre Augen zusammen. Es musste eine Erklärung für diesen Unfug geben. Es muss ein Schabernack sein, dachte sie und fand diesen Gedanken weitaus beruhigender, weil er nicht danach klang, eine verrückte, alte Schachtel zu sein.
    „Ich halte gar nichts aus. Die Omas bringen Umsatz - das ist alles. Na gut: sie bringen sehr viel Geld.“, sagte das Haushaltsgerät im Tonfall des Mannes und Friederike meinte, trotz der schlechten Qualität, die Stimme erkannt zu haben, was ihre Laune nicht verbesserte. Die Feder schnalzte zurück, die Brötchen waren unten angebrannt und die Übertragung war beendet.

    Friederike erhob sich, öffnete eine Schublade, nahm Stift und Zettel heraus, setzte sich wieder an den Küchentisch und schrieb sorgfältig alles auf, was die Brotröstungsmaschine ihr gesagt hatte. An Frühstück war ihr nicht mehr gelegen.
    Als sie alles zu Papier gebracht hatte, nahm sie sich den Toaster und seine Erzeugnisse wieder vor. Nach einem kurzen Befühlen der Konsistenz, einer Überprüfung des Geruches, schmiss sie die Brötchen in den Abfall. Essen würde sie das angebrannte Zeug im Leben nicht. Unschlüssig stand sie in der Küche. Kein Zweifel, sie hatte Piet Briegel gehört. Ihren hauseigenen Poeten. Und nicht nur das, sie hatte mitbekommen Piet war nicht Piet sondern ein Betrüger. Er tat nur so als ob. „Funktioniert das Ding auch ohne Brötchen?“, dachte Friederike kurz und bevor sie für und wider abgewogen hatte, drückte sie mit einem innerlichen „Was soll’ s?“ den Schieber wieder nach unten.

    Statt einem Dialog hörte die alte Dame nur Fetzen, Rückkopplungen und Knarzen. Alle Geräusch taten fürchterlich in ihren Ohren weh und so zog sie kurzerhand den Stecker und die Geräusche brachen ab.
    Wieder trat die alt gewohnte Stille ein, in dem nur ihr inneres Geräusche produzierte, so als sei sie in einem Raumanzug und durchquerte ohne Nabelschnur das Weltall.

    „Vielleicht ist es wie beim Fernseher“, dachte Friederike, „und ich muss nur die Antenne, den Toaster etwas verrücken um einen besseren Ton zu erhalten?“
    Misstrauisch wie sie war, schob sie vorsichtig ein Papier unter den Automaten, fixierte es und umrahmte das Gerät, um die Position, die zumindest einmal Empfang geboten hatte, nicht zu verlieren.

    Die Stunden verflogen nur so an diesem Sonntag und Friederike stellte um, markierte, probierte, wartete und notierte das Ergebnis. Alle Versuche schlugen fehl und gegen Abend, erinnerte sie sich, dass sie dringend trinken müsse und ärgerte sich, dass ihr nicht früher eingefallen war, dass es Sonntag und der Herr Poet vielleicht längst schon seinen Laden verlassen hatte. Als sie ihre Küchenplatte ansah, die übersäht war mit Markierungen und an die vielen Notizen dachte, war Friederike fürs Erste bedient. „Dieser elende Knilch“, zischte Friederike, löschte das Licht und ging zu Bett. Es war ein Rückzug keine Kapitulation.


    V.

    Obwohl sie am nächsten Morgen vor Neugier brannte, zwang Friederike sich, zuvorderst die wichtigen Dinge zu erledigen. Eine ordentliche Morgentoilette, ein gutes Frühstück mit einem schönen Kaffee und ein anschließender Besuch bei Kurt – zwar ohne Blumen geschweige denn Versen – aber sie und Kurt waren beide erwachsen.

    Erst am frühen Nachmittag dieses Montags, begann Friederike damit die Versuchsreihen vom Sonntag zu wiederholen. Sie blieb ruhig, selbst wenn sie Kontakt zur Stimme des Schamlosen bekam. Sie notierte die Qualität, stoppte die Zeit des Empfangs bis zum Abbruch und die Dauer bis sie wieder erneut auf der Position Kontakt bekam. Sie arbeitete systematisch alle Positionen ab und wiederholte diese Experimente am Dienstag, am Mittwoch und bis zum Ende der Woche und nächsten Woche. Natürlich immer erst dann, wenn sie ihr Pflichtenheft: Blumen gießen, Wäsche machen, Gardinen wechseln, viel trinken, Kurt besuchen, Flur putzen und sich selbst pflegen, erfüllt hatte.

    Am Ende der diversen Versuche hatte Friederike die perfekte Position. Das Elektrokabel der Brotröstungsmaschine war begrenzt und in diesem Radius, gab es eine Position, die sechs Minuten, zweiunddreißig Sekunden gute Qualität bot und nur, vier Minuten, zwölf Sekunden brauchte, um wieder hundertsiebzehn Sekunden lauschen zu dürfen. Das Hauptproblem, schloss Friederike, war die Temperatur. Außen-, Innentemperatur und eigentlich auch die Temperatur im Blumenladen. Aber die zu messen und zu verifizieren war ihr zu aufwendig und erschien ihr auch unmöglich.

    Natürlich hatte Friederike alles notiert, wenn sie zufällig „On Air“ war und Briegel und seinen Freunden bis zum Verbindungsabbruch lauschen durfte. In einem eigens dafür vorbereiteten Heft – PB Mitschnitte (bereinigt) – hatte Friederike die mitgehörten Dialogfetzen eingetragen, die nicht als belangloses Verkaufsgespräch für dumme Hühnchen erkennbar waren, sondern im Gegenteil von Briegels verderbtem Charakter zeugten.

    „Das Schlimmste ist die Verstellung.“, seufzte Friederike an einem Mittwoch, als sie Blumen an Kurts Grab legte und fügte schuldbewusst hinzu: „Ach Kurt, ich weiß ja, ich bin eine Biene mit Stich . Ganz genau wie Du es immer gesagt hast.“ Friederike sammelte sich und wischte sich wie beiläufig eine Träne aus dem Augenwinkel und sprach weiter, so als ob Kurt sie hören könnte: „Aber Bienen haben nicht nur einen Stich, sie haben auch einen Stachel.“ Und plötzlich lächelte Friederike, denn sie dachte an den Kaktus Song der Comedian Harmonists. Aber so leicht, würde sie es Piet nicht machen.

    Zu vieles hatte sich in ihrem Heft, der Mitschnitte angesammelt und zuviel Überwindung hatte es Friederike in den letzten Monaten gekostet, spätestens nach zwei, drei Wochen, bei Briegel Blumen zu kaufen. Irgendwann musste damit Schluss sein. Friederike wusste, dass Piet nicht nur sie selbst, sondern viele andere betrogen hatte.

    Betrogen hatte, wie Anna Amalia, die ihm die Gedichte schrieb und sicher schon einen Verlag gefunden hätte, wenn er sie nicht hinhalten würde mit ominösen Kontakten zu großartigen Verlegern und wenn Amalia nicht so verhuscht, wie abgebrannt und süchtig wäre. Es war ihre Stimme gewesen, die sie an jenem Sonntag zuerst aus dem Toaster gehört hatte.
    Obendrein betrog der Schubiak sie mit diesem Lustknaben und Schauspielschüler Jan Eric und machte sich mit ihm auch noch lustig über Anna. Immer wieder schüttelte Friederike ihr Haupt, wenn sie zum wiederholten Male in ihrem schlauen Buch nachlas, welche Unverschämtheiten die Beiden miteinander abzogen:

    „Die dumme Gans merkt nicht, dass Du sie verarscht?“
    „Nenn sie nicht so, Jan.“
    „Aber Du bist schwul Piet, Du bist Florist und hast von Literatur keine Ahnung. Das muss sie doch gemerkt haben?“
    „Jan! Dreh dich bitte wieder um und sei nicht so zickig. Amalia muss schreiben und ich bin ihre Muse.“
    „Muse? Du bist ihr Schneemann.“
    „Wenn ich schon was bin, dann bin ich: Schneemann mit Möhre, für meine Poesiemöse.“
    „Weißt Du was Du bist Piet?“
    „Behalt es für dich Jan und bleib jetzt endlich liegen! Dauernd fällt mir die Rose wieder aus Deinem Arsch. Hast Du Blähungen?“
    „Was geilt Dich eigentlich daran so auf, wenn ich mit dieser schwarzen Rose im Hintern rumlaufe?“
    „Gar nichts - ich habe es mal im Fernsehen gesehen.“
    „Au!“
    „Stell Dich nicht so an.“



    VI.

    Der Blumenmann war schwul. Alle Welt wusste das, nur Amalia nicht - die Poetin, die Friederike ins Herz geschlossen hätte, wenn sie nicht Drogen nehmen würde. Aber was dem Fass den Boden ausschlug war die Stiftung: „Das Anonyme Grab“ und Ralphi.

    Den kleinen Spendentopf „Stiftung Anonyme Gräber“ auf Piets Tresen, hatte Friederike schon bei ihren ersten Besuchen bemerkt gehabt. Wenn sie sich von Piet unbeobachtet gefühlt hatte, hatte sie schon mal einen Fünfer in die Box gestopft.
    An sich hielt Friederike nichts von diesen Klingeltöpfen, die ihrer Meinung nach kein Mensch kontrollierte. Vor der eigenen Türe kehren, gerade sein und Rücken durchgedrückt halten, darauf kam es nach Frau Helm an. Sollten doch die Katholiken ihre Ablasspfennige wegwerfen. Nein, Friederike war protestantisch. Sie war davon überzeugt, dass der Pförtner des Himmelreiches, nicht wegen fünf Euro die Tore öffnen würde. Da brauchte es andere Qualitäten. Aber bei Briegels Büchse hatte sie anfangs und auch noch später und dann und wann, eine Ausnahme gemacht und fünf Euro in die Büchse des Anonymen Grabs gestopft.

    Aber bei einer dieser Gelegenheiten, wo sie sich unbemerkt gewähnt hatte und spendete, stand auf einmal Piet in ihrem Rücken und raunte mit tiefem Timbre: „Es gibt viele, die sich ihrer Stimme nicht bedienen – aber noch viel mehr gibt es, die stumm bleiben müssen. Um sie nicht zu vergessen, schmücken wie ihre letzte Heimstatt.“ Piets Stimme, hatte ihr die Nackenhaare zu Berge stehen lassen und sie fühlte sich ertappt vom Wildrosenhüter. Die Vernunft verdrängte schnell den Schauder. Die Situation war Friederike peinlich gewesen. Auf Nachfrage hätte sie zugeben müssen, dass es ihr egal gewesen war, welcher Zweck mit der Dose verfolgt wurde, aber Rechenschaft ablegen wollte sie auch nicht, denn warum sie wem, was, wie schenkt, ging schließlich keinen was an.
    Sie brauchte nicht lange, um die Situation wieder zu kontrollieren und zwischen sich und dem Blumenmann einen gesunden Abstand zu verschaffen. Sie hörte nur scheinbar interessiert zu, wie Piet ihr die Spendenaktion erklärte:

    „Es gibt so viele stumme, triste Gräber. Ungepflegt und teilnahmslos wie ein Massengrab. Ein Stein, ein Name - das ist nicht mehr als eine Erkennungsmarke.“,
    auch Briegel ging wieder von sich aus auf Distanz zu Frau Helm, vielleicht weil auch er gespürt hatte, dass er ihr zu nah gekommen war. Im moderaten Ton, so als führe er vor Fremden ein Verkaufsgespräch, fuhr er fort:“ Aber dahinter stehen Schicksale und keine Wegwerfartikel. Meine Kollegen und ich sammeln mit diesem Fond Geld, um in den Verscharrungswüsten Oasen zu schaffen. Und wenn es nur ist, um denjenigen, die wirklich Anteil nehmen, sie in ihrer Verbundenheit mit den Verstorbenen zu bestätigen: Niemand ist alleine.“

    Die Botschaft hörte Friederike gerne, aber schon damals zweifelte ihr Magen am Wahrheitsgehalt. Auch wenn sie sich sicher war, danach nie wieder was in die Büchse getan zu haben, hatte der Schmeichler es doch geschafft, ihre unangenehmen Empfindungen zu zerstreuen.


    Dank des Toasters wusste sie nun, welch übles Spiel Briegel und seine angeblichen Kollegen spielten. Kollegen? Die Kollegen hörten nur auf einen Namen : Ralphi. Ralphi gehörte der Blumenladen an der Rennbahn und Ralphi hatte die Ideen, wie den alten Mütterlein, das Geld aus der Tasche gezogen werden kann. Ralphi brauchte ständig Geld, denn Ralphi zockte.


    „Piet, die Dose hier reicht nicht. Das Rad müssen wir wieder größer drehen. Wir haben damals drei Mille auf einen Schlag gemacht.“
    „Nein.“
    „Hallo? Was bist Du für ein Sparkassengesicht geworden?“
    „Die Alte war senil gewesen und hat nie eine Quittung verlangt. Leichtes, viel zu leichtes Spiel.“
    „Bedenkenträger - Du kannst doch Computer, Piet? Das sehe ich doch. Dann bastelst Du eben eine. Wenn die tot sind, dann interessiert die das doch nicht.“
    „Du bist gierig, Ralph.“
    „Oh, Mann! Alle sind gierig und die, die bescheiden bleiben, werden gemolken. OK, dann machen wir eben keinen Bestattungsvorsorgevertrag mehr, sondern einen Grabpflegebetreuungsdingsbumsvertrag. Aber nicht mehr diesen Fünf Euro Beschiss hier. Das bringt doch nichts voran.“
    „Hundert, zweihundert und wenn eine alte Lady schwach wird, auch mal mehr, mein lieber Ralph. Und keiner fragt nach. Nur hier und da einen alten Kranz hingelegt und ein Foto als Beweis gemacht. Was willst Du?“
    „Mehr.“
    „Sag mir wie.“
    „Es läuft über meinen Namen.“
    „Und?“
    „Du hast die Kunden und denen verkaufen wir meinen Grabpflegeservicevertrag mit einem kombinierten Bestattungsvorsorgevertrag und, und, und, gesiegelt und gestempelt vom Kuratorium deutscher Grabpfleger. Aber Minimum Fünfhundert im voraus und fünf Jahre Laufzeit.“
    „Und für jeden vermittelten Vertrag kassiere ich eine Provision?“
    „Jepp“
    „Kriegt Du es denn hin, Ralphi, mir gut gemachte Gütesiegel zu präsentieren?“
    „Wieso? Du kannst das doch mit dem PC machen. Nicht ich.“
    „Das kostet aber extra.“
    „Hauptsache, Piet, wir können diese Dose wegschmeißen.“
    „Lass die Dose stehen!“
    „Die brauchen wir doch nicht mehr. Das ist doch billig.“
    „Stell sie wieder hin. Wir brauchen sie dringender denn je.“



    Ralphi tauchte häufig bei Piet auf und jedes mal hatte er eine neue Geschäftsidee. Oder einen sicheren Tipp von der Rennbahn. Erstaunlicherweise war Ralphi nicht ständig knapp im Geld. Seine Trabrennbahnnase brachte ihm nicht selten genug dickes Geld, dass er hätte aufhören wollen oder müssen. So war es ihm auch jüngst wieder mit der 582:10 Siegwette auf Florino gelungen, fette Beute zu machen. Eine Beute, die Piet nicht entgangen war, der geduldig für Ralph und seine Bestattungs-vorsorgeverträge mit Gütesigel bei seinen alten Tanten geworben hatte. Und Friederike wusste alles. Wusste, dass Piet ein Windhund war, wenn es ums Geschäft ging. Ralphi dagegen war ein Träumer und Spieler. So blieb es nicht aus, dass Piet dreitausend Euro an Ralphi mit der rechten Hand überwies und mit der linken viertausend Euro Provision und Bearbeitungsgebühren – der PC und so – bei Ralphi einforderte und die Florino Siegwette, Ralphis bester Rennbahn Coup, so schnell schmolz wie Schnee im April.


    Diese beiden falschen Brüder konnte Friederike schlecht wie Katze in den Schuppen entführen und an Rattengift verbluten lassen. Sie konnte dem Blumenmann nicht eigenhändig den Kopf abschlagen, so wie damals dem Huhn, als sie es selbst mal probiert hatte. Aber sie konnte ihr Wissen teilen. Sie konnte aus ihrem schlauen Buch zitieren und Briefe schreiben und sie konnte dafür sorgen, dass sie, wenn die Fluten über dem Blumenmann zusammenschlagen würden, den besten Platz hatte, um seinen Untergang zu verfolgen. Friederike wusste auch wann der Tag des Herrn oder ihrer sein würde. Erst kürzlich hatte ihr das Radio im Toaster den Tag und die Stunde verraten.

    „Was hast Du bestellt, Piet?“
    „Einen Federkiel, Jannilein.“
    „Nenn mich nicht so albern. Ich bin immer noch ein Kerl.“
    „Pah. Du hast keine Phantasie, mein Freund.“
    „Wenn es das ist, was Dich Rosen in meinen Arsch stecken lässt, will ich davon auch nicht allzu viel haben.“
    „Die Rose kommt später. Aber erst der Federkiel. Drei Meter lang. Wow. Mit echter Spitze. Hör zu Jan, und die Spitze bewegt sich und schreibt elektronisch in leuchtender aber blassblauer Frauenhandschrift : Gedichte. Quer über meinen Laden.“
    „Das kostet doch ein Vermögen, Piet?“
    „Weißt Du, manchmal setze ich eben alles auf Sieg. Das unterscheidet uns. Vielleicht bist Du deswegen noch der Lustknabe vom Regisseur dieses Kleinkunstkellerkabaretts?“
    „Du bist ein Arschloch, Piet.“
    „Vergöttern wir nicht Arschlöcher?“
    „Nein, Piet. Tun wir nicht. Also, ich nicht. Ich weiß Du kapierst es nicht, deswegen erkläre ich’s Dir auch nicht. Nimm’s einfach hin: Ich liebe Dich.“
    (Geräusche – Anm.:FH)
    “Piet. Piet! Sieh mich an. Du bist sensibel. Du bist kein Klotz. Wärst Du ein Klotz, wäre ich nicht hier. Du kannst so wunderbar sein. Ein Zauberer. Du hast Ideen und Du machst Dein Ding. Ich bewundere Dich. Also, wann kommt Dein Superduperfederkiel?“
    „Samstag in acht Tagen.“
    „Soll ich kommen?“
    „Nein.“
    „Neien!?“
    „Jan, ich habe es Anna versprochen. Bitte, sei nicht böse.“
    „Ich vertraue Dir, Piet.“
    „Ich weiß das.“
    „Und?“
    „Bitte, Jan.“





    VII.

    Samstag in acht Tagen war also Premiere für Frau Helm. Der Plan war schnell gestrickt, die alte Olympia Schreibmaschine aus dem Koffer geholt, das Papier eingespannt und natürlich, die kluge Frau baut vor, fand sie, im von Kurt so getauften Siedlerschrank, ein frisches Farbband.

    Den ersten Brief schrieb sie Anna Amalia. Sie sei eine stille Bewunderin Ihrer Kunst und kenne die Anna schon länger als die Anna sich das vorstellen könne, weshalb es ihr jedes mal in der Seele schmerze, wenn sie den Herrn Briegel mit Annas wunderbaren Versen hausieren gehen sehe. Und obendrein betrüge Briegel Sie, weil der eigentlich nur Männer liebe. Wie sie aus sicherer Quelle weiß, kommt Sie zur Installation des großen Federkiels am kommenden Samstag und an diesem Tage wird sich Anna von der Wahrheit ihrer Zeilen überzeugen können. Es täte ihr leid, Anna schreiben zu müssen, dass Piet Briegel nie einen Verleger angeschrieben hätte, nie versucht hätte Ihre Karriere ernsthaft zu fördern, denn Sie hätte ihr Herz vor langer Zeit wirklich berührt.

    Den zweiten Brief schrieb sie Ralphi. Ihre Zeilen waren mit : Heißer Tipp von der Rennbahn überschrieben. Friederike Helm gab sich im weiteren als einer aus, der schon vor Ralph von Piet mit angeblichen Zusagen und Provisionen über den Tisch gezogen worden war. Sie schrieb ihm von seinem Florino Tipp, den Sigeln des Kuratoriums deutscher Grabpfleger, den Rechenkünsten des Blumenmannes und machte ihm am Schluss eine Rechnung auf, die Ralphi zeigen sollte an welchem Ende die Enten fett waren. Wenn er sich selber davon überzeugen wolle, wie der Herr Briegel seinen Wetteinsatz, sein Risiko, seinen Gewinn für sich einsetze und auf Sieg spielt, solle er nur am nächsten Samstag kommen und sich vom Wahrheitsgehalt ihrer Zeilen überzeugen.

    Denn Dritten an Jan. Wie lange wolle Jan sich selber verleugnen? Wie lange wolle er weder Fisch noch Fleisch, weder heiß noch kalt sein oder sich Rosen in den Hintern stecken lassen? Als ein Uli schrieb Friederike dem Jan Eric. Der Uli sei dem Illusionisten Piet schon vor Jan auf den Leim gegangen, aber dann hätte Uli begriffen, dass er nur seine Backen für Briegel hingehalten hätte, während Piet, hinter seinem Rücken, um einen anderen herumgetanzt sei, als sei der das goldene Kalb. Mittlerweile wisse Uli, dass der Andere schon immer Ralph heiße und Jan Eric könne sich von der Richtigkeit seiner Zeilen am kommenden Samstag überzeugen, wenn er den Biss hätte, das Vertrauen zu prüfen, dass er selbst bereitwillig und bedingungslos investiert hätte.


    Mit gutem Gewissen, trotz der Lügen, leckte Friederike alle Briefumschläge mit Inbrunst ab und steckte sie am Freitag unfrankiert und eigenhändig in die Briefkästen der Empfänger. Die Adressen hatte sie nicht recherchieren müssen, denn ihr Toaster hatte sie alle schon ausgespuckt. Als sie alle Briefe eingesteckt hatte, reservierte Frau Helm im Cafe Metropol ihren Tisch, der genau gegenüber Briegels Blumenladen am Fenster stand, bestellte ihren Irish Coffee und den Kuchen der Saison vor. Alles für Samstags Zwölf Uhr Mittags. Friederike war schließlich erwachsen und hatte Stil. Sie wollte sehen, erleben und nicht nur via Grillradio hören was sie eingefädelt hatte.

    Friederike hatte sich für Stummfilm statt Hörspiel entschieden, zumal die Technik ihres Toasters keine zehn Minuten live Übertragung garantieren konnte. Im Übrigen hatte Friederike genug Phantasie, sich anhand der Mimik vorstellen zu können, was ein Gesicht zum Anderen sagt. Erst recht, wenn sie sich des Kontextes sicher sein konnte, in dem sich die Figuren bewegen. Und Friederike hatte alles getan, um sich sicher zu fühlen. Friederike hatte den Käse, den falschen Briegel, ins Zentrum des Labyrinths platziert. Alle Ratten, die sie locken wollte, hatten die Fährte aufgenommen und waren dabei, sich den Weg zum Ziel zu erschnuppern. Zerbeißen aber würden sie ihn selbst müssen.


    Als der dicke und der dünne Zeiger ihres Weckers übereinander fielen und den Alarm auslösten, blieben Frau Helm noch sechs Stunden. Zeit genug um die wichtigen Dinge zu erledigen und sich dann entspannt ins Cafe zu setzen. Was Friederike nicht wusste, was sie nicht wissen konnte, war der Zeitdruck unter dem das Transportunternehmen Yüksel & Wigotzki International den überdimensionalen Füller auf den Auflieger schnallen mussten. Was sie nicht wissen konnte, war, dass weder Yüksel noch Wigotzki noch nie ein solches Ding transportiert hatten und ihre Methoden der Befestigung aus Erfahrung resultierte. Natürlich waren sie im Vorgespräch überrascht gewesen, dass der Hersteller das Dingen am Stück und nicht in Einzelteilen produziert hatten. Aber mit der Flex konnten sie ihn schlecht zerschneiden. Zwanzig Minuten über der Zeit, fuhr der Auflieger mit Füllerspitze voran Samstag früh, endlich vom Hof des Herstellers.


    Die Zigarette schmeckte ihr heute ganz vorzüglich. Ebenso der Irish Coffee. Friederike war in aufgeräumter Stimmung und grinste über Briegels roten Kopf, seine defensive Haltung, wie Anna ihn immer wieder mit dem Zeigefinger gegen seine Brust stieß und ihm offensichtlich die Leviten las. Und es kam noch besser als Friederike es hatte einfädeln können, denn Ralphi und Jan stießen, von unterschiedlichen Richtungen kommend, quasi in der Ladentür zusammen. Wäre es nicht unschicklich gewesen, Friederike hätte laut aufgelacht. Die Beiden sahen sich kurz an und sie konnte es von den Lippen lesen, dass Jan den Anderen ungläubig beim Namen nannte und der verdutzt nickte. Darauf war kein Halten mehr und Jan zog wie eine Zicke an Ralphs Haaren, während der den Schauspieler überrascht wie unbeholfen schultern und niederringen wollte, als sei er der Kran von Schifferstadt.

    Anna Amalia, die das Treiben an der Ladentür nicht übersehen konnte, verlor jedwede Beherrschung und brüllte zwei-, dreimal „Du Schwein!“ in einer Lautstärke, die man der zierlichen Frau im Leben nicht zugetraut hätte. Endlich gelang es Piet, ihr den Mund zuzuhalten und den beiden Hähnen in der Tür zuzurufen, dass sie doch erstmal reinkommen sollten. Anna den Mund zuzuhalten, war nicht die Beste Idee, die Piet hatte. Anna musste es gelungen sein mit aller Macht in seine fleischige Hand zu beißen.
    Piet schrie auf, riss seine Hand so beherzt weg, dass Blut spritzte. Piets Schmerzenschrei unterbrach den Kampf von Jan und Ralph. Verdutzt registrierten sie gleichzeitig, dass sie ihren Zorn zuvorderst auf den Blumenmann, den Zauberer und Strippenzieher richten sollten, bevor sie sich weiter selber schlugen. Piet fluchte immer noch vor Schmerz und hielt seine verletzte Pranke, während Anna befriedigt zu lachen schien. Natürlich blieben allmählich auch andere Leute vor dem Schaufenster stehen, um das Kampfknäuel im Laden zu beobachten und verdeckten Friederikes Sicht von ihrem Logenplatz. Das allerdings hatte Friederike nicht eingeplant gehabt. Sie beugte sich auf ihrem Stuhl links zur Seite, rechts zur Seite aber die Sicht blieb schlecht. Sie musste aber wissen, wie es weiterging und stand kurzerhand mit der Zigarette in der Hand auf.

    Bevor sie Piets Blick ausweichen konnte, war es zu spät gewesen. Es war wie damals beim Blick durch den Türspion. Nur dass sie sich jetzt gegenseitig fokussierten und die Welt um sie herum in den Schatten trat.

    Der Schmerz in Piets Hand ließ nach und der Lärm im Laden drang nur noch gedämpft an seine Ohren. Als er das Gesicht seiner Nachbarin, ihre blitzenden Augen, ihre gespielte aristokratisch herrische Figur sah und wie sie vom besten Platz aus sein Waterloo verfolgte, wusste Piet, dass Frau Helm die Quelle seines Ungemachs war. Er wusste es einfach, denn er hatte es vom ersten Tage an gespürt, welche Dämonen in diesem Leib ihren Wahnsinn trieben.

    Piet stieß mit Macht Anna zur Seite und ebenso Ralphi und Jan. Alle drei spürten, als sich Piets schwerer Körper in Bewegung setzte, dass er ein Ziel hatte und sie ihn nicht aufhalten würden. Schwer wie eine Dampflok schob er sich an allen vorbei, zwängte sich aus der Ladentür und behielt dabei stets Friederike im Blick.

    Nach einer Schreckensminute, in der sie sich wieder so ertappt fühlte, wie bei ihrer Spende für das anonyme Grab und sich nackt und verletzlich fühlte, legte Frau Helm wieder ihren Panzer an. „Was solls?“, dachte Friederike. „Soll er doch kommen. Soll er es doch wissen, dass ich ihm diese Suppe eingebrockt habe. Der Knilch hat doch kein Format.“ Und so blieb Friederike stehen und wich Piets Blick keinen Moment aus. Nur der Ober, der irritiert an ihren Tisch herangetreten, als sie aufgestanden war, bemerkte, wie Friederikes Körper zitterte.


    „Scheiße“, durchfuhr es den PKW Fahrer, als er den massigen Mann bemerkte, der wie im Tran auf die Straße stapfte. Mit aller Wucht hieb er seinen Fuß aufs Bremspedal und riss am Lenkrad. Die Reifen quietschten brutal auf und der Fahrer hatte sein Gesicht so verzogen, als hätte er Piet schon wie einen Stier mit seinem Kühler aufgespießt.

    Der Aufprall erfolgte nicht frontal sondern seitlich. Piet wurde, als wöge er nichts, in die Luft in Richtung der Gegenfahrbahn geschleudert. Sein Körper flog so hoch, dass Friederike hinter ihrer Glasleinwand für einen Moment Piet nicht mehr sehen konnte. Es ging alles zu schnell, dass sie hätte schockiert sein können. Mit einem heftigen Krachen, platschte Piet auf die Windschutzscheibe eines anderen Fahrzeuges der Gegenfahrbahn, das seine Geschwindigkeit auch nicht auf Null hatte reduzieren können. Friederike und der Kellner zuckten gleichzeitig zusammen und machten ein Gesicht, als spürten sie die Schmerzen Piets. Piet selbst schmierte wie ein Insekt von der Scheibe ab und sank auf den Bürgersteig genau unterhalb der Fassade vom Cafe Metropol.

    Alle, die Piets unfreiwillige Straßenüberquerung verfolgt hatten, hielten die Luft an und trauten ihren Augen nicht. Der Bliumenmann lebte. Er war auf seinen Knien und robbte zum Fenster des Metropol hinter dem eine erstaunlich gefasste alte Dame und ein konsternierter Kellner stand.

    Auch Wigotzki und Yüksel auf ihrem Bock hielten die Luft an. Sie hatten die Zeit fast herausgeholt, sahen sich schon wie sie sich gegenseitig Fünf gaben, wippten zu den mit voller Lautstärke aus dem Radio dröhnenden Seeds of Love, hatten ihren Leitspruch schon auf den Lippen „Schnell, günstig, pünktlich!“ und freuten sich darauf es doch noch pünktlich zum Anpfiff im Stadion zu schaffen.
    Yüksel wie Wigotzki bemerkten beide viel zu spät, wie vor ihnen ein Auto nach dem Anderen in die Eisen ging und stehen blieb. Yüksel stemmte seine Arme gegen die Armaturen, presste die Beine gegen den Boden und hoffte damit vollkommen irrational Bremswirkung erzielen zu können und Wigotzki hatte das Bremspedal schon lange am Anschlag und seine Finger, Unter- und Oberarme kämpften mit dem Lenkrad, als wöge es soviel wie die Welt und er sei Atlas. Aber das Heck der ersten vor ihnen zum Stillstand gekommenen Karre, kam näher und näher. Beide waren sich sicher, sie würden die Kolonne vor ihnen weiter zusammenschieben und weiteres Ungemach verursachen.

    Als der LKW stand und die Kabine wieder mit einem Ächzen hoch federte ohne, dass es gekracht hatte, sahen sich die Transporteure ungläubig an, als könnten sie ihr Glück nicht fassen. Mit bloßem Augen war nicht zu erkennen, dass sie ihren Vordermann nicht berührt hatten. Doch Fünf wollten sie sich nicht geben, denn beide hatten dieses schnalzende Geräusch gehört, kurz bevor ihr LKW zum stehen kam. Ein Geräusch wie ein Peitschenknall, oder das Reißen einer zu stramm gespannten Sehne.


    Seine blutigen Finger sah Friederike als erstes. Langsam zog sich Piet an der Fensterkante des Metropols hoch. Er hatte keine bewussten Schmerzen, obwohl er sich jeden Knochen gebrochen haben musste. Aber er wollte ihr Gesicht sehen. Er wollte in ihre Augen sehen. In den Augen dieser alten Frau lag sein Schicksal und dem wollte er nicht ausweichen. Und Piet schaffte es tatsächlich, sich am Fenster des Cafes aufzurichten und Friederike wenigstens aus einem Augen anzusehen und mit dem Finger auf sie zu zeigen. Das war Piets letzte Tat.

    Der Federkiel schoss nicht gerade, sondern seitlich versetzt aus seiner Halterung. So als versuchte sich ein Laie am Bogenschießen. Der Impuls war aber stark genug, dass der Kiel über alle Autos hinweg flog und - entgeistert verfolgt von denen, die das Unheil nahen sahen – mitten in ein seltsames Bulls Eye traf.


    Die Scheibe erzitterte ordentlich als die Füllfederspitze Piet durch seinen Hintern hindurch an die Wand nagelte. Der Blumenmann ließ augenblicklich wie eine Marionette seine Glieder und seinen Kopf hängen. Nur noch ein Blutfleck erinnerte an den Finger Piets mit dem er auf Frau Helm gezeigt hatte.


    Es dauerte nicht lange und Sirenen waren zu hören und die durch Ungläubigkeit, Furcht und Adrenalin ausgebremste Zeit tickte wieder im normalen Takt. Die Schaulustigen befreiten sich aus ihrer Starre und so wie Anna, Jan und Ralphi sammelten sie sich wie magisch angezogen, um den durch den Hintern gepfählten Blumenmann. Auch Friederike war wieder in der Zeit und der Bann gebrochen. Sie brauchte nicht lange um sich wieder zu ordnen und die Situation zu überblicken. Hier waren Dinge und Mächte am Werk, und das kannte Friederike von damals, die kein Mensch kontrollieren konnte. Eine Erfahrung, die ihrer Bedienung anscheinend fehlte, denn sie musste mehrmals ihren Zahlungswunsch wiederholen, ehe der Ober reagierte. „Was wollen Sie?“, fragte der noch völlig konsterniert, weil ihn dieser Wunsch vollkommen irreal erschien. „Zahlen oder soll ich mir ihrer Meinung diese Schweinerei länger ansehen?“

    Für einen Moment wollte er Friederike so gehen lassen, aber dann kassierte er sie angewidert doch ab.



    Epilog

    Die Brutalität, die Verkettungen der Ereignisse und die ungewöhnliche Aufspießung Piets wurde in den Medien breit getreten und es blieb nicht aus, dass die Journalisten, die in Piets Vergangenheit gruben seine Poeme lasen und veröffentlichten. Bald war der Blumenmann Briegel ein berühmter Dichter und seine Sonette galten als Meisterwerke. Anna Amalia, die verzweifelt ihre Urheberschaft an den Stücken reklamierte, wurde nicht ernst genommen und ihre Sucht tat ein übriges, dass sie bald gänzlich von der Bildfläche verschwunden war. Ralphi hoffte, dass die gemeinsamen Unternehmungen mit Piet nicht wahrgenommen oder überprüft werden würden, schloss aber lieber seinen Laden und tauchte ab. Nur auf der Rennbahn sah man ihn noch dann und wann. Jan, der schnell als Muse Piets galt, gewann etwas an Status, aber auch dieser Ruhm verblasste schnell. Was blieb war ein schmales Bändchen mit Gedichten, das Piets Namen vergoldete und alle zu überdauern schien.

    Und Friederike? Sie wurde nach Briegels Tod nicht einmal zu ihm befragt. Sie blieb alleine in den Zimmern ihrer Wohnung. Ihre Dämonen gingen keinen etwas an und der Toaster funktionierte auch nicht mehr. Die Dinge waren was sie sind: stumm. Ihr Leben lief ab wie eine Schallplatte, die vergeblich auf eine Nadel wartet. Friederike löschte das Licht und ging zu Bett. Sie war erwachsen.

    ENDE

  • Thema von Brotnic2um im Forum Kommentare, Essays, Gl...
    Darum geht es:[
    http://www.spiegel.de/kultur/musik/0,1518,586738,00.html

    Hallo Frau Hoch,

    da haben Sie ja richtig einen rausgekeilt. Hat Potts Ihnen ein schlechtes Handy oder Lehmann Zertifikate angedreht? Ein verpuffendes, pausbäckiges und gleichzeitig dicker werdendes Sternchen, dass sei der Potts, schreiben Sie. Und er sei eben kein Messias. Aha. Ein kleinster, gemeinsamer Nenner, eine ganz billige Nummer, ein Bahnhofsstraßenopernstrichjunge für Hartz IV Zuhörer, das sei der Potts.
    So schreibt Jenny Hoch sinngemäß und offenbart wie Johannes uns das Ende. Soll ich mich gleich übergeben oder später? Lieber gleich.

    Wie armselig ist das denn, so eine Wurst wie den Potts, dem ich sein Glück wirklich gönne, so in die Pfanne zu hauen? Wer seine vier Brezeln beisammen hat, der wird sich schon gedacht haben, dass Paule Potts nicht die zum Mann gewordene Callas oder ein Wunderkind ist. Aber immerhin kann man dem Potts doch seine Freude am Gesang, am Erfolg und, ja, auch am Geld noch abnehmen und anständig finden. Im Gegensatz zu solch Schmalzkasperln wie dem Lotti? Wer, wie, wann, hat wer, wo Potts als Messias verkauft? Der Obermann von der Telekom? Ein Werbespot? Das kann doch wohl nicht ihr Ernst sein, Frau Hoch? Potts hat sich meines Wissens auch nicht als Superstar und Alleskönner stilisiert. Im Gegenteil. Also warum diese Vernichtung eines ehrlichen, fröhlichen und ausgezeichneten Hobbysängers in einem relativ ernst zunehmenden Feuilleton?

    In diesem Artikel geht es nicht um den Menschen Paul Potts. Es geht auch nicht um die Qualität seines Gesanges, des Auftritts oder der Show, dass ist nicht die Motivation. Nein, hier rechtfertigt Pauline Hoch ihre Attitüde, dass ein Bauer niemals Kultur, Qualität sondern nur Gülle finden wird, weil er A von Quark-Dur nicht unterscheiden kann.

    Brav, haben Sie das geschrieben Pauline Hoch. Ganz brav. Ich bin mir sicher Sie haben Ihre Lektion auch gelernt. Wenn ich Sie aufforderte Größe zu zeigen, wäre das zwecklos, weil ich befürchte, dass da nichts ist, was sich erheben könnte. In diesem Sinne: höre ich lieber Paul Potts als Sie, Frau Jenny Hoch. Denn Ihre Schreibkunst erinnert mich zu sehr an die Hagen Rethersche Krone der Perversion: Ein Schwein durch den Fleischwolf zu drehen und dann den Brei in den Schweinedarm so zurückzustopfen, dass ein Bärchenartikel entsteht. Bon appétit.

    Hochachtungsvoll

    B.


    PS: Die Qualitätskontrolle des Forums ließ anderes von mir im selben Zeitraum (heute zwischen vier und sechs), zum selben Thema durch. Diese Antwort aber nicht. Warum auch immer...
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