#1

Das Sonett

in Techniken 17.09.2011 13:33
von Salome | 140 Beiträge | 140 Punkte



Das Sonett



Ich hab da mal in meinen Unterlagen gekramt und einiges übers Sonett ausgegraben, das ich euch nicht vorenthalten möchte
Ich habe das Thema mal in folgende Teilbereich gegliedert und zur besseren Übersicht gesondert gepostet:


Überblick:
- Das Sonett nach August Wilhelm Schlegel
- Das europäische Sonett (Friedhelm Kemp)
- Sonderformen
- Sonett zum Vervollständigen: " Zwei dichterischen Schwestern..." von Mörike




Was ist ein Sonett?

Quer durch die Foren erlebt man immer wieder fruchtlose Diskussionen darüber, ob ein Gedicht nun tatsächlich ein Sonett sei oder doch eher nicht. Die Meinungen gehen weit auseinander, wie eng man sich an formale Vorgaben zu halten habe, was ein Sonett nun wirklich ausmache.
In der deutschen Lyrikszene taucht in diesem Zusammenhang seit dem 19. Jahrhundert immer wieder ein Name auf: August Willhelm Schlegel.
Deshalb möchte ich auch mit einer Kurzfassung seiner Vorgaben in dieses Thema einsteigen und lasse ihn gleich selbst in seinem "Das Sonett" die formalen Vorgaben erläutern.




1. Sonett nach August Wilhelm Schlegel

Das Sonett

Zwei Reime heiß’ ich viermal kehren wieder,
Und stelle sie, getheilt, in gleiche Reihen,
Daß hier und dort zwei eingefaßt von zweien
Im Doppelchore schweben auf und nieder.

Dann schlingt des Gleichlauts Kette durch zwei Glieder
Sich freier wechselnd, jegliches von dreien.
In solcher Ordnung, solcher Zahl gedeihen
Die zartesten und stolzesten der Lieder.

Den werd’ ich nie mit meinen Zeilen kränzen,
Dem eitle Spielerei mein Wesen dünket,
Und Eigensinn die künstlichen Gesetze.

Doch, wem in mir geheimer Zauber winket,
Dem leih’ ich Hoheit, Füll’ in engen Gränzen.
Und reines Ebenmaß der Gegensätze.



Zusammenfassung, wie Schlegel sich das Sonett vorstellt:

- es hat 14 Verse, in 2 Quartette, gefolgt von 2 Terzetten gegliedert

- die Verse sind gleich lang

- die Versart ist die in der jeweiligen Sprache am typischsten; im Französischen der Alexandriner, im Deutschen, Italienischen und Spanischen ein Elfsilbler, im Englischen der fünfhebige Jambus

- die Ideale Reimform in den Quartetten ist abba abba, (auch alternierender Kreuzreim möglich, allerdings nicht so passend wie den umarmenden; liegt daran, dass Reime trennen und verbinden; umarmender Reim erfült das besser; daher ist auch die Verwendung von vier Reimen (abba cddc) ungünstig, da die beiden Quartett nicht durch Reime miteinander verbunden sind.

- die Reimform der Terzette ist freier: entweder 2 Reime, die dreimal wiederholt werden, oder 3 Reime, die sich zweimal wiederholen.

- Bevorzugung weiblicher Reime, bei durchgehend männlichem Reim geht außerdem die Musikalität verloren

- den Alexandriner hält er nicht für besonders passend, da der Vers dabei in 2 Teile zerfällt, von denen der erste reimlos ist und dadurch die Einheit aufgelöst wird

- Enjambements stören den musikalischen Klang

- das Sonet ist eine in sich zurückgekehrte, vollständige Form (der verfolgte Gedankengang innerhalb des Sonetts soll zum Abschluss gebracht werden)

- Dramatisches Element des Sonetts: man kann das Sonett inhaltlich in Exposition, Fortgang und Katastrophe gliedern, woraus sich ergibt, dass es auch „burleske“ Sonette geben kann, wie neben Tragödien auch die Komödien gibt unter „Drama“ zusammenfasst werden. (Man liest auch häufig von einer Gliederung in :1.Quartett - These; 2. Quartett: Antithese oder auch Fortführung der These; 1. Terzett: Anitthese oder auch gemeinsam mit den 2. Terzett Synthese)

- das Sonett soll die Verbindung von Gefühl und Denken herstellen

zuletzt bearbeitet 17.09.2011 14:17 | nach oben

#2

RE: Das Sonett

in Techniken 17.09.2011 13:35
von Salome | 140 Beiträge | 140 Punkte



2. Das europäische Sonett (Friedhelm Kemp)


Italien/Spanien
- 2 Quartette mit 2 Reimen (ursprünglich - bei Petrarca - im Kreuzreim) später fast ausschließlich im umarmenden Reim, also abba abba
- 2 Terzette mit 3 Reimen (Anordnug frei)
- Grundvers: 11silbig mit weiblicher Kadenz

Frankreich:
- 2 Quartette mit 2 Reimen (ursprünglich im Kreuzreim) später fast ausschließlich im umarmenden Reim, also abba abba
- 2 Terzette mit 3 Reimen (Anordnug frei)
- Grundvers: meist Alexandriner mit alternierenden Kadenzen

England:
Shakespeare:
- 3 Quartette mit Kreuzreimen (abab cdcd efef)
- abschließendes paargereimtes Couplet (gg)
- Grundvers: 5hebiger Jambus mit meist männlichen Kadenzen
Sonderform:Spensersches Schema:
- 1 Oktett und ein Sextett
- Reimschema: ababbcbc cdcdee
- Grundvers: 5-hebiger Jambus

Deutschland:
- Gliederung wie ital. Sonett
- als deutsches Sonett wird häufig eine Form bezeichnet, in der die Quartette nicht durchgereimt sind, also abba cddc
- Grundvers: Im Barock (Andreas Gryphius) war der Alexandriner vorherrschend, ab dem 18. Jh. mehr und mehr der 5hebige Jambus mit weiblichen oder wechselnden Kadenzen


Diese Auflistung konzentriert sich auf typische Ausprägungen und ist nicht vollständig und uneingeschränkt gültig.

zuletzt bearbeitet 17.09.2011 14:02 | nach oben

#3

RE: Das Sonett

in Techniken 17.09.2011 13:36
von Salome | 140 Beiträge | 140 Punkte


3. Sonderformen des Sonetts


- Sonettessa
Umkehr des Sonett-Schemas: Auf zwei Terzette folgen zwei Quartette.

- Durchgereimte Sonette (sonetto continuo)
In diesen Sonetten werden die Reime aus den Quartetten auch in den Terzetten verwendet.

- Schweifsonett
Ein Sonett mit zusätzlichen Terzetten. In Deutschland entstand diese Form wohl um 1800, stammt aber eigentlich aus dem Italien des 16. Jahrhunderts.

- Dialogsonett
Der Dichter lässt verschiedene Figuren sprechen. Dabei können die Redeanteile strophenweise aufgeteilt sein oder die Sprecher wechseln innerhalb der Strophe.

- Sonettkette als Vereinfachung des Sonettkranzes, wie sie der.hannes hier im Forum begonnen hat, siehe Sonettkette

- Sonettenkranz
Ein Sonettenkranz besteht normalerweise aus 15 Sonetten. Jedes Sonett beginnt mit der Schlusszeile des vorangegangenen. Das 15. Sonett (meistersonett oder sonetto magistrale) besteht aus den 14 Anfangsversen der anderen Sonette.

- Sonettennetz
ist eine Gedicht-Form, die die Form des Sonettenkranzes weiterentwickelt, wobei allerdings die 14 Basissonette nicht durch wieder aufgenommene Zeilen verbunden sind. Bei einem Sonettennetz werden 14 Sonette gegeben, deren parallele Verse im Sinne eines Geflechtes wiederum 14 neue Sonette ergeben.

zuletzt bearbeitet 17.09.2011 14:02 | nach oben

#4

RE: Das Sonett

in Techniken 17.09.2011 13:42
von Salome | 140 Beiträge | 140 Punkte


Zum Abschluss noch ein besonderes Schmankerl, ein Sonett zum selbst Vervollständigen


4. Eduard Mörike: Zwei dichterischen Schwestern
von ihrem Oheim

Heut lehr ich euch die Regel der Son– –.
Versucht gleich eins! Gewiß, es wird ge– –,
Vier Reime hübsch mit vieren zu versch– –,
Dann noch drei Paare, daß man vierzehn h– –.

Laßt demnach an der vielgeteilten K– –
Als Glied in Glied so einen Schlußring sp– –:
Das muß alsdann wie pures Gold erk– –;
Gewisse Herrn zwar hängen Klett an K– –.

Ein solcher findet meine schönen N– –
Bei diesem Muster. »Ah, Fräulein, Sie st– –!«
»O nein, Herr Graf, hier gilt es Silben z– –.»

»Wirklich! Doch wenn die Lauren selber d– –,
Was soll Petrarca?« Der mag Strümpfe str– –.
Eins wie das andre ist für schöne S– –.


Es gäbe noch eine ganze Menge zu sagen, bedenkt bitte, dass es eine schematische Vereinfachung und natürlich längst nicht vollständig ist, dass das Sonett, wie alles andere auch der Entwicklung unterworfen war und ist. Bemerkenswerte SonettautorInnen der Gegenwart finden sich in auch hier im Forum z.B. Feo: Natternhaut
roux: Spitzentanz
Alexandrinersonett von Pog Mo Thon: Sinn-Los

Um nur ein paar zu nennen und euch auch die Vielfalt der möglichen Themen ein wenig näher zu bringen. Schmökert doch selbst ein bisschen!




In der Hoffnung, euch nicht abgeschreckt, sondern Lust zum "Selbstversuch" gemacht zu haben,
mit lieben Grüßen, Salome




zuletzt bearbeitet 17.09.2011 14:03 | nach oben

#5

RE: Das Sonett

in Techniken 17.09.2011 14:06
von pistacia vera (gelöscht)
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Liebwerte Salome,
zunächst einmal tausendfachen Dank für die Arbeit, die du dir gemacht hast und deine gekonnt-spielerische Methode, das Thema an die User zu bringen. Ich bin begeistert und hoffe inständig, dass sich nach & nach noch ein paar andere finden werden, die uns theoretisch-handwerkliche Teilbereiche der Lyrik schmackhaft machen.
Ich finde, du hast sehr übersichtlich gearbeitet und wirklich Neues vermittelt. Ich persönlich hatte nämlich von einer Sonetessa, dem Sonetto continuo und dem Dialogsonett zuvor noch nie gehört.
Das lädt zum Selbstversuch ein!
Hocherfreute Grüße





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