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  • UnermesslichkeitDatum06.07.2019 12:13
    Thema von Kjub im Forum Minimallyrik

    Unermesslichkeit.
    Letzter Raum der Romantik
    einer vermessenen Welt

  • Jäger und Gammler Datum30.07.2017 00:44
    Thema von Kjub im Forum Kurzgeschichten, Erzäh...

    „Du bist so still“, stellte Karl fest.
    „Ich warte“, sagte Priva.
    „Seit Monaten? Worauf?“
    „Weiß ich noch nicht“, sagte Priva, „Ich weiß nur was war, und was war, war nicht das, worauf ich warte. Was mir wichtig war, wurde bedeutungslos. Wovor ich Angst hatte, ist eingetroffen“, flüsterte er.
    Er sah in den Nebel des abendlichen Nieselregens: Eine Wolke orangener Glühwürmchen im Lichtkreis alter Straßenlaternen.
    „Du wolltest das Richtige tun“, sagte Karl, „du wolltest einmal das Richtige tun und die Welt hat das nicht entsprechend gewürdigt. Jetzt kriegste das große Heulen.“
    Priva lachte. „Ja, und hier bin ich jetzt, mitten im Nirgendwo, ohne Boden unter den Füßen.“
    „Sagt man das heute so, wenn man sich treiben lässt, hängenbleibt, rumhängt?“
    Priva hielt sein Bier hin, sie stießen an, leise klirrten die Sternis. Über ihnen standen Sternis am Himmel. Sie saßen auf einer Bordsteinkante direkt an der Mauer zum Westwerk. Eine Wundermaschine des Lindenauer Nachtlebens, die seit neustem verkauft werden sollte, als könnten Wunder jemandem gehören.
    Ein Flaschensammler, der nicht Betsy war, kam vorbei. Witzelte über Privas Schnoppek, sackte ihre vier leeren Flaschen ein und sagte zu Priva, er solle trinken, nicht nuckeln, sonst werde die Flasche nie alle und er nicht betrunken.
    „Wahre Worte eines großen Mannes“, antwortete Priva.
    „Nicht dass er nicht Recht hätte“, sagte Karl.
    Ob er denn glaube, dass sie Zeit hätten?, fragte der Sammler, er habe keine, jedenfalls nicht übrig. „Kennst du meinen Stundenlohn?“, fragte er. Priva schüttelte den Kopf, ohne die Flasche abzusetzen. „Geht dich auch nichts an, ich kenne deinen ja auch nicht, will ich auch nicht wissen. Über Geld spricht man nicht, so was solltest du wissen.“
    Karl und Priva sahen sich kurz an und dann wieder den urbanen Sammler.
    „Jedenfalls sinkt der Lohn meiner Stunde, wenn Privilegierte täten, als gehörten ihnen nicht nur ihre Flaschen, sondern auch meine Zeit.“
    Priva hob die linke Hand, um das Geschwätz aufzuhalten. „Das wird eh nichts“, sagte Karl, „hast ja letztens nicht mal den Cospudener Sees teilen können.“
    „Du bist ein Zugezogener“, sagte der Sammler, „ich erkenne Typen wie dich. Vom Stamm der Hipster, euer Siedlungsgebiet liegt zwischen Macchiato-Strich, Bio-Betankung und Eigentumswohnung, ihr seid Parasiten, die den Städten ihre Seele rauben und dafür sorgen, dass es überall gleich aussieht und nur sie selbst dort mehr leben wollen und können.“
    Priva trank den letzten Schluck und wog die leere Flasche in der Hand. Die würde sich bestimmt gut mit dem Bürgersteig verstehen, er könnte sie einfach dem Schwätzer zwischen die Beine werfen. Das würde dem Gespräch sicher gut tun. Vor ein paar Monaten noch hätte er nichts anderes gewollt, aber jetzt war es anders, die Zeit hatte ihn verändert. Das Treiben in den lichtlosen Räumen leerer Tage, er war geläutert, frei von Begehren.
    „Ich will diesem Idioten nichts tun“, flüsterte er Karl ins Ohr, sagte „Aye“ zum Sammler und tippte gegen sein Cap.
    „Wegen dir und Leuten wie dir geht hier alles vor die Hunde“, sagte der Sammler, „weißt du, Plagwitz ist schön gewesen, bevor vampirische Douchebags wie du hier unser Leben witterten. Jetzt können sich Leipziger wie ich keine Wohnung mehr leisten.“
    „Hier, euer Pfand mein Herr!“, rief Priva und warf die Flasche. Sie explodierte zwischen des Sammlers Füßen in tausend Scherben. „Und ich verspreche euch, dass Ihr für jede weitere schiefe Metapher oder Unworte wie Douchebag eine weitere Flasche bekommen werdet.“
    „Hm“, brummte Karl gedehnt, als Splitter sein Gesicht trafen, „jetzt hast du doch was getan.“
    „Ja, doch.“ Priva pulte ein Glasstück aus seinem Schnurrbart und lächelte dem Sammler.
    Der trat zwei, drei Schritte zurück. „Was tust du? Bist du irre? Warum lächelst du überhaupt?“, rief er. Seine Stimme zitterte in den Höhen.

    „Ich würde sagen, so sieht ein fassungsloses Gesicht aus“, sagte Priva.
    „Ist doch scheiße, der armen Sau so zu kommen“, sagte Karl.
    „Würdige ihn nicht herab. Hast du nicht mitgekriegt, er ist ein Geschäftsmann. Du hast ihn reden hören“, sagte Priva. „Außerdem habe ich es gern getan, und es steht in Bibel und Koran: was man gerne tut, ist wohlgetan.“
    Der Sammler stand leicht wankend neben seinem Hackenporsche und umklammerte den Ziehgriff.
    „Ich versuche mich auch öfter irgendwo festzuhalten, aber es gibt keinen festen Ort auf dieser Welt, oder?“, fragte Priva in unverbindlichem Ton.
    Links und rechts von ihnen waren die Gespräche verstummt. Es war fast ganz still auf der Karl Heine, bis ein alter Triebwagen der Leipziger Verkehrsbetriebe über die Schienen ratterte. Schienenschleiffahrzeug stand auf einem Schild an der Seite des Wagens, dessen Geräuschwerk die vorherige Stille spürbar machte.
    ‚Tranquility‘, dachte Priva und seufzte lustvoll, „Seelenruhe.“
    Der Sammler öffnete die Tasche und zog eine Pfandflasche raus. „Du bist doch irre“, grummelte er, „irre ist der, ortlos, verrückt.“
    „Das ist es, was du willst“, stellte Karl fest, „in diesen besonderen Momenten verrätst du dich, dann ist Sprache für eine Hand voll Zeilen mehr kein Spiel mehr. Frieden und Ruhe: Die bescheidenen Wünsche eines Kriegsveteranen.“
    Priva nickte. „Ja, ich glaube schon, dass ich das will. Denn mir fällt nichts besseres ein und es klingt so schmeichelhaft, dass es wahr sein muss. Was habe ich nur getan, dass ich mich so nach Ruhe sehne, welch Titanenwerk vollbracht? Ich weiß es nicht. Aber gut zu wissen, was ich durch dich jetzt weiß. Ohne dich wüsste ich nichts über mich.“
    Karl winkte ab. Von ferne hörte man Autos am Felsenkeller vorbei fahren. Priva öffnete noch ein Bier. Teures Exemplar mit Ploppverschluss. ‚Wer kauft mir nur ständig so ein Hipstergesöff?‘

    Er drehte sich zu Karl und sagte, dass, wollte sich gerade zu Karl wenden und sagen, dass, dass – da knallte dass auf seinem Schädel. Priva rannte gegen eine Glastür, schüttelte den Kopf wie ein nasser Hund sein Fell, kriegte aber die Tür nicht auf. Der Sammler rannte so schnell die Straße runter, dass sein Hackenporsche von einem Rad aufs andere hüpfte. „Da hast du deine Flasche wieder!“, rief er, „bist nicht auf den Kopf gefallen, was?“
    Karls Augen wurden zu Sehschlitzen, durch die er auf Privas Kopf kuckte wie ein Burgbewohner durch die Schießscharte aufs Schlachtfeld. Priva beugte sich ihm entgegen und bewegte den Mund, als wolllte er flüstern, verlor das Gleichgewicht und stützte sich mit der Hand auf dem Bürgersteig ab. „Meine Hand ist ein Igel, aber ich spüre keinen Schmerz. Nur wie sich Scherben ins Fleisch bohren“, lallte er und suchte in Karls Augen nach der Normalität, die mit der Flasche zwischen den Beinen des Pfandsammlers zersprungen war. Der schüttelte den Kopf. „Hier kannst du dich nicht festhalten. Da sollst du dich nicht abstützen.“
    Er hockte sich hinter Priva, zog ihn hoch und hielt ihn aufrecht. „Sei nicht so schlaff“, sagte Karl, „du bist zu schwer.“
    „Lass mich doch los“, antwortete Priva, „warum werde ich überhaupt festgehalten, Officer?“
    „Wenn du wenigstens den Mund halten würdest“, sagte Karl, trank einen Schluck Bier und fluchte, dass er sich keine Kippe bauen könnte, so lange Priva in seinen Armen hing. „Wer hätte gedacht, dass du mal so ein lahmer Rumhänger wirst“, überlegte er und kicherte.
    „Es ist selten, dass jemand genau das kriegt, was er verdient. Ist schon was wert, davon Zeuge zu sein.“
    „Erst wurde ich Opfer der Schwatzhaftigkeit des Sammlers, der mich mit seinem hinterhältigen Angriff ausknockte, weil seine Dämlichkeit meiner Bescheuertheit nicht gewachsen war. Wie soll das ein gerechter Lohn sein für einen, der stets nur Gutes will? Und zum Überfluss bin ich jetzt noch deinem Gerede ausgeliefert“, sagte Priva, „wie könnte das ein gerechter Lohn für irgendwas sein?“
    „Du redest viel, nicht ich. Neunzig Prozent jeder Unterhaltung füllst doch du. Und wenn dein Gegenüber nichts sagst, antwortest du für ihn gleich mit.“
    „Aber nur wenn ich weiß, was der Andere sagen will“, sagte Priva.
    „Unsinn. Woher willst du denn wissen, was jemand sagen will, der nichts sagt?“
    „Darüber darf ich nicht reden“, sang er leise.
    „Am besten wäre sowieso, du hältst den Mund.“
    „Nichts lieber als das, ich liege im Sterben und könnte etwas Ruhe gebrauchen. Du fängst an.“
    Karl knurrte, sagte nichts und sah sich auf der Straße um.
    „Weißt du, Karl, für einen Moment war es friedlich und ganz ruhig. Bevor die Straßenbahn die Stille durchfuhr und über ihre Scherben rollte, war es perfekt. Da wurde mir klar, wie still und leicht der verlorene Moment gewesen war. Ich glaube jetzt weiß ich, was Schönheit ist: der Rückblick auf geräuschlosen Frieden.“
    Karl grunzte.
    Jemand rief, man sollte einen Krankenwagen rufen, mehrere andere wählten die Nummer auf ihren Telefonen. Ein hübsches Mädchen kam rüber und fragte, was sie tun könnte. Karl gab ihr Tabak und ließ sie eine Zigarette drehen. Die Geräusche der Straße kehrten wieder.
    „Es klingt alles so seltsam. Und mein Kopf dröhnt und pfeift“, sagte Priva, „der muss mich getroffen haben.“
    „Sieht ganz so aus. Du warst aber auch ein ekliger Arsch“, sagte Karl, griff unter Privas Arme und wuchtete ihn zu sich hoch.
    „Haltung, Soldat. Du klappst mir hier immer wieder weg.“
    „Ja, ja, schon gut“, sagte Priva, wollte sich aufrappeln und stöhnte, als er die Igelhand wieder in die Scherben drückte.
    Karl lachte, „schon wieder? Wie dumm kann einer allein sein?“
    „Funktionstest ...“, murmelte Priva, „... erfolgreich - ich fühle wieder was außerhalb vom Kopf.“ Er griff mit einer Hand nach Karls Schulter und der anderen nach der Mauer und arbeitete sich hoch in den Stand. „Ich fühle wieder was außerhalb des Kopfes“, stellte er fest, „meine Hand tut weh wie Sau, verdammt, ich hasse Schnittwunden. Nicht zu vergleichen mit so einem kräftigen dumpfen Bonk gegen den Schädel – das hat schon was Sakrales, wie bei den Buddhisten, wenn sie ihren Gong schlagen. Heiliger Klang. Hörst du's auch?“
    Karl nahm seinen Arm, schlang ihn um seine Schultern und hielt Priva aufrecht. „Und jetzt?“, fragte er, „du stehst, ja, aber was tun, na, was nun?“
    „Mal sehen“, sagte Priva, „wird man niedergeschlagen, steht man erst mal wieder auf. Die Aussicht ist schon mal besser von hier oben. “
    „Der Krankenwagen ist gleich da“, sagte das Mädchen, hob langsam eine Hand nach Karls Kopf, streichelte seine Wange und fasste leicht durch’s lichte Haar.
    „Ich bin angegriffen und verletzt worden, nicht er“, sagte Priva und drehte ihr seine Wange zu, aber sie reagierte nicht.“Wie auch immer, lass uns los, bevor die Ambulanz kommt, das wird ein Riesentrara ohne Ende. Los jetzt, ins Doktor Seltsam, ich brauche eine Heilung.“
    „Kommst du mit?“, fragte Karl das Mädchen. Die schüttelte den Kopf und meinte, sie würde wollen, müsse aber bei ihren Freunden bleiben, sie sei zu Besuch und habe keinen eigenen Schlüssel. „Nur kurz“, meinte Karl, „das Seltsam ist direkt um die Ecke, ich bring dich auch zurück. Komm mit mir. Ich spüre doch, dass du es spürst. Sehe in deinen Augen, was du von meinen Augen abliest. Dass du von mir etwas bekommen kannst, was in diesem Leben nur ich dir geben kann.“
    „Du bringst sie nirgendwohin“, fuhr Priva dazwischen, „und sie kommt auch nicht mit. Wir gehen jetzt.“
    Karl fasste nach ihrem Gesicht und sah sie an. „Wie schön du bist“, sagte er, „welch seltsames Glück, dich hier und jetzt zu treffen.“
    Priva weinte stumm, gegenüber stürzte ein Mehrfamilienhaus geräuschlos ein. „Ihr habt das vielleicht nicht mitgekriegt“, sagte er, “ aber die Sache sieht so aus: Ihr steht voreinander, schmachtet euch an und habt jeweils eine Hand im Gesicht des Anderen. Während ich im Sterben stehe.“
    Sie streichelten einander weiter. „Hat einer von euch die Medusa unter den Vorfahren, oder Unzucht mit einem Basilisken getrieben? Seid ihr beide Narziss?“ Niemand reagierte. Priva kuckte noch mal genau hin, machte das Zeichen eines Abwehrzaubers und befreite sich von Karls Arm, mit dem der sogleich des Mädchens Taille umfasste und sie zu sich heranzog, ohne dass sie aufhörten, einander im Gesicht zu berühren.
    Die ersten Schritte allein torkelte Priva wie drei besoffene Russen. „Ich muss das Haus halten, fürs Westwerk da sein“, murmelte er, ging langsam an der Mauer lang, hielt sie fest und lehnte sich dagegen, wenn sich die Welt drehte, damit es nicht umkippte. Ein paar Minuten später waren seine Schritte schon fester, brauchte er weniger Pausen. Er sah sich um und merkte, dass die Hälfte des Weges geschafft war. „Bloß weg, bevor die Sanis kommen“, sagte er sich und rief Karl und das Mädchen zum Abschied an, ohne dass eine Reaktion kam.

  • 'Nabend Alcedo, mir sagt es sehr zu, eine fünf jahre alte unterhaltung über ideen und verse weiter zu führen.
    interessant zu sehen wie eine metrisch korrekte variante sein könnte. ich habe kein gefühl für Metrik entwickelt. ist wie farbenblindheit, beim schreiben spüre ich den rhythmus der verse nicht. Grüße, Kjub

  • Definition: LyrikDatum26.12.2015 13:42
    Foren-Beitrag von Kjub im Thema Definition: Lyrik

    mein beitrag ist bescheiden und abgekupfert, diese Minimaldefinition ist wohl schon hundert Jahre alt: der einzige Unterschied zwischen Lyrik und Prosa sei die Kurzzeile der Lyrik.

  • A8 3.0 TDI quattro verspoilertDatum29.11.2015 16:10
    Foren-Beitrag von Kjub im Thema A8 3.0 TDI quattro verspoilert

    Hi, Alcedo,
    inhalt und form der dreifachen spoiler-makkaba ist ein feiner kontrast zur fachsprache. und ganz oben der Heiland!
    mir gefällt auch der rückgriff auf den ursprünglichen namen des Audi, eben Horch. war das nicht die bevorzugte Luxus-Karossa oberer Nazi-Gangster? das wäre ein starker Bogen und eine Kontinuität von deutscher Ingenieurskunst bis german engineering, in der es um profit ging und geht, greenwashing ist da mittel zum zweck. Gedichtform erinnert mich von ferne an das Geschwisterkind des Haiku ...
    Kjub

  • Zigeunerkind Datum29.11.2015 15:50
    Foren-Beitrag von Kjub im Thema Zigeunerkind

    Hallo allerseits!

    Hey Joame, woher kanntest denn Du diese Erzählung?

    Zitat
    Dein Fleiß als Schreiber bestätigt sich, so dass er nicht gesondert erwähnt werden muss.



    was ja eine Möglichkeit ist, über etwas zu sprechen!

    Zitat
    Aber es war Dein Wille, Dich auf dieses 'glatte Pflaster' zu begeben und Dir die Arbeit aufzuhalsen



    es hat auch mit der Rahmenhandlung zu tun. aber ja, ich habe eine Vorliebe für die indirekte Rede und sonstigen Konjunktiv.

    Zitat
    Bei manchen Stellen vermute ich eine bewusst eingebrachte Ungelenkigkeit, die als Stilmittel dient.



    da bist du seit Jahren der erste, der das vermutet. es stimmt.

    Zitat

    Unterschenkel an eine sowjetische Spielzeugmine verlor



    Zustimmung!

    Zitat
    ihre Stimme gewann den anfänglichen Schwung und die Sicherheit zurück, die ihr mit dem halben Bein des Vaters unterwegs verloren gingen.
    (vermutlich: gegangen waren)



    wäre eher Duden-konform, ja.

    Zitat
    . Bei dieser Stelle frage ich mich, glaubt sie ihm oder glaubt sie ihm nicht, davon ist die Verwendung von habe oder von hätte abhängig.



    Indikativ: hat, Konjunktiv: habe. Indikativ: habe, Konjunktiv: hätte.

    Danke für deinen Kommentar, freut mich, dass es dir gefällt!

    missjöh mcberry,

    Zitat

    handwerklich noch mal rüber zu gehen ist er wert. Beschreibungen in der einfachen Vergangenheitsform lassen
    Leser miterleben bzw. hier mithören. Im Konjunktivtanz verschraubte Inhalte ermüden und erlauben auch eine
    Distanzierung - fast als sei es die Wirklichkeit nicht:



    ich weiß, der hat Nacharbeitungsbedarf. habe den schon einmal komplett überarbeitet, entzerrt und verschlankt. mglw folgt ein zweites Mal.

    Zitat
    - Diese Soldaten hätten nicht nur, sie taten es echt.



    indirekte Rede, wieder-erzähltes: die Erzählerin geht davon aus, dass es tatsächlich geschah. Augenzeugen sind im Auto nicht anwesend, außerdem gäbe es auch den unzuverlässigen Erzähler, falls ein Augenzeuge dabei wäre.

    danke fürs Lob und für das konstruktiv-kritische Feedback!

    Alcedo!

    Zitat
    er macht uns darin Mut noch unbetretenen Schnee getrost zu bestampfen, jeder auf seinem Weg



    und ja, das macht Mut. es kann anstrengend sein, die eigenen Wege sich zu bahnen, aber kein anderes Leben macht Sinn für den denkenden Schreiber.

    Zitat
    der war für mich nicht Solschenizyin, sondern Schalamow. wie hoch war die Resilienz eines solchen Künstlers, der das vermochte? und nicht daran zerbrach, wie Márai 1989, oder jüngst Borbély mit Nincstelenek**



    du beschämst einen Literaturbegeisterten und Buchhändler, so viele Namen, die ich teils nicht las, teils nicht mal kenne. aber ich freue mich stets, Neues kennenlernen zu können.

    Zitat
    wie sie Williams Protagonist Stoner bei einem Sonett von Shakespeare erfährt), was sie ihrem Vater alles zu verdanken hat



    da wollte Stoner noch Agrarwissenschaft studieren, wenn ich mich richtig erinnere, bis dieses Sonett alles änderte. in einem Fall geschriebenes Wort, strenge Form, im anderen Fall gesprochenes Wort, der Fluss der Rede. und beide können ähnliches bewirken.

    Zitat
    Adi benannt, das ließ mich auch kurz stocken weil es im Rumänischen häufiger die Kurzform des männlichen Vornamens ist (Adrian)



    wir waren auf persönlicher Pilgerfahrt mit verschiedenen Zielen. eigentlich bekam ich von meinem Großvater Adalbert, Adi genannt, den Auftrag, den heiligen Adalbert von Prag zu grüßen, aber wegen der Unwägbarkeiten des Trampens tangierten wir Prag nur kurz und peripher. umso interessanter, kurz danach eine weibliche Adi zu treffen ...

    Zitat
    1.„Apparatschiks" ist Sowjetslang und passt deshalb nicht in den Karpatenbogen. nimm stattdessen Securisti (Aussprache: Sekurischt) das wurde gern verwendet, weil das beinhaltete „cur“ Arschloch oder Arsch bedeutet. er würde auch schön zu deinem originellen Garnelenpulen passen.

    2. pulen ohne h.

    3. „energetisches Gesicht“ => du meinst energisches, oder?

    4.„dank sei dem Smog großen Städten“ ? => großer Städte

    5. am Ende „liderlich“ wie widerlich ohne langes i bitte.



    1 -> toller tipp! 2. ja, danke. 3. nein, energetisch, ist ungebräuchlich, aber mir scheints richtig da. 4. ja, danke 5. echt? kuck ich noch mal nach, passe ich im Zweifel an.

    Zitat
    nein, Cioran war kein Ungar gewesen. er wurde lediglich im damaligen multi-ethnischen Österreich-Ungarn geboren, im heutigen Siebenbürgen. hier passt der Karpatenbogen also. wusstest du dass er sich die Initiale M aus phonetischen Gründen selbst verpasst hat? auch die hat also nichts mit den Magyaren zu tun, sondern kommt von Forster. von E. M. Forster.



    ich weiß, der stammt aus Rumänien und war später u.a. in D und lebte später in Paris, Beckett bezeichnet er in seinen Cahiers als Freund. Camus und Sartre lässt er nicht oder kaum gelten. ich bin da nah bei ihm. das mit E.M. Forster wusste ich nicht. Cioran bedeutet mir viel, er verrät viel über Menschsein in der Welt, scheint mir.

    Zitat
    schau dir auch bitte mal die vielen Absätze an. du setzt sie mehrfach willkürlich. das ist handwerklich mies und optisch grauslich. mach das bitte so wie es Margot hier beschreibt.



    danke für die offnen Worte, ich sehe es mir an.

    für Rückmeldungen wie deine - dafür allein lohnte Schreiben schon!

    langfristige Leseliste ergänzt.

    Kjub

  • gute BeuteDatum13.11.2015 13:20
    Foren-Beitrag von Kjub im Thema gute Beute

    sehr erfreulich, dich hier zu lesen, Alcedo.

  • Zigeunerkind Datum13.11.2015 13:14
    Thema von Kjub im Forum Kurzgeschichten, Erzäh...

    Mein Vater, sagte sie, sei zu Zeiten der Sowjetbesatzung ein kleiner Junge gewesen. Die Soldaten hätten damals aus unerfindlichen Gründen gefährliches Zeug verschenkt, zum Beispiel einen explodierenden Kugelschreiber. Mit Sprengstoff gefüllte Gebrauchsgegenstände, das müsse man sich mal vorstellen. Die Kinder wären bald gewarnt gewesen - und damals wurden solche Warnungen ernst genommen, in unglücklichen Zeiten fordern nur Dummköpfe das Glück heraus. Niemand habe gewusst, warum die Russkis tödlichen Krams an Kinder verschenkten, aber es war auch keine Zeit der Fragen damals, in diesen Tagen. Kommunisten, Rote, die waren nur eine kleine Zeit da, in der abgelegenen Gegend in Transsilvanien, wo ihre Eltern lebten und leben. Nach ein paar extrem harten Wintermonaten seien sie abgezogen. Diese vielleicht hundert Tage hätten jedoch gereicht, um die Gegend zu verminen. Ein paar wenige Tellerminen, einige explodierende Kugelschreiber mehr.
    Sie fuhren jetzt seit vielleicht fünf Minuten, der ehemalige Grenzübergang blieb zurück.
    Eines Tages war ihr Vater unterwegs mit anderen Kindern, um Brennholz zu holen. Es hatte tagelang geschneit und weiß war das Land, der Schnee bedeckte alles wie ein Tischtuch, ließ nur die Silhouetten erahnen. Umrisse von alten Bäumen und Vertiefungen auf den wenigen Pfaden, die als sicher galten. Der älteste Junge ihrer Gruppe habe den kleinen Expeditionstreck angeführt, Joseph habe ihr Führer geheißen. Den Namen erzähle ihr Vater stets mit, als wäre das wichtig, weiß der Teufel warum.
    In Josephs Fußabdrücken stapfte das zweite Kind, das Dritte in den Füßen des Zweiten und so weiter. Der Marsch der Gänsekinder als Vorsichtsmaßnahme, um nicht von einer Mine erwischt zu werden. Von Joseph wurde geglaubt, der erkenne die minenfreien Wege auch unter einer Schneeschicht. So was kann stimmen oder nicht. Er orientierte sich an den markierten Bäumen entlang des Weges. Joseph war mit seinen dreizehn Jahren doppelt so alt wie die meisten und wog um einiges mehr. Wenn sein Gewicht keine Mine auslöste, habe man gehofft, es geben keine Gefahr für die hinter ihm Gehenden. Es war nicht das erste Mal, dass sie sich aufmachten zu einer Holzexpedition, und bis zu diesem Tag sei immer alles gut gegangen.

    An dem Tag habe sich Adis Vater jedoch im Schritt vertan, sich in den eigenen Gliedmaßen verheddert oder sei mithilfe einer Konzentrationslücke über eine Luftwurzel oder eine Wurzel aus Luft gestolpert. „Ach! Gören taugen nun mal nicht zum Gleichschritt“, lachte ihr Vater, als Adi fragte, was ihn damals zu Fall gebracht hätte. Seine Freunde, andere sieben Jahre alte Jungs, erwischte es jedenfalls nicht. Ihr Vater als Kind sei es gewesen, erzählte Adi, der fiel und eine Mine auslöste. Und diese Mine riss seinen linken Unterschenkel weg, zertrümmerte Knochen, zerstörte das Fleisch, ließ ihn schreien und heulen und raubte ihm die Mobilität.
    Ihr Vater habe sich später ein Holzbein getischlert, geschreinert oder zurechtgeschnitzt. Was wisse sie schon davon, ihr Vater könne das sicherlich besser erklären, aber wie die Dinge lägen, würden wir ihn nicht kennen lernen und müssten mit Adis Version der Geschichte vorlieb nehmen, wenn wir wollten. „Wollt ihr überhaupt mehr hören?“, fragte sie listig und Tristan war froh, dass Macky schnell ja sagte - er kann solche Fragen nicht leiden und zog eine Fresse, als habe man ihm gammliges Fleisch angeboten. Um sich abzulenken und sein Gesicht kein offenes Buch mehr sein zu lassen, überlegte er, wo Adi ihr Deutsch gelernt haben könnte.
    Sie benutzte mit Vorliebe solche etwas angestaubt wirkenden Formulierungen wie beispielsweise vorlieb nehmen oder Vorliebe. Es gab bedrohte Wörter, die Tristan nicht vermissen würde. Weiß Stalin oder Ceaucescu, woher sie die hatte, mit welchen Büchern sie ihre Schuldeutschkenntnisse erweiterte und vertiefte. Vielleicht Übersetzungen aus den frühen Fünfzigern? Als ein paar überlebende Intellektuelle sich dranmachten, für ein undichtes Mietdach über dem Kopf und ihr Schwarzbrot die Bücher von Ferenc Molnar und Sandor Marai aus dem Ungarischen ins Deutsche zu übersetzen. War nicht auch Cioran ein Ungar? Adi erklärte jedenfalls ihre Vorliebe für die ungarische Literatur dieses untergegangenen Zeitalters. Obwohl sie eine Rumänin war, was sprachlich unendlich weit vom Ungarischen entfernt sei, wie sie erklärte. Auf Tristans Frage, ob sie das auf Regeln und Konventionen bezöge oder eher auf das Sagbare, verzog sie unwillig die Mundwinkel. Da merkte sogar Tristan, hier sollte eine Geschichte erzählt werden, und nahm sich vor, weniger zu reden, mehr zu hören.

    Als ihr Vater ein junger Mann im jungen kommunistischen Rumänien war und es Zeit wurde, ihm eine Planstelle zuzuweisen, habe er darum gebeten, Tischler werden zu dürfen. Sein Talent für Holzarbeiten hätte er da bereits unter Beweis gestellt, außerdem könne man da viele Arbeiten sitzend erledigen. Aber das sei ihm nicht erlaubt worden. Vielmehr habe man ihm ohne weitere Begründung eine Stelle in der örtlichen Fabrik zugewiesen, wo er den ganzen Tag habe stehen und hart arbeiten müssen. Eine grausame Entscheidung, wie Adi entschied, eine rätselhafte und grausame Entscheidung!
    Schließlich seien die Talente ihres Vaters in der Holzverarbeitung unübersehbar gewesen, also wäre das die Stelle gewesen, wo ihn die Apparatschiks am effektivsten hätten ausbeuten können. Aber nein, es musste die Fabrik sein! Wo er genau so viel und genauso wenig machen konnte wie irgendein Dummkopf. Wo Menschen damals nicht viel mehr waren, als organische Maschinen mit Armen. Bio-Maschinen, die einem Halbfertigprodukt ein weiteres Bauteil zufügten. Keine inspirierende Tätigkeit, habe ihr Vater zugegeben. Aber die meditative Mechanik von genau definierten und immer wiederholten Bewegungen hätten ihn vom Schmerz im Beinstumpf abgelenkt, wie ihr Vater milde erwiderte, wenn Adi sich als junges Mädchen über die Dämlichkeit und Unnötigkeit seiner Arbeit aufregte.
    Ach Arbeit, ein Urteil. Urteil, Unheil! Wie sie sich auszudrücken pflegte, ein Urteil, das er sich verdient habe für die Existenz im Rumänien dieser Zeit. Das noch ein ganzes Stück ärmer und härter gewesen sei als das heutige Rumänien, was für den Ortskundigen sicherlich schwer vorstellbar aber nichtsdestoweniger wahr sei und auf der Skala nach unten nicht mehr viel offen gelassen habe. „Grausamkeit!“, rief die jugendliche Adi. Aber ihr Vater habe nur milde gelächelt und mit friedfertigen Worten eine Entscheidung in Schutz genommen, unter der er sein Berufsleben lang litt. Er hätte doch leiden müssen, es sei ganz unvorstellbar, dass er nicht gelitten hätte; manchmal erwischte sie das seltsame Gefühl, mehr unter seiner Arbeit gelitten zu haben, als er selbst.
    Heute sehe sie das anders, meinte Adi, und ihr energetisches Gesicht umwölkte sich kurz. Das damalige Regime zu kritisieren habe schnell tödlich enden können. Fast alle Familien hätten einen Blutsverwandten an den rumänischen Geheimdienst verloren. Sicherlich sei in ihrer kleinen Familie kein Spitzel gewesen. Und so wie sie lebten, weit weg, weit draußen auf dem transsilvanischen Hinterland: Arme Leute, eine Bäuerin und ihr Krüppel mit zwei Töchtern: Niemand habe sich für ihre Familie interessiert. Auch das kann ein kleines Glück bedeuten.
    Doch egal wie klein und unbedeutend einer gewesen sei - wenn die falschen Worte an die richtigen Zuträger gerieten, wäre auch der letzte Hansel aus der Walachei interessant geworden. Exempel seien stets zu statuieren! Außerdem gibt es für jeden Spitzeldienst einen Judaslohn. Nicht mehr als ein Bakschisch, aber lange Armut lässt kleines Bakschisch größer aussehen.
    Außerdem glaube sie mittlerweile, Menschen unter der Herrschaft des Terrors erlägen schneller dem Irrglauben, sie könnten sich etwas Sicherheit erkaufen, wenn sie zur Unsicherheit der Anderen beitrügen. Indem sie ihre Verwandten, Freunde und Kollegen ans Messer lieferten. Es sei eine diffuse Atmosphäre der Angst gewesen, die viele Köpfe krank machte, Herzen vergiftete und Gemeinschaften auseinander trieb. Bei ihnen sei das anders gewesen, in ihrer Familie habe es weder Verräter noch Zigeuner gegeben.
    Ihr Vater habe gewusst, dass es nur einen wirksamen Schutz gebe, ohne den Nächsten zu verraten. Man müsse ein Niemand sein, ein Wesen, das mit Tapeten verschmelzen kann, dessen Worte den parteilichen Strom nicht verließen, denn dort lauerte Gefangenschaft, Folter, Tod. Man müsse ein Nemo sein.
    Ein Nemo, dem die warmen Worte für die rot angezogene Diktatur flüssig über die Lippen gingen, wenn einer früge, und zwar ohne Zeitverzögerung. Reden als habe man nur darauf gewartet, dass einer fragt und freue sich, endlich sein Herz öffnen zu können, auf dass all die Liebe für den Diktator und obersten Folterer hinausfließen könne. Sie wisse nicht, wie ihr Vater das all die Jahrzehnte durchgehalten habe, ohne verrückt zu werden und mittlerweile traue sie sich nicht mehr, zu fragen. Es habe Ewigkeiten gedauert, bis sie dieses rätselhafte Verhalten seinerseits verstanden habe.

    Ein Verhalten, das sie in ihrer Jugend so sehr aufgeregt habe, diese Verteidigung der offensichtlichsten Dummheit, Grausamkeit und Bösartigkeit! Unter der in ihrer Familie niemand mehr zu leiden gehabt hätte, als er selbst. Vor einem Jahrzehnt dann sei es ihr aufgegangen, als sie schon längst in Österreich arbeitete. Nachdem sie es jahrelang in einer verstaubten Kiste verstaut hatte, in einer dunklen Ecke der Rumpelkammer die das Gedächtnis ist. Bei einem Gespräch mit einem alten Patienten, der wie sie im kommunistischen Rumänien gelebt habe. Freilich sei der deutlich älter als sie gewesen, und habe folglich mehr gewusst von den Notwendigkeiten des Überlebens.
    In diesem Gespräch sei Erkenntnis wie ein Blitz in ihr Leben eingeschlagen und habe den Raum erhellt. Warum Vater die größte Grausamkeit seines Lebens immer mit dem mildesten Lächeln beantwortete.
    Mittlerweile waren es nur noch wenige Kilometer bis nach Budapest. Adi entschuldigte sich für die Abschweifung. Ihre Stimme hatte merklich ihren Klang verändert, war tiefer, dunkler geworden. Manchmal dauerte es etwas länger, bevor sie weitererzählte und es wirkte, als wäre sie unmerklich aus dem Fahrwasser oft erzählter Geschichten in ein gefährlicheres Gewässer geraten. Als segele sie auf unbekannten Wegen, die höchste Konzentration erforderten, um den Rumpf nicht am Riff aufzureißen. Doch dafür war möglicherweise Neuland am Horizont.
    Was sie eigentlich habe erzählen wollen, begann Adi nach einer Pause, die ungefähr eine Jahreszeit lang dauerte. Sie hatte bisher noch keine zwei Sekunden geschwiegen, seit Tristan und Macky in ihr Auto eingestiegen waren.

    Eigentlich habe sie erzählen wollen, erzählte Adi, dass ihr Vater nach vielen Jahren des Arbeitens und Sparens und der mehrjährigen Wartezeit endlich das Kunststück fertig gebracht hatte, einen Trabant zu kaufen. Damals sei das Benzin sehr teuer und rar gewesen. Allerdings hätte er über einen Verteilungsschlüssel zwanzig Liter monatlich zugewiesen bekommen. Vielleicht weil er Teilinvalide war, möglicherweise weil der Weg zur Fabrik nicht gerade kurz war, sie wisse es nicht. Bei genauerem Hinsehen sei diese unerwartete Zuwendung ähnlich absurd wie der Fluch seines Lebensberufes. Sie keuchte, Tristan sah Muskeln zucken in ihrem Gesicht, Spasmen liefen über ihre offenen Züge, sie verkrampfte in Wut und Trauer, namenlosem Hass. Tristan schaute schnell weg, obwohl das enorm interessant war. Aber er wusste von sich, wie er hasste, wenn Menschen ihn in Momenten der Schwäche und Hilflosigkeit erleben und nichts weiter tun als kucken. Wie oft, wenn er sich zur Ablenkung zwang, kamen die Worte von selbst, spielten ihre Melodie zu den Bildern des Tages. Durch dein rotes Haar Adriana leuchtet die morgendliche Sonne so träumerisch so romantisch so natürlich dank sei dem Smog großen Städten schlechten Katalysatoren und deinen roten Haaren Adriana, Adriana. Adriana angelte nach einer Zigarette, kurbelte das Fenster runter, steckte sich eine an. Tristan roch, in diesem Automobil wird normalerweise nicht geraucht. „Weiter geht’s“, sagte Adi.

    Die monatliche Benzinzuteilung hätte ihr Vater in den Wintermonaten eisern gespart und sei zu Fuß zur Arbeit gehumpelt. Trotz des schmerzenden Stumpfes und eines zunehmenden Knieleidens, das es auf Arbeit umsonst gab. Jahrzehntelange einseitige Belastung in dieser entfremdeten Sklavenwirtschaft, die ihr Vater hartnäckig Beruf nennen wollte und will.
    In den Sommermonaten wäre das aufgesparte Benzin auf den Kopf gehauen worden. Sobald es warm genug gewesen sei, wäre die Familie und alle Schwimmsachen, die man sich habe anschaffen und ausleihen können, mit einem oder zwei Nachbarskindern, in den Trabant gestopft worden und alle seien zum Wasser gefahren. So sei ihr Papa gewesen, das war ein Mensch, mehr müsse man doch über eine Person gar nicht wissen.
    Er lebe immer noch mit seiner Frau, ihrer Mama, in dem rumänischen Dorf, wo er vor bald siebzig Jahren seinen Unterschenkel an eine sowjetische Spielzeugmine verlor. In einem alten Haus, dessen Ofen und Brunnen hervorragend seien, und wo die beiden mittlerweile bis zu drei Stunden Strom am Tag hätten. Tristan quatschte wieder dazwischen, erzählte von Freunden auf La Gomera, Ikaria und in der Karibik. Von Menschen die ähnlich lebten, in ihren Barrancas, selbstgebauten Häusern und Wohnhöhlen.
    Adi wischte seine Bemerkung beiseite. Das möge ja sein, aber sie erzähle nicht von Aussteigerromantik – so leben Rumänen in ländlichen Gebieten noch heute, meinte sie, das sei alles, aber niemand habe sich das ausgesucht, Zufall der Geburt, eh? Das ist nur eine schlichte und harte Wahrheit, die sich Tag für Tag durch die Mühen der Menschen selbst erneuert. Vor allem die Alten kennten Zeit ihres Lebens keine andere Existenzform und hielten daran fest, bis sie stürben.
    Sie überlegte. Wobei Fernheizung und Wasseranschluss freilich nicht aus einer Entscheidung reiner Willenskraft heraus entstünden, auch nicht in Transsilvanien. Adi lachte und zwinkerte, ohne jemand zu adressieren. Tristan wurde es warm.
    Wer weiß, sagte Adi, wahrscheinlich hätten sie nichts gegen fließend Wasser und eine Wärme, die in der Ferne hergestellt wird und die Hütte im rumänischen Winter beheizt. „Eigentlich sind sie aufgeschlossen, ihre Herzen jung geblieben. In der Kühltruhe, die hinten bei Macky steht, sind Garnelen und Schrimps. Mama liebt Schrimps, diese zwergigen Meeresfrüchte mit den niedlichen Arschlöchern. Papa puhlt und isst sehr gern Garnelen, aber in Rumänien kosten die ein Vermögen. Deswegen gibt’s die nur, wenn ich sie mitbringe!“

    Sie sprachen über einen geeigneten Ort, wo sie die beiden rausschmeißen könne. Tristan sagte, sie solle sich keine Umstände machen und die beiden einfach dort rauswerfen, wo es günstig sei für sie, worauf Adi erwiderte, das hätte sie nicht anders vor, natürlich denke sie zuerst an sich, darum müsse er sich keine Sorgen machen. Die Luft im Wagen knackte vor Trockenheit bei ihren Worten, ihre Stimme gewann den anfänglichen Schwung und die Sicherheit zurück, die ihr mit dem halben Bein des Vaters unterwegs verloren gingen. Tristan spürte ein Kribbeln entlang der Wirbelsäule, als hätte er selbst die Haltung wieder gewonnen.
    Dann ging alles schnell. Sie hielten auf einem Rastplatz, der durch Tristans deutsche Linsen betrachtet unglaublich liederlich und verwahrlost wirkte. Adi winkte ihnen ein letztes Mal und fuhr weiter.

  • Esel hatten ja kein leichtes Leben und wurden darüber hinaus auch noch als dumm und störrisch beschimpft - sie hatten es schwer. Dieser Satz könnte bedeuten, dass es in der Natur des Esels liegt, es schwer zu haben. Dass der Esel, wenn er es leichter hat, also glücklich ist, selbst dafür sorgt, wieder in die ihm "zustehende" Rolle zu schlüpfen. Er geht auf's Eis zum Tanzen - und fordert somit das Glück heraus, im Zweifel solange, bis sein Übermut zurechtgestutzt ist.

    mir fällt gerade kein Sprichwort ein, aber alternativ will ich diese Frage stellen: Wisst ihr, warum die kluge Bauersfrau ihrem Mann, der beim Ackern einen goldenen Stößel fand, riet, diesen nicht dem König zu geben? Das ist aus einem Märchen. Ich hoffe es ist nicht zu schwer, dann würde ich noch mal nach einem Sprichwort graben.

  • ithaka / uthakaDatum25.09.2012 22:46
    Foren-Beitrag von Kjub im Thema ithaka / uthaka

    ja, alba, das triffts! passt für mich auch nicht zusammen, ist so ein stimmungsding. danke.

    und auch dir danke, perry, fürs kurze und kritisch anmerkende feedback. ist alter kram von mir neu abgemischt. als ich auf dem weg war, meinen ausdruck zu finden. versuch zwischenzeitlich ausgesetzt.

  • ithaka / uthakaDatum23.09.2012 08:23
    Thema von Kjub im Forum Diverse

    hallo!wien rollen (la maskerad my kamerad)
    der rock rollte runter
    das textgebirge ollte:
    letitbe: rock'n'roll,
    jawohl! (imaginiert: lyrich)

    ohne warum: zum tanztee!
    ist im tal ist unten ist unter
    krimskramslawinen, oh weh!
    verscharrt: das hart. no way.
    (image: lyrdu)

    stößchen! auf gräbern?, nein.

    & (auch) kein tänzer in bernstein:
    kein starrer könik kein schwain!
    also, wenn diese (lyrsonstwär)
    person glaubt sie wäre so:
    sagen wir: einer bis sechs: richtige!
    und man zöge aus dieser
    ziehung seine / ihre : heimat
    los : dies SCHICKSALszettelchen IST PRIMA
    tenjackpot : die odyssee im öden: see!

  • Karl & Carlito - Way of WehDatum05.09.2012 07:35
    Foren-Beitrag von Kjub im Thema Karl & Carlito - Way of Weh

    Nee, sauer bin ich nicht. interessant war es!

    ja, es ist als Allegorie zu verstehen. also das war wenigstens die Absicht. ;-)

    die Prahlerei, na ja, die sollte sich nicht in erster Linie darum drehen, zu zeigen, was er für ein geiler Typ ist, sondern den Plot noch mal verschieben, weil er ja meint, am Ende des einen Absatzes, er wäre fertig damit, obwohl er dann halt im Verlauf der Handlung zeigt, dass es nicht so ist.

    Zitat
    Wohlerzogene Typen mit guter Schuldbildung und regelmäßigem Einkommen, die versuchen über die Szene zu schreiben, übertreiben meistens hemmungslos.



    von welcher Szene bitte redest du? das ist sozusagen die Trash-Variante einer Szene. wenn du darauf nicht kommst, tja, dann ist schwierig. man weiß ja immer gar nicht, wie man so was erklären soll.
    ich lass es einfach.

    es ist doch eigentlich nicht so schwer zu verstehen! ich versteh nicht, dass man nicht versteht, worum es sich hier dreht. wenn ich das jetzt noch sage, mach ich auch nichts besser.
    vielleicht ist die Geschichte einfach misslungen.

    es bedankt sich für deinen salzigen Beitrag,
    Musterschüler Kjub

  • Karl & Carlito - Way of WehDatum03.09.2012 11:16
    Foren-Beitrag von Kjub im Thema Karl & Carlito - Way of Weh

    hallo alba,

    ist es denn besser, eine figur aus taktischen erwägungen heraus sympathisch zu machen? damit der leser so was wie mitgefühl entwickelt und dabei bleiben will?
    roter faden sollte schon vorhanden sein, wird aber immer verschoben. wenn du die geschichte wirr findest, dann ist er vllt einmal zu oft verschoben und damit versteckt worden.
    du kannst ja noch mal beschreiben, was du mit unscharfem aufbau meinst und unstimmigen metaphern, das würde mich interessieren.

    danke für den kommentar,
    kjub

  • Karl & Carlito - Way of WehDatum30.08.2012 23:42
    Thema von Kjub im Forum Kurzgeschichten, Erzäh...

    Karls Weh

    Karl richtet ein letztes Mal seinen Krawattenknoten. Dann streicht er mit festem Druck mit den Handflächen über sein Gesicht, von der Nase bis zu den Ohren, wo er die nun gestraffte Haut festhält. Es ist nicht so, dass da nur Falten und Furchen sind, wenn er sich ins Gesicht sieht. Da ist so viel mehr zu sehen! Hm. Er betrachtet seine gestrafften Züge, lässt los und - sieht wieder aus wie vorher. So ist es, nicht, nur Falten und Furchen? Ein elegant gekleideter Mann mit etwas, das nennt er den "Schrumpfkopf eines Hochbetagten" auf den Schultern.
    Eine Formulierung, die "das müde und traurige Lächeln eines Mannes im Spätherbst seines Lebens" hervorlockt. Eine Zielperson, mit der Karl entgegen der Statuten eine lose Beziehung unterhält, sagt, er benenne sich in Grund und Boden, er tausche die Beziehung zu seinem zerfallenden Körper gegen Comic-Phrasen. Er berücksichtigt diese Einschätzung, verdächtigt aber ihren klugen Klang. Vllt nur Scheiße aus Schlau, die oben schwimmt, auf den Sprachströmen. Verblende mich, ich blende dich. Als er noch Menschen kennen lernte, fragten die bisweilen, ob dieser oder jener Satz ein Zitat war. "Klar." Seine Standard-Antwort auf die Standard-Frage.
    "Kenne deinen Feind", murmelt Karl, nimmt einen Wodka aus der Minibar, prostet seinem Spiegelbild zu, trinkt das Schnäpsken in einem langen Schluck leer, wickelt mit leicht zittriger Hand einen Werthers Echte aus, steckt es sich in den Mund und lutscht. Lutscht konzentriert und hingebungsvoll, als wäre es eine Mission.

    Rewind

    Müsste er wählen zwischen Wodka und Lutschbonbons, würde er nicht lang überlegen. Auch früher, als er mit seinen Süßen noch Hand in Hand ging, lag auf seiner Zunge stets ein süßes Bonbon, ein Sweetie, wie sie damals sagten. Man zog ihn damit auf, dass er nie genug bekomme. Als ob er sich für die Damen krumm gemacht hätte! Doch das behielt er für sich, wohl wissend, dass es eigentlich nicht um seine Gier ging. Insgeheim beneideten ihn viele, Freunde ohne Freundinnen, die allein zu Tanzabenden kamen, ihre Sehnsucht zur Schau stellten, und allein wieder gingen. Diese Vielen ertrugen ihre Ledigkeit nur, mit einer Haltung, die dem Betrachter vermittelte, Zeuge einer öffentlichen Schande zu sein. Einige stellten sich irgendwann die Fragen, ob das noch tapfer war oder bereits masochistische Züge trug, ob man es mal mit Inseraten versuchen sollte oder mit käuflichem Sex. Manchmal ahnte Karl ihre Bitterkeit, die durch vermeintlich blickdichte Sätze schimmerte. Und überlegte, was den Unterschied ausmachte. Und auch seine weniger erfolgreichen oder traurigerweise in Gänze erfolglosen Freunde, fragten, wenn sie ordentlich einen im Turm hatten: Karl, was ist dein Geheimnis? So verzweifelt waren sie. Und er hat ihnen zuliebe da viel rumgedacht. Verschiedenes angenommen und verworfen, war der Sache heiß auf der Spur, und manchmal, jawohl, manchmal, da war's: Ganz knapp. Und flugs, entfernte es sich.
    Auch nicht schlecht, erzählenswert, durchaus, die Geschichte seines Aufderspurseins. Während dessen er konzentriert und seriös Unmengen Bonbons lutschte, weswegen ihn Frauen, sekundenweise hingerissen, leicht losgelöst, manchmal keck in die Wange kniffen, damals, in seiner schneidigen Zeit. Und, nun ja.
    Jedenfalls, das Ergebnis, in aufrichtiger Kürze: Er hat es nie verstanden. Und weil er es vermied, etwas zu behaupten, wovon er nicht überzeugt war, weil er sich selbst zu Spekulationen nur äußerst ungern hinreißen ließ, konnte er seinen Freunden kein Geheimrezept liefern. Wenigstens einen klugen Rat? Wollte er nicht geben. Was den Unterschied ausmachte? Es war natürlich seine ernsthafte und konzentrierte Art, Süßigkeiten zu vernaschen. Die einer Frau alles über einen Mann verrät, wenigstens all das, was zu wissen sich lohnt.
    Seitdem sind viele Jahre vergangen. Irgendwann fand doch noch jeder den Eimer, der auf seinen Arsch passt. Machte ihr ein Kind, baute ihr ein Haus, fütterte sie fett. Und ein Jeder vergaß die verzweifelten Fragen im Suff, mit denen Karl gelöchert wurde. Nur Karl nicht. Der konnte die traurigen Augen nicht vergessen, die so satt davon waren, sich die Nackten kaufen zu müssen, die sich so sehr einer anderen Frau als ihrer Mama anvertrauen wollten. Er trainierte sich ab, eine Süße an seiner Seite haben zu wollen, verbot sich die alten Gelüste und Herzenswünsche, und suchte sich neue, vernünftigere. Und siehe da: dem disziplinierten Geist ist das Fleisch Untertan. Eine Woche oder so lutschte er Bonbons wie ein Weltmeister, bis er sich zwang, mit dem alten Niveau auszukommen.

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    Jetzt lutscht er ohne Zuschauer. Nicht dass seine Konzentration darunter gelitten hätte: Nebenbei gelingt Anderes, gerade zieht er die Zimmertür zu, schließt nicht ab, den altersmüden Aufzug ignoriert er mit leichtem Bedauern, vllt einem Hauch Solidarität, und geht, mit sorgfältig gesetzten Schritten, die Treppe hinunter.
    Wie so oft erfasst ihn Befremden beim Durchqueren der Straßen seiner Kindheit, in denen nichts mehr ist, wie es einst war. Modelleisenbahn-Fachgeschäft, Schuster und Fischverkäufer, Friseure, Fleischer und Eisenwaren-Handel: Karl weiß noch genau, in welchem Haus welche Läden waren, obwohl keiner den Wandel der Zeiten überdauerte; sogar die meisten Namen der Straßen änderten sich mit dem Wechsel der Diktaturen.
    Als er jung und schneidig war, flanierte er mit den Schönen über den Adolf-Hitler-Platz; später, als er weniger begehrt war, aber besser verdiente, lud er gereifte Damen zu einem Abendessen im Kerzenlicht auf dem Stalin-Forum; jetzt beschäftigt er sich vornehmlich mit der Struktur des historischen Kopfsteinpflasters, erstaunlich, wie unterschiedlich diese Steine sind! Karl spürt da eine Aversion, auf dem Marktplatz zu stürzen. Das war auch neu: Anhaltendes Interesse für Bodenbeläge.
    Sonstige Umgebung betrachtet er kaum. Obwohl viel mehr Reklame und Schaufensterwerbung gezeigt wird, als in seinen guten Zeiten. Seine Freunde, damals, fanden Werbung aufdringlich und vulgär. Karl war stets aufrichtig interessiert. Doch diese Neugier erlahmte mit dem Zeitverlauf. Vielleicht liegt es an mir, denkt Karl. Obwohl bunter und vielfältiger geworben wird als früher, scheint es ihm hinter der Oberfläche öde und leer zu sein, wie nie zuvor. Stabreime, Binnen- und Endreime, holperndes Metrum, Assonanzen: So wird die Lyrik auf Taschenspielertricks reduziert, dachte er mal, die täten alles, um Inuit Eis und Schnee zu verkaufen, billige Slogans für chillige Hogans, mehr sinnvoll wie Dada: ein Dodo, ja, aber insgesamt? tendenziell unseriös, hohle Versbrechungen für Menschen, in deren Bedürfnisse Karl sich nicht mehr hinein zu versetzen traut.
    Nur an dem Eckhaus, das seit zwanzig Jahren leer steht und zerfällt, weil sich die Erbengemeinschaft nicht einigt, wirft er einen Blick nach oben: Bauarbeiten legten Bilder aus alten Tagen frei. Rauchwaren Köhler: in ziselierten Lettern über einem Plakat im Jugendstil, auf dem ein Pfeifenraucher im Profil zu sehen ist. Lincoln, der Tabak für den Mann von Welt. Karl lächelt wehmütig. Geraucht hat er nie, weil es ihm einfach nicht schmeckt, aber diese elegante Werbung vermittelte ihm damals den Impuls: sich Pfeife und Tabak anschaffen! Um abends, nach einem Essen mit Freunden, wenn schwerer Wein zu gewichtigen Diskussionen mit Kirchenfreunden führte, die Argumente der weltfernen Pfaffen mit weltmännischem Paffen einzunebeln. Wir haben dem rhetorischen Nebelwerfer auch keine Pause gegönnt, denkt er, doch wir wussten was wir taten, und wir wussten auch, wann Schluss ist. Ach, wilde Jugend!
    Da gibt es eine Beobachtung: je mehr er sich dem Leben ausliefert, desto stärker drängt sich das bereits Erlebte auf, aber auch all das, was normalerweise unter der Oberfläche des Tages mitschwimmt. Er will das nicht, will nicht, dass die Welt der Vorstellung die Welt der Tat verdrängt. Lieber lebend sterben, als sterbend leben. Oder so, ungefähr.
    Karl biegt in eine Nebenstraße ein, die von dem Marktplatz abgeht. Mit einem Mal gibt es kein Gedränge mehr, dem er ausweichen muss, und anstelle schön anzusehender, aber schwierig zu begehender Pflastersteine liegen Bürgersteigplatten unter seinen Füßen. Jetzt ist es nicht mehr weit. Er könnte den Rest des Weges mit geschlossenen Lidern gehen. Aber Karl ist keiner, der das Glück herausfordert. Doch etwas schneller schreitet er aus, achtet etwas weniger auf die vor ihm liegende Strecke, der Gehstock ist nicht mehr nur drittes Bein, sondern ein unter den Arm geklemmtes flottes Accessoire, dessen silberner Knauf mit der Uhrkette korrespondiert. "Der Eisenwaren-Handel meiner Kindheit lebt nur noch in meiner Erinnerung", flüstert Karl, "aber ich gehöre noch lange nicht zum alten Eisen."
    Beschwingt, die letzten Meter zu seinem Ziel, einem unauffälligen Mehrfamilienhaus. Er liest das Schild sorgfältig, bevor er klingelnd seinen Besuch ankündigt. Kirche der letzten Tage e.v. Albern findet Karl diesen Namen, albern, albern, albern. Doch mittlerweile amüsieren ihn diese Kindereien nur noch. Vage und etwas ungläubig erinnert er sich an einen Karl, den mangelnder Ernst entrüstete. Der es persönlich nahm, wenn Spaßmacher Welt und Leben entweihten.
    Im Inneren des Hauses gibt es einen Großen Saal, dessen Inneres ähnelt einem Kirchenschiff. Und auch die Möblierung, wenn man so sagen darf. Da sind ein Altar, Sitzbänke, goldgerahmte Gemälde mit sakral anmutender Malerei, sogar eine Kanzel befindet sich gut zwei Meter über dem Boden, auf dem sind Farbenspiele der durch die Buntglasfenster fallenden Sonnenstrahlen. Dieser Ort ist gleich geblieben, all die Jahre hindurch.

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    Karl warf jahrelang bei jedem Besuch einen neugierigen Blick auf das große schwere Buch, das auf dem Stehpult liegt. Schnell stellte er fest, dass es immer an derselben Stelle aufgeschlagen ist. Zwei Seiten, die großzügig mit kyrillischer Kalligraphie und flächiger Goldrand-Illustration ausgestaltet sind. Es gibt ein fünfminütiges Zeitfenster zwischen Einlass und Erscheinen des Auftraggebers. Es dauerte Jahre, bis er den Mut aufbrachte, die Seite umzuschlagen.
    Folgendes geschah: Nachdem er sich gebärdete wie ein Ladendieb vor dem ersten Mal, sich also mehrmals umdrehte und jeden Winkel des Saales mit den Augen erforschte, erkannte er, außer dem Donnerschlag seines Herzens weist nichts auf die Anwesenheit eines lebenden Wesens hin. Karl blätterte mit fahrigen Fingern das Pergament um: Die nächste Seite war leer. Das leere Blatt steigerte seine Aufregung noch. Mit wild pochendem Herz und schwitzigen Fingerkuppen blätterte Karl weiter. Nicht nur die Seite, das ganze Buch war leer. "Ein leeres Buch", sagte er leise und fassungslos. Hallte sein Flüstern durch das Nichtkirchenschiff? Verdattert öffnete er das Werk wieder an der Stelle, an der es seit Jahr und Tag geöffnet lag. Und wäre vor Aufregung fast gestürzt, als er auf dem Weg zum Beichtstuhl über die Ecke einer Kirchenbank stolperte.
    Wie immer erschien der Auftraggeber erst, als Karl im Beichtstuhl saß – er bekam seinen Auftraggeber nie zu Gesicht. Karl weiß nicht einmal, ob es über die Jahrzehnte hinweg der gleiche oder ob es verschiedene Männer waren, die im Flüsterton, teils in abstrus schlechtem Schulenglisch, über die zuletzt vollendete Mission sprachen und danach eine kurze Einführung in die nächste, zu vollendende Mission gaben. Es war stets der gleiche Ablauf. Ein für Karl nicht endender Quell von Zufriedenheit: Er wusste genau, wenn ein Umschlag unter dem Holzgitter durchgeschoben wurde, in dem sich nähere Erläuterungen zur nächsten Mission und die Bezahlung der letzten Mission befanden, war der Monolog des Auftraggebers fast beendet. Abschließend folgte nur noch die gemurmelte Formel: "Sonstwer sei mit dir. / Geh mit Sonstwem, Filius, aber geh. / Möge Sonstwer über deine Schritte wachen."
    Trotz der immergleichen Abläufe entdeckte Karl bis zu seinem letzten Besuch vor drei Monaten stets etwas Neues: Dass die zu der Kanzel führende "Tür" aufgemalt ist, war ihm tatsächlich erst nach mehr als zwanzig Jahren aufgefallen.
    Karl fasste das als Beweise für die zunehmende Schärfe seiner Adleraugen und die anhaltende Rätselhaftigkeit dieses Ortes auf und war mit leichtem inneren Kopfschütteln von hinnen gegangen. Zwei Straßen weiter musste er lachen, so offenherzig und tiefenvergnügt, fast wäre ein zufällig in der Nähe weilender böser Geist aus Missgunst an Schluckauf erstickt. Eine weitere Straße später, fast vor der Tür seines Hotels (Zimmer mit Farbfernseher, Fernsprecher und Kleinkühlschrank. Preis: VHB) war er aus dem Lachen ins Grübeln geraten. Die Missionen seiner Auftraggeber waren in seinen Augen durchaus keine Schelmenstücke, er vermochte zwar häufig nicht zu erkennen, an welchem Bild er ein Puzzelstück anzusetzen oder zu manipulieren hatte, denn seine Missionen waren meist Teil eines größeren Ganzen, aber die wenigen Male, in denen er einen direkten Zusammenhang zwischen einer Mission und bspw der vorherigen Mission oder zB Ereignissen der Lokalnachrichten herstellen konnte, wurde mehr als deutlich, dass die Motive seiner Auftraggeber sehr weltlicher Natur waren.
    Meistens schien es sich darum zu drehen, auf alle möglichen Arten Geld zu verdienen. Nicht besonders aufregend oder erhebend, fand er, aber nachvollziehbar und im Grunde okay. Eigentlich kein großes Ding. In Karls Weltbild jedoch, das bereits festgefügt war, als er zu der Nicht-Kirche stieß, hatten sich Menschen seriös zu geben, wenn sie vor allem die Absicht haben, Geld zu verdienen. Und einen besonders seriösen Eindruck machten seine Auftraggeber nicht. Das war mal klar.
    Diese Seltsamkeit mag der Auslöser gewesen sein von Karls seltsamer Idee und Hoffnung, die seinen erneuten Besuch an diesem Tag veranlassten. Ein Besuch, der von seinen Auftraggebern wahrscheinlich nicht vorgesehen war. Sie hatten ihn nämlich nach der letzten Mission, die - leider - scheiterte, gefeuert. Klar können Missionen mal scheitern. Formtiefs gehören dazu, es kommen wieder bessere Zeiten. Doch Karl war alt, zu gebrechlich für viele Missionen, man lehnte Aufträge ab, obwohl Karl frei war, das dürfe nicht sein, ja, da argumentierte einer betriebswirtschaftlich - und das Alter bewege sich eben nur in eine Richtung, führte der Auftraggeber weiter aus, der Karls Entlassung bei der Team-Sitzung zur Sprache brachte. Mehr brauchte es nicht, um die sentimentale Anwandlung eines anderen Auftraggebers beiseite zu wischen. Sie feuerten ihn und verschwendeten keinen Gedanken mehr an den Ehemaligen, wie es sich gehört. Bis heute.
    Ihre Kirche, die keine Kirche ist, war nicht als Ort geplant, zu dem ehemalige Auftragnehmer zurückkehren. Es gibt keine Alumni-Gartenfeste, keine Ehemaligen-Treffen, es wird auch keine Neujahrsmesse gelesen. Es gibt nur einen Grund, die Nichtkirche zu betreten, und der lautet, sich eine Mission zu holen. Aber Missionen werden von angestellten Auftragnehmern erledigt, nicht von entlassenen Auftragnehmern. Es gibt keine heilige Vereinsschrift oder über dem Eingang montierte Zehn Gebote, auf denen diese Regel fixiert ist. Wahrscheinlich denken die Auftraggeber, diese informelle Regel verstehe sich von selbst. Bisher war das auch so. Mehrere sind entlassen worden. Karl ist der einzige, der zurück kam.

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    Jetztzeit: Eben jener Karl sitzt im Beichtstuhl und sagt, er brauche eine Mission. Missionen würden nicht gebraucht, sondern ausgegeben, antwortet ein Auftraggeber, der sich das erste Mal in jahrzehntelangem Mummenschanz tatsächlich fühlt, wie ein Seelenhirte fühlen mag. Er spürt Flüssigkeit aus seiner Haut austreten. Gefällt ihm nicht. Von dieser Antwort ist Karl nicht überrascht. "Ich möchte eine Mission aufgeben", sagt er und schiebt einen Umschlag unter dem hölzernen Gatter hindurch. Der Auftraggeber<->Auftragnehmer nimmt ihn auf, öffnet und liest. "Ungewöhnlich. Aber wir können das leisten. Sicher, dass Sie suchen wollen? Wir könnten Sie finden lassen." Karl denkt das durch. "Ich will nichts Aufregendes, einfach noch ein wenig ... rumtingeln? Machen Sie das möglich bitte." Kurze Pause. Dreiundzwanzig, zweiundzwanzig, einundzwanzig, zwanzig
    "Verstehe. Einen Moment bitte." Karl hört einen billigen Kugelschreiber über Recyclingpapier kratzen. Ein Umschlag wird unter dem hölzernen Gatter hindurchgeschoben. Karl nimmt ihn auf, öffnet und liest. "Zielperson finden. In der dunklen Ecke eines wilden Viertels? Nachtbars und so, vllt sogar Nacktbars. Verstehe. Da ist ein Ort angegeben, von dem aus die Nachforschung beginnen könnte. Mehr nicht. Klingt nach einem harten Job. Aber jemand muss es ja machen. Jemand mit Erfahrung. Auftraggeber, ich erledige das."
    "Unser Auftraggeber verlässt sich auf uns. Wir verlassen uns auf Sie."
    Karl wartet, bis der Auftraggeber den Beichtstuhl verlässt und kurz darauf den Saal. Und verlässt wenig später den Beichtstuhl und kurz darauf den Saal.
    Aber beide gehen in verschiedene Richtungen.
    Der Auftraggeber, im Büro, öffnet einen Ordner im Notebook. Fotos verschiedener Schriftzüge auf menschlicher Haut: Man kann wählen aus Fertig-Sprüchen und vorgegebenen Schriftarten, oder sich Spruch und Schrift selbst zusammen stellen. Die groben Züge skizzierte er eben in dem Beichtstuhl, jetzt kümmert er sich um die Details. Karls Anliegen ist zwar ungewöhnlich, es spricht aber nichts dagegen. "Der Auftrag wird ihm gefallen. Ist mal was ganz anderes. Eine Herausforderung." Er wählt ein vorgegebenes Wort aus und erprobt die Wirkung, indem er es auf verschiedene Hautstellen seines Avatars projeziert – Schulter, Schlüssel- und Schambein. Gefällt alles nicht, mttlw fiel ihm auch ein besseres Wort ein. Dass er doch wieder auf die Stirn "tätowieren" wird. Nirgendwo schindet ein Etikett größeren Eindruck.

    Carlitos Way

    Wieder im Feld. Karl spürt den Aufwind. Den Stock ließ er gleich im Hotel. Dann ging er durch die Gegend, suchte nach etwas unbestimmtem, einem Ort oder einem Mensch, oder nach einer Idee, wie er anfangen könnte.
    Nach einer Weile trifft er jemanden am Hauptbahnhof, der aussieht, als könnte er etwas wissen, und gibt ihm etliche Biers aus. Karl will ins Gespräch kommen und formuliert komplizierte Fragesätze, deren letzte drei Segmente sämtlich an seinem Gesprächspartner, der sich "Das" nennt, vorbeirauschen. Karl irritiert Das <-> das irritiert Karl. Kürzere Sätze kann er nicht. Milljöh-Milieu, ist schon was anderes. Nichtkönnen, das ist Pein. Aus der Peinlichkeit flüchtet er, wie es seinen Talenten entspricht. In Bewunderung. Karl ist sehr findig im Bewundern anderer Menschen.
    Dass er bei seinem Gesprächspartner lange keine Eigenschaft findet, die der wertschätzenden Erwähnung wert scheint, verstärkt die Irritation. Das, der nach fünf Biers geistige Startposition einnimmt, versteht das Problem nicht, vor dem sein Spender steht. Leidet aber mit Karl, auf nonverbaler Ebene, während Karl sich stetig weiter mit sich selbst verwirrt.
    Der Trinker nickt, grunzt und ahat, voller Rätsel, die er traditionell und mit gutem Gewissen ungelöst lässt. Saugt die Flaschen leer und streckt die Pfote aus, in die verlässlich neue Silberlinge für neue Plörre gelegt wird. Karl wird bewusst, sein potentieller Informant war seit drei oder sogar dreieinhalb Litern nicht bei den "örtlichen Wasserspielen". Na also! Bewunderung ergießt sich wie durch einen gebrochenen Damm über den Biertrinker. Der seine Blase mit dem famosen Fassungsvermögen eines Riesendudelsacks in alle Himmel gelobt hört.
    Von diesem Erfolg beflügelt gelingt Karl die komplizierte Operation, seine Sätze auf Boulevard-Niveau rückzubauen. Der Schönheit entbehrende Infovehikel, auf Kufen aus übertriebener Freundlichkeit geschnallt. Dafür rafft sein Gegenüber endlich, wovon der Geck die ganze Zeit schwafelt. Ja, geschnallt! Er winkt 'nen Kumpel ran, der auf diesem Gebiete öfter & öffentlich schlaumeiert -> es folgt eine geraffte Version -> die Dinge nehmen ihren Lauf über eisige Pisten des Schwafelns -> der Bewanderte schickt Karl in eine Absturzkneipe. Lokalisierung des Kontaktorts: eine Stichstraße, die von der Geilen Meile abgeht. Kontaktperson: weibliche Servicekraft.
    Die wisse was. Lasse sich die Information aber bezahlen.
    Das sei kein Problem, sagt Karl, so liefen die Dinge eben. Macht ein Gesicht, von dem er hofft, es sehe aus, als wisse er, wie solche Dinge laufen. Der Informierer nickt verständig und hält eine Hand auf, in die Karl weitere Silberlinge für ein weiteres Bier abzählt.
    Dafür gibt's nen Zettel, den er seiner Kontaktperson aushändigen soll. Laufen die Dinge hier auf diese Art, sind Halbweltler derart organisiert? Sind das echte Halbweltler, oder nur Leute, die Leute kennen? Faszinierende Fragen, die ihn auf dem Weg zum beschriebenen Ort im Nachtleben (Nacktleben) beschäftigen.
    Vollgestopfte Kaschemme. Zum Eingang drängelt er sich durch, unablässig um Entschuldigung bittend. Ein Strom Menschen fließt aus dem Laden heraus, ein anderer hinein. Karl spürt bei jedem Schritt seine Sohlen am Fußboden kleben.
    Vierstündige Happy Hour, Kurze und Shots für einen Euro: steht in kindlich runder Kreideschrift auf einer großen Tafel. Musik wird gespielt. Schlager oder Techno. Oder Schlager auf Techno-Beats. Es ist so laut, dass er den Eindruck bekommt, es sei unmöglich, jemanden zu verstehen, sich selbst eingeschlossen. Trotzdem reden alle. Okay, sie schreien sich an. Verbringen die Menschen so ihre freien Abende? Freiwillig? Karl staunt, entscheidet aber, sich der Lust nicht zu verschließen, sollte sie in Karl einen Wirt sehen. Doch zu allererst die Mission -> Erspäht wird die von seinem Kontakt beschriebene Barfrau! Jedoch die Theke ist von einem dreifachen Menschenband belagert. Geduldig nutzt Karl jede Gelegenheit, sich näher heranzuschieben und wächst an dem Gefühl, eine Prüfung bestanden zu haben, als er eine halbe Stunde später einen Platz erobert. Von dem aus er die Barfrau heranwinkt, was niemanden interessiert.
    Stattdessen: Barmann eilt heran und fragt: "Wunsch?" Karl sagt, mit wem er zu sprechen wünsche. Ein verärgerter Barmann schnauzt ihn an, dass er etwas bestellen oder den Platz räumen solle. Hier gebe es keine Extrawürste. Karl versteht nicht, oder tut, als verstehe er nicht. Würste?
    "Biatch, bestell was, oder – räume diesen Platz!"
    Da fährt ein herber Schreck in seine Glieder nieder! Karl beruhigt sich mit inneren Zählübungen, um beim Antworten nicht ins Stress-Stottern zu geraten. Nach Sekunden fängt er sich. Und macht - höflich aber bestimmt - darauf aufmerksam, er werde bestellen, aber nur bei dieser bestimmten Dame. Barmann sieht ihn scharf an und nickt fast unmerklich. Karl spürt ein Ziehen und weiß, eine Schublade öffnet sich im anderen und saugt ein Image von Karl an, das flugs aus Karl herausfliegt. Barmann sieht aus, als hätte er davon nix mitgekriegt, was der Wahrheit entspricht. Schüttelt endlich den Kopf und ruft :"Tikki, komm bei mir bei, Digger. Dein Typ wird verlangt!"
    Sie dreht ihren Kopf, macht einen großen Schritt. Sie sieht, öffnet den Mund und spricht: "Was kann ich für dich tun?" Karl schiebt das Papier rüber, "wie es mir geheißen ward." Tikki überfliegt den Zettel und betrachtet Karl mit hochgezogenen Augenbrauen, bevor sie die Rückseite beschreibt und die Rechnung zieht. "Sieht teuer aus, ist aber billig. Rabatt, Alder, Mann. Erinnerst mich an Polgar. Kennst ihn? Fühlt sich bisweilen so alt, wie du aussiehst. Wird später sicher so'n Schildkrötenkopf kriegen, wie du ihn hast, Alder, Mann." Karl studiert die Rechnung aufmerksam: Drink, eingeschlossen geheime Information: zwanzig Euro. "Ich bevorzuge es, von 'Schrumpfkopf auf Hochbetagtenhals' zu sprechen." Karl immer so hoheitsvoll gegenüber jungen Dingern, seitdem klar ist, es besteht nicht mal Promille-Chance, dieses oder jenes Küken nackig zu machen.
    Sie zieht in Zeitlupenmanier die rechte Oberlippe nach oben. Verachtung, denkt Karl. Und fühlt sich zutiefst und schnörkellos verstanden. Kein Hauch von Skepsis und Abwägen, die seit unvordenklichen Zeiten seine Beziehung zu dem jungen Ding an sich überschatten. Ihm wird ganz warm. Ja! Als verstehe sie und wolle der gemeinen Welt in seinem Namen ihre reinweißen Reißzähne zeigen. Tikki schiebt ein doppelseitig beschriebenes Papier über den Tresen. Lehnt sich nach vorn und ermöglicht busenbezüglichen Einblick, den Karl routiniert ignoriert. Er lehnt sich ihr entgegen, ganz sanft und weich im Inneren. Als sie ihn anschreit, erschrickt er kaum.
    Trotz ihres Schreiens fühlt er sich so intim mit ihr. Hmmm, Babe, dein Honigtopf. Da ist der Duft ihres Haars, der ihm in die Nase steigt, der so lebendige Hauch von Zigaretten & Bier aus ihrem Mund! Ja, denkt Karl, als wären wir zwei die letzten Übellebenden einer vergessenen Welt, die sich auf einer Bergspitze im geflüsterten Dialekt ihres Zwergtals vergessene Bergzwerg-Gedichtfragmente zuraunen, um sich scharfzumachen für den unvermeidbaren Sex-Marathon, den sie für den Fortbestand ihrer Art zu absolvieren haben. Kaum getrübt wird diese Vision, als Karl erkennt, die Handlung ist in weiten Teilen einem Porno entnommen der Reihe Die Schöne Und Der Alte. Ficken Für Fortbestand. Er meint bereits das Rütteln des Vibrators zu spüren, den sie während seiner tapferen Besteigung im Rahmen einer Doppelpenetration in ihren Hintern einführt. "Ey!", ruft sie und schüttelt ihn aus der Porno-Poesie. "Carlito nennt er sich, der Poser", schreit sie gegen ein Techno-Lied der Schlümpfe an. "Wahrscheinlich so ein Spleen, von Carlitos Way geklaut, sein Name. Egal. Also: Du fragst nach Carlito, capito?!" Karl nickt, versucht das Kunststück, gleichzeitig zu rufen und dankbar und freundlich-höflich und souverän-bestimmt und geheimnisvoll-verführerisch zu wirken: "Soso! ... Kind, wo hast du bloß deine wunderschönen Augen her?" Tikki greift sich unwillkürlich an ihre Titten und sagt, dass praktisch ihre gesamte Ausstattung von ihrer Großmutter stamme, verwitwet, mit ordentlichem Sparstrumpf, stets auf poetischen Mehrwert bedacht und originellen Pornos gegenüber aufgeschlossen. "Sie hat gerade keinen Macker." Karl hängt an ihren Lippen wie hypnotisiert. Das ist ein Gedicht in seinen Ohren! Er nimmt die Visitenkarte, zieht dem schnarchenden Tresennachbarn dessen Handy aus der Tasche und tippt sogleich Omis Nummer ein. "Männer!" Tikki rollt genervt mit den Augen, macht den Besitzerwechsel des Mobiltelefons rückgängig und sagt, ihre Großmutter habe ihr ganzes Leben gewartet, da komme es auf ein paar Stunden nicht an. Karl fasst sich an die Stirn und lacht - "da sind die Pferde mit mir durchgegangen!"
    Sie schenkt ihm einen schnellen Wangenkuss, lächelt schmallippig, und in ihrem Lächeln, da liegt ihm alles, was es noch zu hoffen gibt auf dieser Welt. Tikki huscht zu einem anderen Teil der Theke.
    Karl probiert seinen Drink, stellt ihn schneller zurück, als er ihn nahm, und reiht sich in die Karawane nach draußen ein. Wo er tief Luft holt und die Rückseite liest. Neue Koordinaten. Nächstes Missionsziel erreicht.
    Die Rückseite des Zettels.
    Vier Rechtschreibfehler, ein falscher Bezug. Sehr ungleichmäßige Schriftführung. Mehrere Flecken. Flecken, unseriös, denkt Karl, trotzdem, es gilt etwas anderes: Konzentration auf den Inhalt!
    Eine Adresse, drei Straßen weiter, Tage und Uhrzeiten. Eine Personenbeschreibung. Wie sieht ein Pork-Pie-Hut aus? Den soll der Nächste nämlich tragen. Kontaktperson: Carlito.
    Karl rätselt eine Weile, bis er entscheidet, dass eine 'tätowierte Fresse' eindeutig genug sein müsse. Lächelt auf dem Rückweg der einzigen Person zu, die seinen Blick sucht.
    Burger-King-Nutte interpretiert Lächeln typischerweise als dringliches Bedrüfnis nach sofortigem Beischlaf. Schleift ihn einen halben Straßenzug weiter, wo er sich kurz vor dem Beischlafhotel, als die Stimmung von lustig-ernst zu ernst-ernst kippt, aus ihrem Griff befreit. Wofür er Schimpfworte erntet.
    Man muss sich doch schon sehr wundern, denkt Karl, während er den Kragen seines Jacketts ordnet. Der weitere Rückzug führt durch Nebenstraßen.
    Zurück im Hostel, sieht er aus dem Fenster seines Zehnmannzimmers. Es könnte so einfach sein. Wenn's einfach einfach wäre. Doch wann ist es schon mal einfach? Einfach nie, antwortet sich Karl.
    Variationen dieses Gedankens begleiten ihn auf dem Weg in den Schlaf. Aus dem er mehrmals durch zurückkehrende Nachtschwärmer gerissen wird. Um vier, fünf und sieben. Italiener, Griechen und Schwaben, was die Stimmen der Silhouetten verraten, die ihm im Halbschlaf als sprechende Nachtgespenster erscheinen. Wie wundersam, dieses Beisammensein, denkt er auf dem Weg zurück in Morpheus Arme.
    Der beginnende Tag: schwüle Wärme im übelriechenden Raum. Dessen Fenster aus irgendwelchen Gründen, die in Karls Augen nur unzureichend von sieben Piktogrammen erklärt werden, nicht zu öffnen sind. Nach einem Schlurfgang zum Klo ekeln ihn die Ausdünstungen seines Zimmers so sehr, dass er beschließt, zum Frühstück zu gehen. Karl schlürft Kaffe und erhofft sich davon so etwas wie innere Reinigung und Erfrischung, wie stets nach quasidurchwachten Nächten, erfolglos, wie stets. Und versucht, das Tuscheln und Kichern der Barbies am Nebentisch nicht auf sich zu beziehen. Nicht auf das zerknautschte Gesicht, die tiefen Nasolabialfalten, die dahingegangene Attraktivität. Natürlich sprechen sie nicht von ihm. Er bemüht sich sehr, ihr Getratsche nicht auf seine anachronistische Kleidung zu beziehen, die, mit Selbstbewusstsein getragen, als vorweggenommener Retrotrend der übernächsten Saison durchginge. Von ihm ist keine Rede.
    Einen Tag muss er noch rumkriegen. Die gesichtstätowierte Person mit dem Pork-Pie-Hut wird sich erst am Montag zwischen dreizehn und siebzehn Uhr am beschriebenen Ort aufhalten. Karl stellt sich eine graugesichtige Gestalt, mit gelb-grauen Zähnen und hohlen Wangen vor, die in dem dünnen Falsett des Leibhaftigen nach seinem Begehr fragt.
    Carlitos Weh, denkt er, den Titel des Films vor sich hersagend, den die Tresenfee mit den reinweißen Reißzähnen erwähnte. Der Schmerz des kleinen Karls. Brüderchen, was ist dir bloß geschehen? Umsonst wird er diesen Namen nicht gewählt haben. Karl ahnt einen tiefen Schmerz in seinem Namensvetterchen, der die Größe besitzt, ihn durch seinen Namen nach außen zu tragen, ohne wehleidig darauf herumzureiten. Die edle Trauer des argentinischen Gauchos im europäischen Exil, der unter dem silbernen Mond der mecklenburgischen Pampa so tiefe wie schlichte Gedichte auf altes Zeitungspapier schreibt, dessen Silhouette in der Dunkelheit kaum zu erkennen ist. Und seine Galloway-Rinder schlafen, träumen von Rinderliebe und saftigen Wiesen, voller Vertrauen. Sie lieben ihn. Die Rinder lieben den Gaucho. Und das ist richtig und schön.
    Karl bedenkt die Verwicklungen, die mit den Verzwickungen zusammenhängen, all die Schwierigkeiten und Hemmnisse, die kleine Karls unentspannt machen. In dieser Welt werden viel zu viele in ein Leben gezwungen, das unzufrieden und dauerverspannt macht. Verantwortlich sind feindliche Mächte aka die Große Maschine: presst all die kleinen Schraubendreher in schwierige Arbeitssituationen, in denen sie verharren müssen, manchmal einfach nur, weil sie vergessen wurden. Manchmal wird der Darm stark gedrückt oder gar umgeknickt. Stundenlang. Ist das denn ein Leben? Es gibt Schraubendreher, die wochenlang keinen befriedigenden Stuhlgang haben. Und was tun wir dagegen? Genau. Und mit dieser Erkenntnis kommt die Wut.
    Karl will aufspringen und die schnatternden Mädchen an den Schultern rütteln – wir müssen aufspringen und etwas ändern. Engagement, jetzt.
    Aber er muss seine Ausrufezeichen verlegt haben.
    Tastet seine Taschen ab, nichts zu machen. Keines da.
    Fragezeichen findet er mehrere Hand voll, aber mit denen will er keine Revolution versuchen. Karl sagt die knorrigen Wahrheiten vor sich her, hält die Glut am Leben, und stellt sich der Herausforderung, die den nächsten Teil seiner Mission, wahrscheinlich den vorletzten, wie er annimmt, beherrschen wird: Einen Tag rumkriegen.
    Solcherart sind seine Gedanken, mit denen er sich durch die Cafékultur des Viertels treiben lässt. Schmale Gedichtbände in den Manteltaschen, falls es ihm nach Zerstreuung gelüstet. Karl bekommt zu hellen Kaffee und – trinkt ihn trotzdem. Gerät in Gesellschaft<->Untiefen und eine Diskussion und platziert einen Kommentar zum Thema Euro-Bonds, was ihn etliche Minuten und Wortwechsel später erinnern lässt, warum er keinen Anteil mehr an derartigen Meinungsaustauschen nehmen will. Im nächsten Café liest er demonstrativ Gedichte von Rimbaud und Baudelaire, die er natürlich nicht in einem Atemzug nennen würde, oh nein, und wird glücklicherweise nicht mehr von Gesellschaft belästigt. Vereinzelung, Gottseidank.
    In den Blumen des Bösen finden sich einige Stellen, die ihn bezüglich seines Vorhabens bestärken und neugierig machen. Ach, wenn es schon so weit wäre, seufzt er. Und beobachtet dicke ältliche Männer, wie sie junge Rumänen oder Bulgaren aushalten, die sie offen betätscheln und beschmusen. Ein paar Küsse werden getauscht, mindestens einer ist feucht, wie ein etwas unangenehm berührter Karl feststellt, der sich schnell wieder in das baudelairesche Versmaß vertieft, bevor er zur Abwechslung nach uneigentlichen Sprachfiguren sucht.
    Abends kehrt er in das Hostel zurück und stellt fest, dass das Partyvolk ohne Nachfolger ausgezogen ist.
    Diese Nacht schläft er durch. Am Morgen steht er auf. Und geht, nach dem Ankleiden, zum Frühstück hinunter. Über dem Kaffee legt er eine Route fest: Eine halbe Stunde nach dreizehn Uhr geht er die taghelle Geile Meile entlang. Gar nicht so uninteressant, denkt er. Am Tag lässt sie sich in Ruhe betrachten und bedenken. Wie es ein besonderer Ort verdient, gerade so ein geiler Fickschlitten. 'Uneigentliche Sprachfigur', denkt Karl, der den F. durch die Variable ersetzt. Wie geil uneigentlich.
    Darüber ein paar Meter machend, bemerkt er die gesuchte Straße gerade noch rechtzeitig, bevor er ein paar Meter zurücklaufen müsste. Biegt links ab, geht an irgendeiner schweineberühmten Polizeiwache vorbei. Ungläubig vergleicht er die Adresse mit der auf seinem Zettel. Doch, er ist richtig. Am angegebenen Platz hocken ein paar Leute auf Treppenstufen, stehen herum, trinken Bier oder halten wenigstens entsprechende Flaschen. Niemand barhäuptig, registriert Karl und diesen Pork-Pie – er machte sich zwischendurch, in einem unbeobachteten Moment, schlau – tragen mehrere. Anscheinend gerade Mode, denkt Karl. Was alles Mode werden kann, nichts und niemand ist davor gefeit. Es könnte selbst mich treffen.
    Er wechselt die Straßenseite und geht an der Gruppe Hutträger und schlimmeres vorüber, als wäre er ein Spaziergänger, der sich in diese Gegend verirrte. Dreht um, als er eine kleine Kreuzung erreicht. Hört seine Muffen sausen. Auf dem Rückweg legt er sich Worte zurecht, mehrmals, verwirft sie, ebenso oft. Vor lauter Anspannung ertaubt er sekundenkurz, spürt aber seine Muffen sausen, was ihn beruhigt.
    Karl überlegt, unverrichteter Dinge zurückzufahren.
    Doch schon tauchen enttäuschte Gesichter auf. Unbekannte Auftraggeber mit unbestimmten Gesichtszügen, aber bestimmt mit Augenringen, vom Weinen. Die ihn so schwermütig machen, dass er sich einen Ruck gibt und auf die Gruppe zusteuert. Landstreicher, Straßenkinder, Schwere Jungs, wie nennt sich diese Personengruppe heutzutage – und wie spricht man sie an, ohne unangenehm aufzufallen? Er weiß es nicht, auf einmal spürt er sein Alter, entscheidet aber, es einfach zu versuchen. Auf ein Geschick vertrauend, das ihm die richtigen Worte in den Mund legen wird.
    Und quert entschlossen die leere Straße! Und sieht!, wie sich die Köpfe unisono zu ihm herumdrehen. Und ist froh!, mit keinem Blumenstrauß oder sonstigem Präsent bestückt zu sein. Mit einem Mal ist die Welt voller Ausrufezeichen, die niemand bestellte.
    Karl versucht Gesichter zu lesen. Doch da sind keine Geschichten. Verwitterte Flächen wie vor langer Zeit in Stein gemeißelte Allegorien von Untugenden. Freie Liebe!, will er rufen. Verbrecher! Revolution! Schweinebande! Vergebung! Strafe! Tourette-Roulette!
    Schnell wird klar, wer seine Zielperson ist - sogar in dieser Gesellschaft ist das volltätowierte Gesicht ein besonderes Merkmal. Niemand fragt: Wie sieht das erst aus, wenn du alt bist? Karl unterdrückt aufkeimendes Mitleid und zwingt sich, emotionslos einen Schriftzug zu lesen, der auf der Stirn steht.
    Störfaktor. Herrje, denkt er und sagt: "Durchaus ansprechende Majuskeln."
    "Carlito", sagt sein Gegenüber und reicht Karl die Hand. "Glückwunsch. Sie haben mich gefunden. Unser Auftraggeber wird erfreut sein."
    Die umstehenden Personen stellen ihre Bierflaschen zu Boden und klatschen. Karl lächelt gerührt und lüpft den Hut mit einer Anmut wie zu seinen besten Zeiten. Ja, denkt er, das glauche ich auch.

  • LaunenDatum08.08.2012 11:39
    Foren-Beitrag von Kjub im Thema Launen

    ich kann mich in dem Fall meiner Vorrednerin in Gänze anschließen: so ein beherztes Herangehen und sofortiges Ändern finde ich total sympathisch, andererseits habe ich die Erfahrung gemacht, dass jegliche Änderung aufgrund von Kommentaren ordentlich geprüft gehört - ansonsten stellt sich schnell das Gefühl ein, das Gedicht gehöre einem nicht mehr ... das will ich nur zur Kenntnisnahme mal geschrieben haben, ist ja möglich, dass andere das anders empfinden, dass es für Chepre bspw überhaupt kein Entfremdungs-Problem mit dem eigenen Text gibt ...
    wobei hier auch die bisherige Geschichte des Textes eine Rolle spielen dürfte - die Autorin sagte ja selbst, dass der Entstehungsprozess nicht mehr eindeutig rekonstruierbar sei - dann fallen Änderungen wesentlich leichter, denke ich mal.

    freut mich jedenfalls, dass es dir weiterhalf, Chepre. ich bin ebenfalls der Meinung, dass das Gedicht mit der Überarbeitung gewonnen hat.

  • LaunenDatum08.08.2012 01:05
    Foren-Beitrag von Kjub im Thema Launen

    sorry, ich habe mich missverständlich ausgedrückt: pronomina nur so viele wie unbedingt nötig, füllwörter eigentlich gar nicht, beim metrischen schreiben vllt um einen bestimmten rhythmus hinzubekommen? das wäre eine verlegenheits-verwendung.
    kleines beispiel zu pronomina? zur veranschaulichung:

    Zitat
    ich komme und gehe
    ein Wolkenband im Sturm.
    in deinen Augen Abrieb



    in der ersten zeile ist vollkommen klar, wer da geht, das heißt das zweite ich fällt weg - und sogar in der dritten zeile wäre es nicht unbedingt nötig - das würde natürlich die aussage öffnen und du hättest weniger bedeutungsschärfe hier drin, aber das wäre eben eine art, mit den wörtern und bedeutungen zu spielen, mehrfache deutungen zu ermöglichen.
    also das mit der dritten zeile ist schon special und recht weit von deiner eigentlichen intention entfernt, aber in der ersten das "ich" kann auf jeden fall weg, es ist eben klar, wer da geht, das zweite "ich" hat keinen zusätzlichen informationswert. :)

  • LaunenDatum08.08.2012 00:13
    Foren-Beitrag von Kjub im Thema Launen

    Zitat
    wenn die Pronomina allerdings dafür sorgen, dass man sich als Leser überhaupt nicht mit dem Text identifizieren kann, sollte ich nochmal ran. ging dein Gefühl in die Richtung, Kjub? Bauen die Pronomina eine solche Distanz auf?



    nee, das nicht. ich habe für mich entschieden, so wenig persönliche fürwörter wie möglich in meinen texten haben zu wollen, weil die sich vor das eigentliche thema schieben - das ich gerät so in den vordergrund, ohne dass es einen mehrwert hätte - oder, anders gesagt: genau so viele "ich" und "mir" wie nötig und keines mehr. das gilt freilich ebenfalls für jedes andere wort in einem lyrischen oder epischen text ... nur bei personalpronomen fällt es noch mehr auf, weil sie, anders als füllwörter, eben den erzähler / das lyrische ich in den vordergrund drängen.

  • LaunenDatum07.08.2012 20:48
    Foren-Beitrag von Kjub im Thema Launen

    hallo Chepre, auf den ersten Blick: viele Personalpronomen - das lyrische Ich stellt sich damit sehr in den Mittelpunkt ... Absicht? ... ansonsten gäbe es da durchaus Möglichkeiten, das ein oder andere "Ich" oder "mir" zu streichen ...
    durch die zwei Verse "Wolkenband im Sturm" und "Flattern wilder Tauben" wird der Titel als Thema in Bilder umgesetzt, die den Text interessanter machen, auf jeden Fall. das sind ja zwei Vergleiche, auch ohne das schwächende "wie", die eine Verwandschaft der Launen mit der Kraft und Unberechenbarkeit natürlicher Phänomene nahelegen, gefällt mir.
    was mir noch auffällt, ohne dass ich es werten will: so richtig kommt kein Fluss in die Zeilen, jeder Vers steht monolithisch für sich, inhaltlich zwar verbunden, aber der Flow stockt ...

    so, meine fünf Cent,
    Viele Grüße,
    Kjub

  • Des Menschen LosDatum06.08.2012 10:19
    Foren-Beitrag von Kjub im Thema Des Menschen Los

    Tag Karl,

    Also anders als Benn, der meinte, Glück ist "dumm sein und Arbeit haben" ... hier haben wir schon so einen gewissen Pathos, der das menschliche Klein-Klein in halbgöttliche Höhen heben will, scheint mir ... da wird der Sternenhimmel beschworen und von einer ganzen Welt gesprochen, die stumm sich zuneigt ... man weiß nicht genau, was da passiert in den ersten Versen, aber etwas Großes ist es, das ist klar :D und in der Nähe dieser Größe nun auch die Ambitionen des lyrischen Ichs, das wird ja nicht umsonst und zufällig in ein Gedicht gebracht - und wäre es zufällig, so wirkte es trotzdem aufeinander ein!
    es geht ums Aufrechtsein, um den "klaren Blick" - durchaus erstrebenswerte Ideale, wenngleich für den Durchschnittsbürger wohl unerreichbar, denn in Bückstadt ist eben nicht jeder Dichter und Gammler, sondern die meisten sind Angestellte und Arbeiter immer noch, mit mehr oder weniger neurotisch gestörten Chef-Persönlichkeiten vor sich, die ihr eigenes "Sosein" als Fahne jeden Tag aufs Neue aufstellen, auf dass sich die Lohnsklaven drum herum gruppieren - wer hier aufrecht ist und einen klaren Blick hat, der tut gut daran, ein wenig Chamäleon zu spielen ...
    kurzum: das ist ein Gedicht aus dem Elfenbeinturm - dessen pathetischer Gestus zwischendurch zu gefallen weiß, wem so etwas gefällt - mit Idealvorstellungen von Glück, die für den Herrn Otto Normal nicht zu erreichen sind.

    Gruß
    Kjub

  • axolotl roadkillDatum01.08.2012 17:44
    Foren-Beitrag von Kjub im Thema axolotl roadkill

    http://de.wikipedia.org/w/index.php?titl...=20031219192733

    hallo hannes,

    sah gopher damals aus wie -> siehe obiger link?

    grüße
    kjub

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