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  • Thema von Brotnic2um im Forum Zwischenwelten

    Bei Hundertprozent Luftfeuchtigkeit ist das Gehirn der meisten Mitteleuropäer eh marode. Soll ich mich dann wundern über Kichern, Kopfschütteln oder anderweitige kindische Kinkerlitzchen? Nein. Ich bestimme das mal, denn ich lebe so. Ist so. Immer im Angesicht des Einäugigen.

    Die Bonobos, so wurde mir mitgeteilt, hätten ihre freudige Zuneigung füreinander, oder wie Ihr sagen würdet, ihren Rudelbums, nur angefangen, weil sie spitz gekriegt hätten, dass Sex das Einzige ist, was Ihr nicht kontrollieren könnt. Er macht Euch in der Form wie es die Bonobos praktizieren Angst. Für Euch ist das `ne große Sache. Ist so, oder nicht?

    Klar, die Bonobos, so wurde mir mitgeteilt, freuen sich den Arsch ab, wenn sie hören, dass Ihr ganz fasziniert seid von ihrer Friedfertigkeit und ihrer Sexdiplomatie. Klar, dass die sich über Euch amüsieren. Ihr lebt in großen Räumen, seid mobil ohne Ende und keiner frisst Euch mehr auf. Aber irgendwie werde ich das Gefühl nicht los: Ficken tut Euch auch keiner mehr. Nicht so richtig. Ist so.


    Bonobos habe ich nie gesehen. Ich lebe nur vom Hörensagen und meist sehe ich nur Euch oder den Einäugigen. Aber schon deshalb glaube ich, der Geschichte von den Bonobos. Kann eigentlich gar nicht anders sein. Ist halt so, oder nicht?

    Ich mein, wenn ich Euch so sehe, gerade die Männer, die kommen hier rein, sehen mich und grinsen. Ich mein, ich leb so. Ich schäm mich nicht dafür. Ihr habt alle so viel Tünkram an und um Euch. Ihr stinkt wie nichts sonst in dieser Welt und, hey, Ihr lacht über mich. Worüber frag ich mich? Ja, schon klar, der Einäugige zeigt in meiner, auf dem Kopf stehenden Welt, stets auf mich. So ist das. Der gehört halt zu mir. Den kann ich nicht wegradieren. Ist so.

    Ich pisse sogar so und im hohen Bogen. Ich habe gehört, ich mein, was man so hört, dass ihr Schüsseln habt und nicht wisst wie Ihr in die Schüsseln pissen müsst. Ist das so? Wenn das so ist, dann stimmt das auch mit dem Sex und den Bonobos.

    Kann nicht anders sein. Jetzt grade, ist da wieder ein Pärchen, dass so blöde zu mir rübergrinst, während ich hier im Baum abhänge. Zum Glück habe ich gerade wieder Druck auf der Blase und piss einfach mal rüber zu den Doofen. Tja, da guckt das Männchen blöd. So würde er es auch gerne mal machen: Schniedelwutz über Kopf am Baum hängen.

    Habe gehört, dass auch die angeblich mit dickem roten Arsch rumlaufenden Paviane sich großer Beliebtheit erfreuen und der gemeine Zweibeiner sich daran erfreut auch diesen Macho Gesellen beim Ficken zuzusehen.
    Da werde ich mit großem Aufwand in einen lichtdurchlässigen Raum gesperrt, der meine Welt simulieren soll, aber auch nur ein Knast ist, in dem ich außer ficken und pissen nicht viel machen kann. Und wenn dieser Verschlag chic genug ist, dann kommt Ihr mit Kind und Kegel mich besuchen. Vielleicht hört ihr auf dem Weg zu mir Lieder, die euch raten, es genauso zu machen wie ich im wilden Leben?
    Jedenfalls kommt Ihr zu meinem Gottesdienst, um mir dabei zuzusehen, wie ich, der Flughund, stets und ständig und auch Kirchensonntags in meinen Schwanz, meinen Einäugigen schaue. Während Ihr in Freiheit nur davon träumen könnt. Ich pisse nie in mein Gesicht. Nur in Eures.
  • Thema von Brotnic2um im Forum Circus Lyricus
    Die Luft ist warm und feucht,
    inmitten grünen Laubs,
    und unter einem hohen Dach aus Glas,
    sitze ich an einem Cocktailtisch mit Sonnenschirm
    und verliere langsam den Verstand.

    Mir ist als säße ich in einer Voliere
    Flattern, schnattern, plappern
    wie beim schlimmsten Kaffeetratsch!
    Ja, schlafen die denn nie und geben keine Ruh?
    In all dem bunten Federkleid steckt nimmermehr ein Rabe.

    Wieder schenkt ihr die Gläser voll
    den Kopf leicht schief gelegt und mit den Schnäbeln nickend.
    Ich hack zurück in eure hässlichen Visagen und
    plötzlich sehe ich euch nicht mehr.

    Zum Schutze meines Federkleids verhüllte man die Spiegel.
  • Michael AllenDatum17.05.1970 18:39
    Thema von Brotnic2um im Forum Arbeitshügel
    M. Allen

    „Datenfraß. Datenalzheimer, nennen sie es, wie sie es wollen, aber wir können ihnen Mr. Allen nicht mehr helfen.“, beendete der smarte Doktor seine Onlinediagnose.
    „Mein digitales Echo stirbt?“
    „Wir können den Datenverlust nicht aufhalten. Egal auf welches Medium wir ihre Erinnerungen überspielen. Nach kurzer Zeit tauchen Löcher auf. Immer an unterschiedlichen Stellen. Kein Muster. Jedenfalls keines, dass wir kennen.“

    „Meine Meme sind also flüchtig.“, resignierte ich schließlich und wandte mich ein wenig ab.
    „Exakt. Seltsamerweise lassen sich ihre Erinnerungen – wir haben das unter isolierten Bedingungen probiert – auch nicht auf eine andere Datenbasis übertragen. Auch da beginnen sich, ihre Daten aufzulösen.“
    Dem Doktor war anzusehen, dass er wünschte das Gespräch geräuschlos beenden zu können. Die Situation, eine tödliche Diagnose zu überbringen, war ihm wahrscheinlich nicht neu aber er hat sie wohl in letzter Zeit kaum gebraucht. In letzter Zeit...

    Alles hatte in den Microsoft Search Laboratories im Jahre 1998 begonnen. Das Team um Steven Lucas war besessen von der Idee gewesen, Leben zu digitalisieren. Nicht die Klonung von Genen war das Ziel, sondern Erinnerungen, Eindrücke, gesprochene und geschriebene Sätze und die körperlichen Empfindungen, die ein Bild oder ein knackiger Po bei einem Menschen auslösen; das alles sollte festgehalten werden.

    Die ersten Versuche waren jämmerlich. Die Datenübertragungsrate war kümmerlich und der Speicherplatz nicht ausreichend. Ganz zu schweigen von den Softwareagenten und den Suchalgorhithmen. Sie waren nur stumpfe Waffen, um den Datenwust zu entwirren.

    Das Projekt wäre fast gestorben, aber dann kamen kurz nach der Jahrtausendwende die Durchbrüche. Speicherplatz? Schnelle Medien? Alles kein Problem und so erschwinglich wie nie. 2007 kostete eine Festplatte mit Terrabyte Volumen nichtmal anhähernd soviel wie ein Monatsgehalt. Die Speicherkapazitäten des menschlichen Gehirns waren nicht mehr allzu beeindruckend. So hatte es beginnen können.


    Ich war einer der ersten, der sich verkabeln ließ. Als junger Ingenieur bei MS wurde ich 2010 mit den damals neuesten W-Lan Gadgets ausgerüstet. Ich empfand mein Leben als nicht so geheimnisvoll, als das ich eine Aversion gegen eine Abspeicherung auf einem anonymen und nur mit meiner Einwilligung einsehbaren Datenträger gehabt hätte. Im Gegenteil.
    Wenn sie sich die Online Dokumente dieser Zeit in den Archiven von Google und Microsoft ansehen – Asianet wir da nicht so ergiebig sein - dann werden sie erkennen, dass es ein geradezu unstillbares Bedürfnis der Masse gab, sich über sogenannte Bloggs und in diversen Foren auszutoben. Ein jeder brüllte seinen Wahn in die Welt und genoss narzistische Freude daran, gehört zu werden und sich selbst in einem öffentlichen Medium zu entdecken. Billige Berühmtheit oder Discount VIPs wie es sich dann nannte.

    „Kannst du dir dann eigentlich so eine Art Porno ansehen, wenn du mit einer gevögelt hast ?“, wurde ich häufiger von meinen Freunden etwas nervös gefragt, wenn wir unterwegs waren. Ich log, dass ich nicht könnte, da Persönlichkeitsrechte verletzende Bilder automatisch meinem Zugriff entzogen würden.
    „Wer hat denn das Recht?“
    „Keiner. Außer es gibt eine richterliche Verfügung.“, log ich halb.
    „Aha. Und wo hast du die Kameras überall?“
    „Überall.“ Da konnte ich mir ein Grinsen meist nicht mehr verkneifen.
    „Die Cams nehmen das jetzt alles auf?“
    „Nur wenn ich mehr als durchschnittlich erregt werde. Also, mach dir mal keinen Kopf.“
    „Wäre eigentlich cool in deinem Michael Allen Film aufzutreten, statt einfach zu verschwinden. Echt mal. Vielleicht sollte ich dich erregen?“

    Es störte keinen mit einem verkabelten Mensch zu reden, zu streiten oder zu vögeln. Keinen, den ich kennen lernte oder kennen lernen sollte. Sie waren zufrieden, wenn ich sagte, dass es einen Datenschutzmechanismus gebe, der nur mit richterlicher Gewalt aufgehoben werden könnte. Das stimmte, aber eben nur halb. Die Administratoren hatten die Zugriffsmacht, dass sie keinen papiernen Wisch brauchten, um sich die Daten anzusehen. Ganz zu schweigen von professionellen Hackern.

    Heute nach meinem letzten Gespräch mit dem Doktor, habe ich das vage Gefühl es sei häufiger zu Einbrüchen in die Datenbanken gekommen. Aber in der dritten Generation eines Michael Allen Mems, fällt es mir sowieso schwer zu unterscheiden, zwischen meinen natürlich ausgelösten Erinnerungen und einem per Agenten online ausgeführten Zugriff auf meine Michael Allen Datenbank bei MS oder dem globalen Verzeichnis.

    Meme? Interessant um 2010 griffen die Menschen via PC und Internet auf die globalen Erinnerungsverzeichnisse zu, um sich lexikalisches Wissen einzuverleiben. Meme? Meme is a unit of cultural information that propagates from one mind to another as a theoretical unit of cultural evolution.

    Heute ist es bequemer. Sollte der Name Noam Avram Nash in einem Gespräch fallen, und sie innerhalb der natürlichen On-by-Now Millisekunden Zeit unseres Gehirns keine Antwort erhalten, blättert ihr integrierter Agent die Online Enzyklopädien durch und füttert sie mit seinen Ergebnissen.

    Wenn wir etwas riechen, hören, schmecken, sehen, kann das ein neuronales Gewitter auslösen, wenn es uns an etwas erinnert oder gemahnt. Bei vielen Eindrücken präsentiert uns unser Gehirn in atemberaubender Geschwindigkeit die gesamte Assoziation oder Geschichte. Wenn sich die richtigen Proteine entfalten, ist es wie bei einem Flash: Die ganze Vergangenheit, die ganze Geschichte ist sofort da.
    On by Now. Ein alter Traum der IT-ler vor der Jahrtausendwende, wo das starten eines Computers eine langwierige und teilweise zermürbende Warterei war. Das Gehirn beherrscht On-by-Now immer schon perfekt. Seit Jahrtausenden.

    Heute ist es so, dass selbst wenn ihr natürlicher Speicher sagt, Heh!,das kenn ich!, überprüft ihr implantierter Software Agent trotzdem ihr natürliches, das weiß doch jedes Kind Gefühl .
    Als wir die Statistiken dazu – natürliches Empfinden korrekt oder falsch - im MS-Lab auswerteten, waren wir überrascht, wie häufig das Bauchgefühl unrecht hatte. Daher entwickelten wir das Referenzmodul, den Verifizierungsagenten.

    Wächst man mit diesen technologischen Helfern, Assistenten auf, verwischt sich das natürliche mit dem künstlichen Empfinden. Jetzt, wo ich sterben werde, weil sich meine Meme auslöschen, kann ich wieder hinterfragen, ob die Wirklichkeit nur ein Traum oder der Traum die Wirklichkeit ist. Meine Erinnerung funktionieren nicht mehr. Sie lassen sich nicht mehr abspeichern. Nicht zuverlässig abspeichern. Also kann ich keinem Inhalt mehr trauen.

    Ich vermute auch, dass sie mich von den Datenbanken abgeschnitten haben. Es wäre nur fair, da ich keine Sicherheit und kein Vertrauen mehr in meine Erinnerung habe. Was nutzt da eine dreimal gesicherte Verschlüsselung? Nichts. Jetzt erscheint es mir so, dass einige schon damals der Technologie des vernetzten Denkens und der gemeinsamen Erinnerung, der totalen Speicherung nicht trauten. Aber, ich bin mir nicht sicher.

    Mag sein, dass ich die Kritiker vergessen habe, weil sie keinen Eindruck auf mich machten. Wenn ich die Erinnerungen, die mir noch zur Verfügung stehen durchgehe, ist da niemand.



    An sich war die Digitalisierung simpel. Wenn ich von draußen nach innen ging, so wurde in dem Moment eine kleine Sequenz gemacht. Michael betritt sein Büro. Signifikanter Lichtwechsel, also Mitschnitt. Stieg der Puls, raste das Herz, begannen die Kameras zu filmen. Ab 2017 wurde alles mitgeschnitten. Es gab dazu ein Gesetz. Es wurde als höchstes Gesetz in alle westliche Verfassungen übernommen. Als Grundrecht der Gemeinschaft: Wider die Lüge, wider das Vergessen. Eine aufgeklärte Gesellschaft, die sich nicht aller Mittel der Aufklärung bedient, nimmt billigend in Kauf, dass ihr selbstverschuldetes Unwissen den Tod Aller durch Unwissenheit zur Folge haben könnte. Jeder, der sich weigert, sein Wissen zu digitalisieren, sein Wissen und seine Erinnerungen preiszugeben, ist eine potentielle Gefahr der allgemeinen Wohlfahrt.

    Ich bin eines der ältesten Meme. Ich lebe seit - wenn meine Erinnerung nicht trügt - gut und gerne zwei Jahrhunderten. Aber mit dem Tod meiner Erinnerung, wird auch mein genetischer Klon sterben. Sie werden dem nächsten Michael Allen, nicht die Michael Allen Erinnerung implantieren, weil die Michael Allen Datenbank korrupt ist. Ob das ein Edward Teller schon bedacht hatte? Dass eine Erinnerungsimagedatei für alle Zeit kaputtgehen könnte?
    Ja, genau der Edward Teller, der jedes Problem mit der Bombe lösen wollte und die erste Atombombe mitentwickelt hatte, war doch so, oder? Oder war das ein anderer? Chargaff? Doch, das war so. Gebt Edward eine Bombe und er löst das Problem. Und der selbe Teller hatte doch auch die Vision gehabt, sein Gehirn zu digitalisieren, abzuspeichern, oder? Das war die Idee und genau das haben wir gemacht. Wir haben das gemacht.

    Michael Allen wurde wieder reloaded. In genetische Klone. Der Ursprungs Michael, der von 2010, war erst nur zu zwei Dritteln vorhanden und dann wurde er vonMichael Allen dem Zweiten um seine ersten zwanzig Jahre ergänzt. Michael Allen?

    Die funktionierenden Inseln in meinem Kopf sagen mir, dass ich wie eine von BSE befallene Kuh bin. Prione? Prione sind Enzyme, die eine Art Hirnkrebs verursachen. Negative Enzyme. Sie fressen meine Erinnerungen auf. Außer Erinnerungen haben wir doch nichts? Ohne Erinnerungen sind wir doch nichts? Ich lebte wie ein Insekt ohne eine Referenz zu mir selbst. Hui, das ist gruselig. Was ist gruselig? Was weiß ein Insekt von sich? Nichts! Reißen sie einem Insekt ruhig ein Bein aus. Das ist nicht grausam. Es kann sich nicht erinnern, sechs gehabt zu haben. Das Insekt will ich sehen, dass sich erinnerte. Nein, ein Insekt wird in jedem Augenblick neu erschaffen. Haben die mich nun abgeschnitten? Wird das noch mitgeschnitten oder bin ich nicht mehr im WAN?



    Ich spüre natürlich den Wind. Der leicht bewölkte Himmel löst bei mir Wohlgefallen aus. Ich atme tief durch und spüre, dass ich bin. Das ist schön.

    „Ihre Spritze Mr. Allen.“
    „Allen?“


    http://www.spektrum.de/artikel/869379
  • Quid pro QuoDatum17.05.1970 17:14
    Thema von Brotnic2um im Forum Zwischenwelten
    Gern gelesen.

    Den Text, den fand ich richtig gut! Ein Anderer gefiel mir dafür nicht. Mal beeindruckt, dann wieder enttäuscht. Erst fand ich’s schwach, verstand es auch kaum, aber am Ende las es sich toll. Ja, so ein Feedback, das macht Spaß.

    Schon recht, wer Teller, Suppe austeilt darf erwarten, das gelöffelt wird. Ist klar. Nur ein Tramp frisst seine Schuhe, findet keine Ruhe. Dem nagst im Leib, dem friert´s im Kleid, der kann sich glücklich schätzen wenn er Krumen findet.

    Gern gelesen.
  • StandpunktDatum17.05.1970 11:56
    Thema von Brotnic2um im Forum Kurzgeschichten, Erzäh...
    STANDPUNKT

    I.

    Ich war damit beschäftigt, meinen Weg nach Hause zu finden, als es passierte. Für die meisten Menschen ist es leicht, den Weg nach Hause zu finden. Das machen die fast jeden Tag. Mehrmals. Ohne nachzudenken. Ich kann das auch. Aber nur wenn ich nüchtern bin. In dieser Nacht hatte ich furchtbar einen im Strumpf.

    Die Zweite Herren hatte es endlich geschafft, in die Landesliga aufzusteigen. Sensationell. Nächstes Jahr würde es zwar nur auf die Fresse geben, aber egal. Wir hatten nach sechs Jahren den Aufstieg gepackt . Und nach dem achten Bier, hatte ich aufgehört zu zählen und der Wirtin vom Sportlerheim nur noch Lieder gesungen. Nicht um mit ihr in die Falle zu gehen. Bewahre. Nein, sie sollte uns eine Runde spendieren. Eine Runde nach der anderen.
    Hat sie aber nicht gemacht. Mini meinte zwar später sie hätte, aber mein Portemonnaie war blitze blank ausgeräubert. Das war auch der Grund warum ich nach Hause gehen musste. Keine Asche mehr für eine Droschke gehabt. Dafür gluckerte ein goldener Schatz in meinem Magen und ein ums andere mal fürchtete ich um meine Fracht. Ich weiß auch nicht warum ich nicht gekotzt habe. Wahr-scheinlich wäre es dann nicht passiert.
    So torkelte ich um eine Ecke, wähnte mich vor dem Fachhochschulkomplex, wollte mit einem scheelen Blick nach oben mir Gewissheit verschaffen und prallte aber voll mit meinem Kopf an den härtesten Schädel den ich bis dahin getroffen hatte. Fuck, entfuhr es mir wieder und wieder, hüpfte auf einem Bein, hielt mir die Omme und war schlagartig nüchtern.

    -Kannst Du nicht aufpassen, du Ochse?, fuhr ich den Kerl schließlich an.
    Der Ochse stand einfach da. Die Hände hatte er hinter seinem Rücken verschränkt. Er stand ordentlich angezogen vor dem Haupteingang der Schule und blickte in die Richtung aus der ich gekommen war. Er lächelte sogar.

    -Hey, ich rede mit Dir. Geht’s noch? Hallo? Erde an Kopfnuss?
    Ich hätte ihn natürlich voller Verachtung stehen lassen können, aber mein Stolz und ein klein wenig auch mein Alkoholpegel verboten mir weiterzugehen. Stattdessen empfahlen sie mir meine Würde wiederherzustellen und eine Entschuldigung einzufordern. Also pflanzte ich mich direkt vor ihm auf.
    Wir waren ungefähr gleich groß. Gut mir fehlten vielleicht fünf Zentimeter. Maximal Zehn. Ich ging wieder einen Schritt zurück um seine Augen besser fixieren zu können. Der Spacken hatte ein scheißzufriedenes Vollmondgesicht und grinste die ganze Zeit und schaute irgendwie durch mich hindurch.

    -OK Hackfresse, du entschuldigst dich jetzt bei mir, oder wir kriegen Ärger.
    Wie der Ärger aussehen sollte, war mir nicht klar, aber ich ging davon aus, dass ich diesen Schnösel beeindrucken könnte. So beeindrucken, dass er sich vor mir in den Staub werfen und sein Grinsen wie einen Schwanz einkneifen und sich verpissen würde.
    -Na, was ist, jetzt!?
    Mutig packte ich ihn am Revers seines Mantels.

    -Lass den Mann los, Freundchen! Aber schnell. Aber ganz schnell
    Scheiße...
    -Was ist hier los? Hat der Mann da sie grad angefasst? War das so?
    ...zwei Bullen. Toto und Harry auf Streife. Na super. Es ist nun mal so, dass ich keine anderen Polizisten außer die Zwei mit Namen kennen. Darum sind zwei Polizisten bei mir nun mal Toto und Harry wie die aus dem Fernsehen.

    -Wieso ich ihm? Er mir! Herr Wachtmeister sehen
    Weiter kam ich nicht. Der eine Polizist, Harry, befahl mir den Mund zu halten. Ich sei noch nicht dran und dann bemerkte er noch dass ich ja mächtig einen gebechert hätte. Toto bekam aber langsam Probleme mit der Grinsbacke.

    -Können – sie – mich verstehen ? Nein ? Sie – sprechen - Deutsch ? Du Harry, der versteht mich nicht, der ist irgendwie komisch.
    -Ja, ich merk das schon. Seltsam.
    -Der hat nicht mehr alle Latten am Zaun, das hat der., brubbelte ich mir in meinen nicht vorhandenen Bart.
    -Sie sind still. Sag mal Harry, kann das sein, dass unser Freund hier irgendwie einen Angstschock bei dem Herrn ausgelöst hat?
    -Das ist eine gute Idee. Hör mal her.
    Und schwups steckten sie ihre Köpfe zusammen und tuschelten und blickten immer mal wieder zu mir.
    -Hört mal Jungs: ich habe echt nichts gemacht. Gar nichts. Ich habe die Beule! Den Steifen da könnt ihr mir nicht in die Schuhe schieben.
    -Vorsichtig. Erst mal sind wir nicht ihre Jungs. Dann wird hier auch keinem was in die Schuhe geschoben. Und zuletzt entscheiden wir, wer hier was gemacht hat. Klar?
    Harry war mächtig sauer und haute dann noch raus:
    -Haben sie einen Führerschein?,
    -Bitte?
    -Ob sie einen haben, will ich wissen. Also?
    -Ja.
    -Dann seien sie mal ganz vorsichtig, wenn wir herausfinden, dass der Mann wegen ihnen diesen Schock erlitten hat, dann verlieren sie ganz sicher ihre Fahrerlaubnis. Dafür sorg ich dann persönlich.
    -Sehen sie mich hier irgendwie fahren? Ich bin zu Fu- uß. Ich habe überhaupt kein Auto.
    -Darum können sie trotzdem ihren Führerschein verlieren.
    -Lass mal, Toto mischte sich jetzt wieder ein, -ich hab mir mal erlaubt, in den Mantel zu fassen. Der Mann ist Professor, hier von der Fachhochschule.
    -Der hat einen Schock. Der Typ da, hat den Proff fertiggemacht.
    -Vielleicht hast Du recht. Aber ruf mal lieber einen Notarzt. So kann er schlecht stehen bleiben.
    -Wird gemacht.
    -Ich gehe derweil mit Freund Beule in den Wagen und nehm ihn ins Gebet.
    -Das habe ich gehört., protestierte ich ob der abfälligen Bezeichnung.
    -Fein, dann muss ich ja nichts mehr erklären., bemerkte der rundliche Toto und schob mich fordernd in die grüne Minna ab.

    Toto hatte Phantasie. Das muss ich ihm lassen. Dolle Szenarien entwarf er beim Verhör im Wagen wie ich den Professor versteinert haben könnte: ich hätte gebrüllt wie ein Tier und ihn durchgeschüttelt und dieser hochintelligente und sensible Mann sei so in eine Wachstarre gefallen.
    Aber ich war besoffen und hatte schon Mühe zu behalten was wirklich passiert war und so wiederholte ich bis der Arzt kam, wie es sich zugetragen hatte: ich um die Ecke und dann voll an seinen Kopf, beziehungsweise Kinn. Während ich zum wievielten Male dieses wiederholte, schob Harry die Seitentür der Minna auf. Harry war bleich.
    -Komm mal schnell.
    -Sie bleiben hier.

    Toto sprang aus dem Wagen und folgte seinem Kollegen. Die Tür ließ er offen. Die Sache begann seltsam zu werden. Ich sah, wie das Sani Team diskutierte und wie die Bullen diskutierten und wie alle miteinander stritten und mittenmang der Professor. Unverändert starr. Dann sah ich wie Toto zornig versuchte, das linke Bein des Patienten hochzustemmen. Der Notarzt winkte abfällig und wandte sich ab. Dann holte Toto noch mal Harry mit ran. Nun versuchten beide zusammen den Proff in die Waagerechte zu bringen, um ihn auf die Trage zu bekommen. Es war anscheinend nicht möglich. Als Toto Anlauf nahm, um sich frontal gegen den Mann zu schmeißen, und Harry sich hinter den steifen Mann stellte, griff der Arzt wieder ein und hielt Toto zurück.
    Es folgten Untersuchungen: Pulsschlag, Herzschlag und Pupillen. Der Ärmel des Mannes wurde hochgeschoben, der Arm abgebunden und Blut entnommen. Als Diagnose gab es aber Achselzucken.
    Der Kerl stand immer noch wie eine Eins und ich begann mich zu fragen, ob ich in der geöffneten Wanne eine rauchen dürfte oder nicht und ich fragte mich, ob es strafbar ist, einfach irgendwo stehen zu bleiben und zu lächeln. Von so einem Verbot hatte ich noch nie gehört.

    Jedenfalls und allenfalls, bekamen sie den Kerl nicht weg. Stattdessen verzogen sich die Johanniter. Neuer Einsatz. Toto und Harry war das gar nicht recht. Die wurden richtig sauer, dass die abzogen, ohne den steifen Mann im Gepäck zu haben. Als Toto, klein, stämmig und zornig, wieder auf mich zukam, bemühte ich mich nicht zu lachen, sondern verängstigt zu sein.
    -Sie fahren mit meinem Kollegen auf die Wache.
    Rrrrummms fiel die Tür ins Schloss. Harry stieg vorne ein und Toto blieb am Tatort.


    Auf einer Wache aufzuwachen, ist kein Spaß. Zumal wenn man das Gefühl hat der eigene Rachen sei mit Kaninchenfell ausgeschlagen und im Magen sei eine Pumpe, die gegen die Schwerkraft arbeitet. Vor allem fror ich. Ohne Gürtel und mit Schuhen ohne Senkel kam ich mir wie ein kalter Arsch mit Gänsehaut vor.
    Ich hatte die Gründe vergessen gehabt, die mich in die Ausnüchterung gebracht hatten und trotzdem hatte ich Glück. Bevor ich mir mein Hirn darüber zermatern konnte, wie, was passiert war, entließ man mich. Ich unterschrieb irgendeinen Wisch, bekam Gürtel und Schnürsenkel wieder und durfte die Wache verlassen.


    II.

    -Häh? Du hat diesen Kerl versteinert?
    -Man, Minni! Nobbse ist gegen Hickersberger gelaufen, als der da schon stand. Er hat ihn sozusagen entdeckt. Verstehste?
    -Nee.
    Grobi war verzweifelt.
    -Lass mal, sagte ich, -Gib mal lecker Bier her. Ist doch wurstegal, wer hier was entdeckt hat. Schaut lieber rüber, die kriegen Proff Hicky einfach nicht weg.
    -Wie einen Schluckauf, sinnierte Grobi.
    Ich grinste, nahm ihm die Beugelbuddelflasche aus der Hand, öffnete sie mit einem satten Plopp und stieß mit den beiden anderen fröhlich an. Wir lagen bei Sonnenschein unter blauen Himmel auf dem Dach eines Supermarktes. Nicht irgendeines Supermarktes sondern dem der gegenüber der Fachhochschule liegt und von dem wir einen prima Ausblick auf den Auflauf aus Offiziellen, Presse und Passanten hatten, der sich um meine nächtliche Bekanntschaft gebildet hatte und der stetig wuchs.



    Grobi und Minni hatten mich mit Alarmklingeln aus meinem Bett geworfen. Ich solle unbedingt herunterkommen. Einfach sensationell sei, was sich zutrüge. Mit Katzenwäsche und Deodorant schaffte ich es in kürzester Zeit zu den Beiden.

    -Was nun, Freunde?
    -Was ganz unglaubliches, Nobbse!, grinste mich Grobi an.
    -Das musst du gesehen haben.
    -Was muss ich sehen?, fragte ich Minni.
    -Da steht so ein Typ direkt vor dem Markt, wo wir grad bauen, also direkt vor der Schule und der steht da, und dann schnitt ihm das Wort ab:
    -und bewegt sich nicht. Ich weiß. Ich kenn den ganz gut.
    Beide Freunde klappten ihren Mund auf und zu und dann bestürmten sie mich.

    Während wir zu dritt auf Grobis Drahtesel, ich hinten, Grobi auf dem Sattel und Minni auf der Stange, zum Supermarkt radelten, musste ich immer wieder die Geschehnisse der letzen Nacht erzählen.
    Leider beugte sich nicht nur Minni auf der Stange hin und her, um noch mal einen Blick auf meine Beule zu werfen, nein, auch Grobi meinte, sich ständig nach mir umdrehen zu müssen. Was zur Folge hatte, dass wir drei auf dem Rad den gesamten Gehweg beanspruchten.

    Wie unser Lenker es trotzdem fertig gebracht hatte, keinen Passanten umzunieten, ist mir bis heute schleierhaft. Instinktiv hatte er es immer wieder geschafft, den Lenker herumzureißen. Auf dem Gepäckträger sitzend wurde ich von links nach rechts und wieder zurück geschlenkert, sah viele Gesichter schräg an mir vorüberziehen und mir wurde heftigst schlecht.
    Der unvermittelte Aufbruch nach harter Nacht, die frische Luft und der Fahrstil, gaben mir den Rest. Ich weiß noch dass Mini mich irgendetwas gefragt hatte und seinen Oberkörper dauernd vor- und zurückgeschoben hatte, um mich anzusehen. Dann trafen sich unsere Blicke und ich muss wirklich nicht gut ausgesehen haben. Minni verzog so entsetzt das Gesicht, das auch Grobi sich wieder umdrehen musste.

    Schlagartig kippte das Rad nach links weg und ich gab es endgültig auf, Reisende aufzuhalten. Es war, als würde mein Magen mit starker Faust zugequetscht werden. An wieder runterschlucken war da sowieso nicht mehr zu denken. Der Rest vom gestrigen Abend schoss durch meine Speiseröhre nach oben, spritzte aus meinem Rachen und klatschte mehreren Passanten vor die Füße.
    Grobi schaute nicht mehr zurück sondern trat nur noch in die Pedale. Mir gings nach der Kotzerei aber schon viel besser. Die frische Luft tat endlich gut und ich registrierte wie schön das Wetter war.

    Unter blauen Himmel auf dem Dach zu liegen, Bier zu zischen und ungestört den Trouble um Hickersberger zu beobachten und gleichzeitig über Minnis Taschenradio mitzuhören, das gefiel mir richtig gut.


    III.

    Im Radio gab es auch kein anderes Thema: Hickersberger. Wie die Heuschrecken flogen die Abgesandten der Zeitungen und Sender ein. Grobi hatte erzählt, dass am Morgen ein paar Schaulustige angefangen hätten sich Teile vom Mantel des Proffs abzuschneiden. Dann erst hätte die Polizei ein Absperrgitter aufgestellt.

    Die Offiziellen schienen sich mir da unten immer noch zu streiten wie in der Nacht zuvor. Im Radio hieß es, dass der Dekan der Fachhochschule auf die sofortige Entfernung des Professors dränge. Das könne nicht angehen und es sei ein Schlag ins Gesicht. Eine Verhöhnung der Wissenschaft. Hickersberger Verhalten sei unentschuldbar. Auf die Frage wie es Hickersberger möglich sei, einfach so dazustehen und auf keinen Reiz zu reagieren, hatte der Dekan geantwortet, das es ihm vollkommen egal sei, welche Mätzchen sich der Herr Kollege nun wieder ausgedacht habe. Er bestehe auf sofortige Entfernung der Person. Es schien als ob der Herr Dekan schon vorher persönliche Probleme mit dem sogenannten Kollegen hatte.

    Natürlich gab es auch andere Stimmen. Unten auf der Straße gab es viele mit Plakaten: Hickersberger muss bleiben, Stehenbleiben!, Es ist kein Verbrechen, Hicky ich will ein Kind von Dir, ecetera. Nicht zuletzt äußerten sich auch die Pfaffen: Es sei zu früh von einem Wunder zu sprechen. Zudem sei der Mann ja konfessionslos. Welches Zeichen manifestiere sich denn hier? Nein, ein Zeichen Gottes wollte diese Fraktion nicht entdecken. Man könne nicht sicher sein ob sich hier nicht jemand einen üblen Scherz erlaube.

    Mir war allerdings klar, dass es sich bei dem Knaben da unten um ein gottverdammtes Wunder handelte. Er stand schon über zwölf Stunden steif wie ein Baum da. Ohne zu blinzeln. Im Radio sagten sie, dass alle oberflächlichen Tests ergeben hätten, dass die Körperfunktionen vollkommen in Ordnung seien und es dem Patienten körperlich sehr gut gehe. Etliche Experten meldeten sich dann zu Wort und mutmaßten wie das Phänomen erklärt werden könnte. Blabla.

    Ich hatte wegen dem Kerl zwar eine fette Beule und eine beschissene Nacht gehabt, aber mehr und mehr faszinierte mich sein Nichtstun, seine Standfestigkeit. Es war nicht zu übersehen, dass die Totos und Harrys immer nervöser wurden. Immer mehr Uniformierte fanden sich ein und der Verkehr war schon Stunden zuvor umgeleitet worden. Wie groß die Sache geworden war, wurde uns bewusst, als am Himmel mehr und mehr Hubschrauber auftauchten. Der Hype um Hicky stellte die Stadt vor ein Problem und schließlich wurde es ernst:

    „Wir bitten Sie ihre Demonstration zu beenden und Ihren Standort zu verlassen. Ansonsten müssen wir sie gewaltsam entfernen.“, diese Ansage kam wie aus dem Nichts.

    Mit sie waren aber nicht die Gaffer gemeint sondern er. Er ganz allein. Ein Sprecher verkündete im Radio, dass Hickersberger eine unangemeldete Demonstration veranstalten würde. Da diese Demo nicht genehmigt sei, werde die Polizei in Kürze einschreiten und sie beenden.

    Wir drei schauten uns an. Der Volksfest Charakter dieses Happenings war vorüber.
    -Jetzt ist es wohl vorbei mit der Show., gab Grobi nachdenklich kund.
    -Jep. Bier ist auch alle.
    -Wollt ihr euch verpissen?, fragte ich.
    -Jep.
    -Ich fürchte, die haben uns jetzt auch auf dem Kieker. Grobi war wirklich angespannt. Ich zeigte ihm einen Vogel, aber er zeigte mit dem Finger auf einen kürzlich eingetroffenen Einsatzwagen. Er hatte recht: die hatten uns entdeckt so oft wie die zu uns hochblickten.

    -Machts gut Freunde, aber die Nummer ist mir zu heiß., kaum gesagt, war Minni auch schon verschwunden.
    -Was ist mit Dir?
    -Ich bleibe noch., erwiderte ich trotzig zu Grobi.
    -Na dann, man sieht sich.
    -Sicher.

    Von da an war ich alleine auf dem Dach. Ich wunderte mich, dass die Ordnungshüter mich in Ruhe ließen. So konnte ich noch ihren nächsten Schritt beobachten: Verdunkelung. Sie hüllten den Mann, der ihnen offenbar im Wege stand, weiträumig mit einer undurchsichtigen Plane ein. Buhrufe und Pfiffe gellten über die Straße. Minutenlang. Aber nichts geschah. Die Polizei hielt die Absperrungen aufrecht und machte zunächst keinerlei Anstalten. So verging fast eine Stunde. Dann kam wieder eine Ansage:

    „Die Familie Hickersberger bittet sie alle weiterzugehen. Wir bitten sie diesem Wunsch aus Respekt vor der Familie und Herrn Professor Hickersberger nachzukommen. Eine Eskalation wird niemandem helfen und kann zu einer dramatischen Verschlechterung des Gesundheitszustands des Patienten führen.“

    Wer es glaubt, dachte ich mir nur. Wo kam die Familie plötzlich her, wieso war der Gesundheitszustand auf einmal wichtig. Es ging ihm doch so gut? Das war mir alles fadenscheinig.

    -Wen haben wir denn da?
    Och nö. Toto und Harry.
    -Guten Abend, die Herren., antwortete ich und grinste beide an.
    Toto und Harry sahen sich kurz an. So eine Art Geheimcode.
    -Wir verstehen es auch nicht. Keine Ahnung wie er das macht., Toto war richtig freundlich. Anscheinend waren sie auch ins Grübeln gekommen.
    -Aber Du musst jetzt hier runter. Sonst gibt es einen Riesenärger. Komm einfach mit runter und geh nach Hause. Harry reichte mir dazu die Hand, um mich hochzuziehen. Ich folgte ihrer Aufforderung und ging wie ein blöder Junge nach Hause. Wieder mal.

    Damals, lang, lang ist es her und ich war noch in der ersten Herren, da bin ich auch so nach Hause gegangen. Kurz zuvor hatten sie mich aus der Mannschaft ausgeschlossen. Geh nach Hause, Norbert. Mach jetzt keinen Ärger. Das bringt doch nichts. Lass gut sein. Du änderst doch nichts. All der Scheiß den Spulwürmer und Wirbellose von sich geben. All der Scheiß, den ich mit noch soviel Bier nicht mehr werde herunterspülen können, der sich immer wieder hochzwängt und mich auslacht.

    IV.


    Und doch verdrängte ich den ganzen Mist von damals und den seltsamen Professor soweit, dass er nur noch selten, wie ein Aufstoßen nach zu fettigem Essen wieder hochkam. Es ging ein Gerücht, dass sie ihn ausgemeißelt und per Lastenhubschrauber weggeflogen hatten.

    Ihre Taktik, als sie endlich eine hatten, war jedenfalls aufgegangen: Langweile und moralischer Druck. Die Leute verließen den Schauplatz und suchten die nächste Sau, die durchs Dorf rennen würde. Die, die blieben wurden soweit abgedrängt, dass sie noch nicht mal mehr die Plane sehen konnten oder wurden kurzer Hand in vierundzwanzigstündige Verwahrung genommen. Die Allermeisten gingen wie ich brav ins Bett nach Hause.

    Es passierte das Übliche: Verschwörungstheoretiker hielten Hickersberger für ET und wähnten ihn in Area 51. Die knallharten Realisten wussten – woher auch immer – dass Hicky einen Anfall mit lateinischem Namen bekommen hatte – Katasonstwas – aber heute irgendwo im Schwarzwald in Frühpension und glücklich sei. Mit etwas Stolz erfüllte mich das Gerücht, der Professor sei Opfer eines betrunkenen Schlägers geworden und dadurch in eine Angststarre gefallen. Immerhin.

    Und dann hatte ich diesen Traum. Ich war früher zu Bett gegangen, weil ich wieder diese widerlichen Schmerzen an der Stirn hatte, wo ich damals an das Kinn gerammelt war. Phantomschmerzen wie mir mal ein Kollege wichtig erklärt hatte.
    In dieser Nacht träumte ich von ihm. Aber nicht wie ich damals gegen ihn gerannt war, nein. Ich sah ihn. Ich sah ihn auf einem Müllberg liegen. Steif wie damals. Aber er grinste nicht mehr und der Glanz in seinen Augen war stumpf geworden. Sein Gesicht war ganz nah an meinem und ich fühlte Zorn und Mitleid. Dann entfernte ich mich von ihm wie ein Vogel. Ich sah ihn aus der Luft auf dieser Kippe liegen, ich sah die Landschaft und die Wege und ich flog die Wege zurück bis zu den Fenstern meiner Wohnung und schlug die Augen auf. Ich wusste wo er war und was ich zu tun hatte.

    Ich schulterte meinen Rucksack und machte mich auf den Weg.


    -Epilog

    -Normal war er nie.
    -Jep.
    -Haben wir noch Bier?
    -Jep.
    -Warum gibt er ihm die Hand, Minni? Was will er uns damit sagen?
    -Keine Ahnung Grobi. Keine Ahnung.

    -Kennt ihr zwei den Rechten von den Beiden?
    Grobi und Minni fuhren verschreckt zusammen und blickten sich um. Hinter ihnen waren zwei Männer aufgetaucht. Der eine klein und rundlich, der andere groß und hager.
    -Jep. Und Ihr?
    -Ebenfalls., sagte Toto.
    -Habt ihr noch ein Bier?, fragte Harry.


    Vor der Fachhochschule standen zwei Personen, die sich die Hand gaben und permanent angrinsten. Es ging ihnen gut und sie schienen ihrem Grinsen nach zu urteilen, auch sehr zufrieden zu sein.
  • to be or not to be continuedDatum17.05.1970 09:17
    Thema von Brotnic2um im Forum Arbeitshügel
    Um den Vorschlag einer Fortsetzungsgeschichte wieder aufzugreifen, stelle ich mal einen Text ein. Keine Ahnung ob der hier fortsetzbar ist oder nicht. Wenn jemand meint er hätte einen besseren Beginn, oder man könne den von mir verzapften Beginn durch Änderungen verbessern, dann nur zu. Toll fände ich es wenn wir, oder die, die das interessiert, auf dem Arbeitshügel uns zusammenfinden könnten, um mal zu schauen, ob wir uns auf einen Anfang, auf bestimmte Figuren bzw. ihre Biographien einigen können. Mehrere Erzählstränge halte ich auch für wichtig. Sicherlich darf das auch nicht ausarten. Aber sollten wir uns einigen können, könnte man ja Abschnitt für Abschinitt in einen nur den Modmins zugänglichen Faden, sprich gesperrten Faden, hochladen lassen.

    Also hier nun mein Beginnvorschlag:




    „Unaufhaltsam heben sich die Parke
    aus dem sanft zerfallenden Vergehn;“

    klick, klick

    “überhäuft mit Himmeln, überstarke“

    Klick.

    “Überlieferte, die überstehn“

    Klick.

    Eigentlich war sie in den Schlosspark gekommen, um sich inspirieren zu lassen, nicht um von wildgewordenen Nips mit Kamera genervt zu werden. Eigentlich hatte sie gedacht, dass es im Park sich doch machen lassen müsste, dieses Gedicht des Meisters zu verstehen. Aber statt Metrik und Rilke?

    klick, klick

    Sie legte den Gedichtband weg und blickte auf ihrer Parkbank zornig zu anderen Seite. Doch da saß nicht der erwartete Japaner, da saß ein merkwürdiger Mann mit Baskenmütze, Sonnenbrille und Mantel im Fischgratmuster. Er starrte unentwegt geradeaus.

    Klick.

    Wo war die Kamera? Der Kerl hatte sie um den Hals hängen und drückte einfach auf den Auslöser. Er schaute noch nicht mal durch den Sucher. Obendrein stand vor ihm ein Kinderwagen.

    klick, klick

    Sie schüttelte irritiert den Kopf. Diese Stadt war voll von Freaks, die um Aufmerksamkeit bettelten. Nicht irritieren lassen: weiterlesen. Noch mal von vorn. Doch Himmel, überstake und überlieferte, die zudem noch überstehen? Daran zu denken, verursachte ihr auch in der freien Natur, im Park, wieder nur diese schwammige Übelkeit, denn all ihre Überlegungen führten zu nichts. Der Text blieb ihr fremd.

    Klick.

    Sie schaute unauffällig zur Seite. Er hatte sich nicht gerührt. War das ein Happening? Eine dieser unsäglichen Versteckte Kamera Filmchen? Denen würde sie was husten. Diese Bereitwilligkeit sich zum Affen machen zu lassen nur weil eine Kamera

    Klick.

    läuft, fand sie entsetzlich. Die Leute hatten einfach keinen Geschmack. Punktum und schon grinste sie wieder der Text an. „Und Du hast keinen Verstand, Schätzchen!“, murmelte sie resignierend zu sich selbst.




    Zur gleichen Zeit, an einem anderen Ort

    „Komm schon. Ich will jetzt all deine Zylinder hören. Komm schon.“ Er drehte den Anlasser um. Außer einem leeren klicken, kam nichts. Sein Kopf sackte frustriert auf das Lenkrad.
    „So eine Scheiße, Scheiße, Scheiße.“ In diesem Rhythmus schlug sein Kopf wieder und wieder auf das Lenkrad. Er hatte noch drei Tage, die Stadt zu erreichen. Drei verkackte Tage. Wenn die Karre führe, hätte er heute Abend schon in einer Kneipe Schampus regnen und die Bräute tanzen lassen können. Jetzt aber stand er am Straßenrand im Niemandsland einer B irgendwas. Gestrandet in der Walachei bei den Antipoden der Spaßgesellschaft.

    Wegzukommen, wäre ja nicht das Problem. Das Problem war die Ladung im Kofferraum. Ohne Ladung, kein Schampus, keine Mädels, stattdessen auf die Fresse. Seine Auftraggeber, verstanden keinen Spaß. Sie sahen zumindest so aus, als ob sie keinen vertrügen. Er fand zwar die Ray-Ban Sonnenbrillen etwas dick und auch insgesamt sahen die Kerle wie falsche Abziehbildchen aus, aber die Vorabzahlung und die minutiöse Einhaltung der Übergabe der Ware, hatte ihn überzeugt, dass die Jungs wussten was sie taten.

    Natürlich hatte er keine Ahnung was er transportierte. Wollte er auch nicht. Das belastete nur. Eines war allerdings auffällig: sie war verdammt schwer. So mal eben im Rucksack über die Schulter werfen war nicht drin. Er stieg aus.

    Es war ein warmer Spätsommernachmittag. Der Asphalt glühte von der Mittagshitze noch nach. Die Allee war schnurgerade, leicht wellig und links und rechts von schlanken, großen Pappeln gesäumt. Nicht selten war er an kleinen Kreuzen vorbeigefahren, die eines Timos, oder Marios gedachten, die ihr Blech und ihr Leben an und zwischen die Hölzer genagelt hatten. Hinter diesen Bäumen erhoben sich die Felder. Weizen, Raps- und Maisfelder wo er hinblickte, nur hin und wieder von einem kleinen Knick gestört. Ansonsten: trostlos.

    So trostlos wie der obligatorische Blick unter die Motorhaube. Außer Verkleidung war eh nichts zu sehen. Alles elektronisch gesteuert. Was tun? Und während er nachdenklich im Licht der untergehenden Sonne auf den defekten Motor schaute, darüber nachdachte, ob er erstmalig seine Mitgliedschaft im ADAC nutzen sollte oder den oder die andere über das Missgeschick informieren sollte, wobei dies nichts anderes als teilen bedeuten würde, vernahm er ein dumpfes Brummen. Er sah ein paar Asphalthügel entfernt Scheinwerferkegel, die sich ihm gemächlich näherten.




    Schlosspark

    klick

    Aber Schalen sind, drin der Najaden
    Spiegelbilder, die sie nicht mehr baden,
    wie ertrunken liegen, sehr verzerrt;
    die Alleen sind durch Balustraden
    in der Ferne wie versperrt.

    klick

    Der Text war sperrig und neben diesem Kerl hätte sie noch tausendmal die Verse lesen können, dieses Rumgeklicke war einfach zu nervig, um sich konzentrieren, geschweige etwas entdecken zu können.
    Sie stand auf, schaute noch mal zur Seite und sah ihn auf der Bank sitzen wie zuvor. Aber der Kinderwagen fehlte. „Was soll`s“, dachte sie noch. Verärgert über das misslungene Experiment stapfte sie über die vorgezeichneten Wege davon, doch mit einem male, wie durch einen unsichtbaren Wink, schaute sie sich noch mal im Park um und sah im vergehenden Sonnelicht nicht nur einen Bündel tanzender Mücken, sondern hinter oder in diesem Reigen auch eine Frau im Fischgrätmantel, Baskenmütze und Sonnenbrille, die den Kinderwagen vor sich herschob.
  • WowDatum17.05.1970 07:47
    Thema von Brotnic2um im Forum Kommentare, Essays, Gl...
    Wow. Das ist ein echter Wow Effekt. Bei der Durchforstung des Universums nach intelligenten Radiosignalen oder künstlichen Signalen ist es irgendeinem Forscher – ich glaube damals schon für das Seti Projekt – gelungen ein Signal aufzuzeichnen, beziehungsweise eines in der gesammelten Datenflut zu finden, dass so stark war, dass er ein Wow neben die Zahlen kritzelte. Leider ist es nie wieder aufgetaucht und sein Ursprung nicht mehr eindeutig feststellbar.

    Nun der jüngste Wow Knaller. Ich glaube bis in die Neunziger Jahre war es umstritten ob es außerhalb unseres Sonnensystems Planeten gibt. Es war nicht sicher, weil wir nur Sterne sahen und keinerlei Idee oder Instrument hatten, einen Planet zu entdecken. Die Frage wurde tatsächlich diskutiert, ob unser Sonnensystem das einzige sei, dass Planeten besitzt. Dann die Sensation: Planet außerhalb unseres Sonnensystems entdeckt. Wenn es uns möglich war in diesem gigantischen Heuhaufen, einen zu entdecken, dann bedeutete dass – rein statistisch – das es da draußen eine Unzahl an Planeten geben wird.

    Jahr für Jahr wurden mehr Planeten entdeckt. Zunächst nur große, sehr große Wackermänner wie Jupiter und größer, die einen starken Einfluss auf ihre Sonne ausüben können. Nun stellte sich die Frage ob unsere Erde nicht ein Unding sei. Ein gigantischer Zufall. Der exakt richtige Abstand zur Sonne, Eigenrotation, ein klasse Mond und vieles mehr. Die grüne Zone in der sich ein Planet befinden muss, um Leben wie wir es kennen zu enthalten, zu ermöglichen oder uns einen Lebensraum bieten zu können ist sehr schmal.

    Und jetzt das. Wenn die Schweizer Forscher recht haben sollten, wenn es sich tatsächlich in den nächsten Jahren erweisen sollte, dass der Planet im System Gliese 581 eine Atmosphäre und lebbare Bedingungen enthält, dass Wasser und Leben auf ihm sehr wahrscheinlich vorhanden sind, dann haben wir entweder die Nadel im Meer aus siebzig Trilliarden Sternen gefunden, oder wir haben nur den ersten bewohnbaren oder bewohnten Planeten von Millionen anderen gefunden. Ich glaube letzteres ist wahrscheinlicher. Beam me up, Scotty!

    Was jetzt noch fehlt ist der Schub. 20 Millionen Lichtjahre Entfernung. Keine Kleinigkeit aber eigentlich sogar in der erweiterten Nachbarschaft gelegen Aber ordentlich Schub sollte es schon sein oder aber ein Tunnel oder größeres Verständnis für diese Zwillingsteilchen, die selbst wenn sie kilometerweit auseinander sind, sich immer exakt gleich verhalten. Vorzustellen als Topfdeckel. Wenn ich dem einen Topfdeckel einen linksdrall gebe, so wird der andere unmittelbar darauf, den gleichen Spin bekommen. Wie das? Durch welches Band sind die Teilchen verbunden? Faszinierend wenn Wissenschaft transzendente Sphären erreicht.
  • Alles klar?Datum17.05.1970 06:21
    Thema von Brotnic2um im Forum Kommentare, Essays, Gl...
    Recht hat der Schäuble! Weg mit der Unschuldsvermutung. Warum sollten die uns Menschen, denn noch als unschuldig ansehen, wenn sie es selbst schön längst nicht mehr sind? Na also.
    Die Eliten. Die Hirsche, die Zwölfender, die komplett ausblenden können, dass sie schmieren und bescheißen, lügen und verdrehen, auf Spesenrechnung ficken gehen, ein V noch vor dem Urteil machen und wie selbstverständlich als Erster mit der größten Kelle am Fressnapf stehen. Eliten des Prekariats halt mit besten Referenzen.

    Liebe Menschen, da wir ja nun unter uns sind: Drecksäcke, die von Drecksäcken regiert werden, plädiere ich dafür, dass amerikanische Waffengesetz einzuführen. Wenn der Innenminister, der im Regierungsraumschiff Berlin sich schon von Terroristen umzingelt fühlt, obwohl es nur seine eigenen Bodyguards sind, und Berlin bagdadisiert, was soll ich dann erst sagen? Ich wohne in einer roten Zone! Kriminalitätsrate hoch. Bronx. Wer seine Kindern das Schreiben und nicht das Abziehen beibringen will, der zieht weg. Machen die auch.

    Mir ist das eigentlich scheißegal, ob mich hier wer ausräubert oder ausradiert und dabei die Internationale, das Horst Wessel Lied pfeift oder mir den Stinkefinger zeigt. Ich habe leider keinen Antinormalbürger Schutzwall, und für mich sehen mittlerweile auch alle, und vorneweg der Innenminister, wie Terroristen aus. Wenn ich jeden für einen Terroristen halte, dann bin ich für die anderen natürlich auch ein Terrorist. Aber ich bin – nein nicht unschuldig, das Recht ist nun perdu – nein, schlimmer, unbewaffnet. Die Waffengleichheit ist nicht vorhanden. Wenn wir hier alle schon auf Terroristenjagd gehen, dann möchte ich auch eine Knarre haben. Einen schönen Zwölfender schösse ich mir dann. Ein kapitalen Bock erlegte ich. Klar, nur so hätte ich auch die Chance auf Gnade beim König.

    Da zuckt, der eine oder die andere vielleicht zusammen, und denkt sich was für ein Arschloch. Aber wenn ich morgen tot daläge, weil mich ein Terrorist erschossen hätte, dann kann der nicht darauf hoffen, dass meine Frau Gnade beim König erwirken kann, selbst wenn Sie beschwöre: er sei es nicht gewesen. Ansonsten hieße meine Frau nicht Meier, Begleitschaden oder Lästig sondern Buback. Selbst im Tod sind wir nicht gleich. Wer diesem Massengrab entkommen will, muss Einzelkämpfer werden. Manifest und Videobotschaften können bei den dafür zuständigen Sensationsnutten im Vorfeld abgegeben werden. Alles Klar!
  • Der PlanDatum17.05.1970 05:50
    Thema von Brotnic2um im Forum Kurzgeschichten, Erzäh...
    Der Plan

    Die Schwester öffnete die Sprechluke in der Zellentür.
    „Herr Braun?“
    Ein- und ausgeatmete Pressluft übertönte fast das schwache Ja.
    „Besuch.“
    „Hat er bezahlt?“
    „Wir haben es sogar schon auf das Konto ihrer Tochter überwiesen. Wie immer.“
    „Gut. Lassen Sie den Besuch rein.“

    Die Tür wurde aufgeschlossen. Absätze klackten über den Linoleumboden. Der Patient, der in einer eisernen Röhre lag, konnte den Ankömmling nicht sehen.

    „Guten Tag,“
    Braun unterbrach den Gast sofort.

    „Sie kommen wegen der Geschichte mit meiner Tochter? Natürlich. Alle kommen wegen Eva. Ich empfange Sie ungern in diesem Kerker, aber Sie haben gezahlt. Nun kommen Sie. Kommen Sie und hören Sie. Machen Sie es sich bequem. Wo immer Sie können. Ich kann mich sowieso nicht mehr wehren.“


    Damals wehrte ich mich. Damals war ich bei einer Versicherungsgesellschaft in der Schadensabteilung. Ich machte Karriere. Wurde Abteilungsleiter. Ich musste immer dann entscheiden, wenn die Schadenssumme so hoch war, dass subalterne Kräfte einen Verantwortungsairbag brauchten.
    Die Summen, die ein kleiner Bearbeiter bewilligen durfte, wurden immer kleiner. Immer häufiger wurde ich als Schadensleiter befragt, ob die Gesellschaft zahlt oder klagt. Ich habe mich davor nie gedrückt. Für mich waren dies Entscheidungen zwischen richtig oder falsch und genau diese Entscheidungen wollte ich treffen.
    Ich hätte das nicht machen müssen. Ich hätte jede Entscheidung noch weiter nach oben delegieren, und verantwortungslos bleiben können. Das ist vielleicht der Witz an meiner Geschichte.

    Anfangs habe ich gedacht ich könnte etwas bewegen. Anfangs war ich auch naiv. Das glauben die Leute wohl heute auch noch, wegen meiner Gläubigkeit. Ich glaube an Gott und nicht an Zahlen. Ich hatte gedacht, dass ich durch meinen Job ein wenig die Schlechten von den Guten trennen und mein Scherflein dazu beitragen könnte, dass denen Anteilnahme gegeben wird, die schuldlos in Not geraten. Denen, die Märchen erzählten, denen zeigte ich schon immer im Rahmen meiner Möglichkeiten, dass ich einen Lügner an seiner Nase erkenne.

    Es war im Sommer als alles begann. Ich ging den Tagen nach wie meiner Arbeit und kaufte mir einen Computer. Das Schreiben auf meiner Olympia war mir lästig geworden. Korrekturband, Tipp Ex, das Hüpfen einzelner Buchstaben, das wollte ich nicht mehr sehen. Schon zu Schulzeiten, hatte ich rumgetippt und geschrieben. Mit dem neuen, farbigen System konnte ich meine Schrift zentrieren, kursiv und in Blocksatz stellen. Vor allem sah es beim Schreiben schon so schön aus wie im Ausdruck.

    Auch in der Firma hatte ich erste Schritte getan. Erfolgreich. Ich galt zwar als Eigenbrötler, aber der Kollege im Allgemeinen schätzte meine Zuverlässigkeit und mein Fachwissen. Wenn ich nach Hause kam, setzte ich mich an meinen Computer und schrieb. Ich dachte mir Gedichte, Geschichten und immer mal wieder Gebete an Gott aus. Nichts besonderes, aber ich schrieb alles auf. Und eines Tages, während des Schreibens, stürzte mein PC ab.

    Ich wusste erst gar nicht was geschehen war. Ich drückte wieder auf den Einschalter. Er fuhr fehlerfrei hoch. Alles schien normal. Doch als ich Word aufrief und meine Texte speichern wollte, erkannte ich, dass im Ordner mit meinen Dateien sich noch mal mein Ordner mit all meinen Dateien befand und in diesem wieder mein Ordner und alles andere befand.
    Es war wie ein Spiegel im Spiegel. Es war endlos. Ich wagte, eine Datei auf irgendeiner Ebene zu löschen. Erstaunlicherweise verschwand sie nur dort und blieb aber auf allen anderen erhalten. Ich verstand nicht wie das sein konnte und ich fürchtete nun, dass all meine Texte und Schöpfungen dem elektronischen Untergang geweiht waren.

    Mir war nicht entgangen, dass ein Mieter in unserem Wohnhaus auf seinem Klingelschild neben seinem Namen – Celary - eine Firmensignatur stehen hatte : Innovative Computer Technik. Das klang gut, aber es war nach achtzehn Uhr. Damals hatte Deutschland um diese Uhrzeit schon geschlossen. Es war sogar schon halb neun. Was blieb mir also übrig? Ich nahm an, dass ein Computerfreak um diese Zeit noch wach oder schon aufgestanden sein müsste. Ich nahm also meinen Mut zusammen und stieg die zwei Etagen nach oben ins Siebte Geschoss. Ich klingelte.

    Ich hörte einen fürchterlichen Hustenanfall. Ich dachte es stirbt jemand. Dann herrschte Stille. Ich wagte nicht noch mal zu klingeln und verharrte vor der Tür. Dann nahm ich Schritte wahr und die Tür öffnete sich.

    Ein älterer Mann erschien in der Tür. Groß, schlank, rauchend. Die Haare mittelblond, doch leicht ungepflegt und länger als nötig. Er hatte einen Schnurr- und Kinnbart. Er erinnerte mich an einen Musketier. Er wirkte überrascht.
    „Kennen wir uns?“, fragte er leicht belustigt.
    „Nein. Wir haben uns vielleicht ein, zweimal im Treppenhaus gesehen...“
    Während ich sprach starrte er mich direkt an und verunsicherte mich zusehends.
    „Schon gut“, unterbrach er mich, „Sie haben ein Problem mit Ihrem PC, stimmt ’s?“
    „Ja. Es tut mir...“
    „Papperlapapp. Wenn es eine einfache Sache ist, helfe ich Ihnen gerne. Nachbarschaftshilfe. Finde ich gut. Wollte noch keiner hier.“
    „Also wenn es Ihnen zu ...“
    „Kein Problem. Was stimmt nicht?“
    Während ich ihm mein Problem schilderte, hatte er auch schon ein Täschchen und seinen Schlüssel gegriffen und mich beherzt wieder die Stufen zu meiner Wohnung hinuntergeführt.

    Im Arbeitszimmer meiner Wohnung angelangt, nahm er wie selbstverständlich vor meinem PC Platz. Ich blieb unschlüssig neben ihm stehen.
    Er grummelte und schrieb kryptische Befehle in schwarze Bildschirmfenster. Zwischendurch nickte er mein Angebot ab, ihm einen Kaffee zu machen.
    Als ich in der Küche stand und die Maschine bereitmachte, hörte ich ihn rufen:
    „Einen Whisky, einen Tullamore Dew, haben Sie nicht zufällig? Zum Feierabend?“
    „Ich fürchte nein. Ich trinke nicht.“
    „Nicht trinken – genießen! Darf ich rauchen?“
    „Wenn es Ihnen nicht allzu viel ausmacht: bitte nicht.“
    „Kein Problem. Den Kaffee bitte schwarz.“

    Als ich mit dem Kaffeegedeck – ich hatte ihm noch von mir selbstgemachte Kekse dazugelegt – wieder ins Zimmer kam, grinste er mich an und bemerkte:
    „Alles wieder schön.“
    „Wie haben Sie das gemacht?“, fragte ich baff.
    „Nebenher entwickle ich Programme. Dieser kommerzielle Kram ist mir zu langsam und zu affektiert. Ich habe mein eigenes Tool über ihre Festplatte laufen lassen. Sie haben eine Datensicherung, oder?“
    Ich schüttelte langsam den Kopf und wusste überhaupt nicht, was er mir sagen wollte.
    „Nicht?“, er presste die Lippen aufeinander, „War ich mal wieder zu voreilig. Nun, es ist gutgegangen. Alles ist schön. Ihre FAT, also Ihre Verzeichnisstruktur, Ihre Dateien, alle Bezüge und Adressen sind wieder in Ordnung und - einzigartig.“
    Er lächelte mich wieder an.

    „Entschuldigung, aber ich habe, fürchte ich, kein Wort verstanden.“
    Sein Lächeln erstarb und ich spürte wie er sich in sich selbst zurückzog. Hatte ich ihn beleidigt?
    „Habe ich etwas Falsches gesagt?“, fragte ich vorsichtig.
    „Bitte?“, meine Frage schien ihn wieder in die Gegenwart geholt zu haben, „Nein. Im Gegenteil. Unverständlich zu sein, höre ich oft. Obwohl ich versuche den Ton zu treffen. Es ist schwer, die scheinbare, endlose Mehrfachspeicherung ihrer Dateien zu erklären.“
    „Versuchen Sie es.“
    „Der Wegweiser zu ihren Dateien, Texten, die File Allocation Table - FAT genannt -, war defekt. Das Inhaltsverzeichnis ihrer Eigenen Dateien wurde bei jedem Doppelklick auf ihren Eigenen Ordner wieder in den Eigenen Dateien Ordner hineinkopiert. Als würden sie von A nach B fahren und in B angekommen, feststellen, dass B in A liegt und sie gar nicht hätten losfahren müssen. Sie waren schon da.
    In der FAT steht alles Geschrieben. Sie ist der Gott ihrer Festplatte. Steht da etwas falsches, findet der User keine Ordnung und kein Heil mehr.
    Sie nehmen mir die pseudoreligiöse Erklärung nicht übel, oder? Aber ich vermute wegen ihrer Texte, dass ich ihnen so vermitteln konnte, was geschehen wird, ach was red ich denn?: war. Was geschehen war.“

    „Sie haben meine Texte gelesen?“, ich war entsetzt. Wie hatte er es wagen können? Andererseits gewahrte ich, dass es seine Aufgabe, seine Tätigkeit mit sich brachte, dass er Einblick in intimste Geheimnisse seiner Kunden bekommen musste.

    „Es waren drei Dateien, ausnahmslos Textdateien, die dieses Wirrwarr erzeugt hatten: ich musste sie mir angucken. In Ordnung?“
    „Meine Texte schauen ein bisschen verrückt aus, nicht?“
    „Ganz und gar nicht. Aber – ich will nicht verhehlen – mir ist Transzendentes fern.“
    „Sie sind Atheist?“
    „Atheist, das ist so ein Kampfbegriff, oder? Mag ich nicht. Bei mir hat sich Gott nicht vorgestellt, oder an meine Tür geklopft. Ich vermisse Gott nicht. Ein jedes Teil, ein jedes Wesen, hat seine Eigenheit und verhält sich. Ich beobachte und bin immer wieder überrascht, welche Entdeckungen es zu machen gibt. Ohne die Dinge beeinflusst zu haben. Das ist bei uns Zweien genauso. Wir interagieren und niemand kann sagen, was das nächste Wort gibt. Zwischen uns regiert der Zufall.“

    „Ich glaube nicht an Zufälle. Ich muss nur in den Nachthimmel schauen. Das ist kein Zufall. Das sieht nur willkürlich aus. Aber jeder Stern und alles was wir nicht sehen, ist da, wo es sein muss Alles was wir erleben hat einen tieferen Grund. Zufälligkeiten verehren nur die, die sich nicht trauen, ihr Leben mit Gottvertrauen selbst in die Hand und sich und seine Mitmenschen ernst zu nehmen. Verantwortung zu übernehmen ist kein Zufall. Ich will mich nicht mit Ihnen streiten, aber an Zufall glaube ich nicht. “

    Er und ich blickten uns an.

    „Ich weiß nicht was mich mehr beunruhigt?“, unterbrach er unser Schweigen. „Die Vorstellung Teil eines Planes oder ein von einem Affen hingeschissenes Fragezeichen zu sein? Mag daran liegen, dass ich ein Waisenkind bin und mich schwer tue, einen Sinn oder eine faire Chance darin... Sie bluten.“
    Verdutzt schaute ich auf meine rechte Hand. Ich hatte mich geschnitten. Wann? Wie? Ich wusste es nicht. Die Zeigefingerkuppe blutete. Ehe ich mich versah, hatte er ein Stofftaschentuch gezückt und die Blutung gestoppt.
    „Sie müssen vorsichtig sein, Herr Braun.“
    „Ich weiß. Soll ich das Tuch für Sie waschen?“
    „Nein. Das kann meine Haushälterin machen. Sind Sie auch alleinstehend?“
    „Ja.“
    „Falls Sie Hilfe im Haushalt brauchen? Ich kann Anjielika empfehlen. Sie ist zuverlässig und wie ich aus Krakau.“
    „Krakau?“
    „Ja. Die Stadt der Könige.“


    Aus Krakau. Ein polnischer Waisenjunge und doch fern jeden Glaubens. Er war mir nah und doch unheimlich. Er hatte mir sofort geholfen. Ohne nachzufragen oder etwas zu verlangen. Wenn wir uns jetzt im Treppenhaus trafen, grüßten wir uns freundlich, plauschten auch mal kurz. So erzählte er mir, dass er die Firma an seinem Klingelschild nur nebenher laufen lasse und eigentlich in einem biotechnischen Forschungsinstitut an hochkomplizierten Projekten arbeite. Und jedes Mal wenn wir uns verabschiedeten wiederholte er sein Angebot, mir Anjielika zu vermitteln. Ich hatte diese Dame noch nie bemerkt und glaubte schon, er wolle mich ein wenig auf die Rolle schieben, aber da wir beide untertags arbeiteten, er in seinem Institut und ich bei meiner Gesellschaft, war ich mir diesbezüglich auch nicht sicher.

    Und hier gehts weiter, bzw. steht das komplette Dingen: www.guennimats-tippit.de/derplan.pdf
  • GewinnmaschineDatum17.05.1970 03:37
    Thema von Brotnic2um im Forum Zwischenwelten
    Wir sitzen vor der Glotze und warten, dass der Zufall und unser Herz in gleichem Takt für 0,49 € die Minute schlägt.
    Pimpernd haben wir die Antwort parat. Steppen unentwegt die Zahl der fremden Gewinnmaschine ins Telefon. Die Zeichen, Wellen, Resonanzen aus Schirm und Sprecher wühlen uns unsere Eier auf.
    Das Los muss doch mal auf mich, auf dich, auf uns fallen? Einmal Glück haben! Einmal nur ein Dickfisch sein. Ein Wal, der nur das Maul aufmachen muss, um alles zu bekommen.
    Es flimmert im Herzen. Wir schalten den Glotzkasten nicht aus. Wir Yahoos sind immer den Glasperlen hinterher.
    Aristokraten, Pferde, Elfenbeinerne entziehen sich diesem Spiel. Sie striegeln, schniegeln, reflektieren sich. Egal.
    So oder so, sie machen Programm für mich.

    Wir Yahoos sind immer den Glasperlen hinterher.
  • TauchenDatum17.05.1970 00:51
    Thema von Brotnic2um im Forum Zwischenwelten
    Tauchen.

    Ich kann nicht den Fischen zuschauen, die an mir vorüberziehen. Ich muss immer nach oben sehen. Damit ich den Punkt nicht aus den Augen verliere, an dem sich das Licht bricht. Da ist die Oberfläche und die Luft zum Atmen. Ich kann nicht abtauchen, mich treiben lassen, untergehen, Kontrolle verlieren.

    Kino, denke ich mir. Da ist es auch dunkel, da kann ich mich treiben lassen, weil ein anderer für mich taucht. Da kann mich nichts berühren. Alles, was ich sehe ist dort schon geschehen. Dort tauche ich mit und lasse mich fallen. Aber selbst tauchen? Wirklich untergehen?

    Kontrolle verlieren, ersaufen, keine Luft mehr kriegen, aber Luft schnappen wollen? Wie ein Fisch an Land nur umgekehrt? Mein Verstand hat so viele Sperren und Türen, die fest verschlossen sind und die ich tief im Sand vergraben habe, eingebaut, dass sich mir der Lebensnerv abklemmte, löste ich die Ventile . Wer nach mir taucht, um Schätze, Schätze?, auszugraben, ist selber schuld.

    Welche Dämonen sollen schon in der Tiefe lauern? Seeungeheuer, Kraken? Davor hatten sie schon früher Angst. Zitterten, obwohl sie noch gar nicht eingetaucht waren. Zitterten schon, weil sie nur dachten, dass alles Furchtbare, Alles und das Schrecklichste dort unten in der tiefsten und dunkelsten Nacht auf sie und nur auf sie lauert, um sie sich zu greifen, wenn sie unaufmerksam auf den Planken ihrer geistigen Nussschale herumwanderten. Zack! wurden sie hinabgezogen.

    Tentakel griffen sie und zogen sie so tief hinab bis der Druck der Wassersäule ihre Eingeweide zerquetschte und alle Farben aus dem Meer gewichen waren. Nacht. Dunkelheit. Das ist es, was ein Taucher findet, wenn er sich zu weit hinabwagt. Abgründe, die ihn nach unten ziehen und ihn nicht mehr auftauchen lassen, ihn vernichten. Vernichtungsschlag, das ist der Herzinfarkt, der uns ins Koma eintauchen lässt. Ein Aufwachen aus diesen Gewässern? Ist das möglich?

    Ist Wasser unser Element? Nein, wir brauchen Grund und Gründe. Keine Abgründe. in die wir nur fallen und verlieren können. Wir sind keine Taucher, sondern Wanderer, die stets bei sich bleiben müssen, um sich nicht zu verlieren. Fische und Haie und Wale, die mögen sich im Wasser tummeln und den Kraken begegnen. Ich ziehe es vor, an Land zu bleiben und meinem Rattendasein zu frönen. Ich kann nicht schwimmen, drum kann ich nicht tauchen.

    Nur eines will mir am Tauchen gefallen, dass die ganze Welt für einen Moment, den Moment des Abtauchens - verstummt, schweigt. Sie lässt mich in Ruhe. und ich darf treiben und in mein Inneres horchen. Aber wenn ich das intensiv tue, weil die Stille zunächst so angenehm berührend ist, so jage ich doch bald wieder hoch, denn die Stille bleibt Stille und sie führt mich nur ins Nichts. Dahin wo alle Farben enden, und die Kraken auf mich warten.
  • UltimativDatum16.05.1970 21:51
    Thema von Brotnic2um im Forum Gesellschaft
    Meine Nacht

    Die Nacht war kalt
    und kälter noch
    als Dunkelheit.

    Meine Augen waren blind
    der Tränen, mein Näschen war
    verstopft. Die Kissen voll.

    Geräusche in dunkler Stille.
    ächzendes Gestöhn der Federkissen -
    ach, ich tu mich arg vermissen.

    Steuermann, erhöre mich
    führ mich fort aus Dunkelheit
    an hellere Gestade.

    Und der Hörnerklang ergeht
    Die Sonne scheint und
    unterm Bettenzelt da steht es wieder!:

    Mein Glied

    Das Zelt bestaunend
    tauche ich tief ein
    in die Ströme
    meiner Geilheit.

    Hand am Mast
    treib ich mich fort
    strample meinen Körper frei
    von Decke und Pyjamaknast

    Titten von nah und fern
    zum grabschen nah.
    Es schießt
    mein Kamerad.
    Hand am Mast
    zerfließt.

    Wir klingen zusammen ,
    bleiben zusammen,
    zum morgendlichen Bettenappell.
    Immer...


    Doch Tagwerk holt mich hier nur ein und bindet mich an Eisen und an Riemen. Fesselt mich und meine Pein. Gekreische ist immer still im Räderwerk der Zahlen. Wer hier glotzt, der wimmert nur und wer hier mimt, tut Wahrheit kund. Kein Greinen nicht, kein Zetern und Krakeelen. Stramm ans Eisen der Sadisten gebunden, ende ich damit, die Tage hier zu zählen und schlage sie in metallene Nacht.

    Plödi....
  • Kurz und SchmerzlosDatum16.05.1970 19:38
    Thema von Brotnic2um im Forum Kurzgeschichten, Erzäh...
    Kurz und Schmerzlos
    - Räuberpistole –


    Negativrolle

    Während der Frachttransporter wieder gemächlich über die Ostsee rollt, werden,
    seine pünktlich abgeladenen Offset-Papierrollen mit über 50 km/H über mehrere
    Bahnen durch ein Labyrinth von Dutzenden Drucktrommeln gejagt. Schicht für
    Schicht, Farbe für Farbe werden sie mit Informationen, Bildern und Werbung
    bedruckt.

    Hintern den seitlichen Verkleidungen der meterlangen Heidelberger
    Druckmaschinen arbeiten Motoren, die über Wellen, Getriebe und Kupplungen das
    Räderwerk am Leben halten. Die Tage der Mechanik sind aber gezählt. Zu
    kostspielig sind Schwingungsdämpfer, ihre Wartung und die daraus resultierende
    Makulatur. Nicht zuletzt der zeitintensive Austausch, der auf die Trommeln zu
    spannenden, Druckplatten um ein anderen Druckprozess beginnen zu können.
    So auch jetzt wieder. Der Druckprozess der HörZu wird angehalten. Neue
    Druckplatten werden auf die Trommeln gespannt. Der Aufwand wird aber nicht
    betrieben, um eine andere Zeitung oder Zeitschrift zu drucken. Nein, nur eine
    spezielle Ausgabe der HörZu für einen besonderen Ort muss jetzt gedruckt werden.
    Der Inhalt ist gleich, aber die Werbung, die Anzeigen sind anders. Diese HörZu wird
    später nur in einem Ort verkauft. Er hat die Koordinaten 49° 21′ N, 8° 15′ O und ist
    das größte Dorf dieser Republik. Das gleiche Spiel wiederholt sich in vielen
    Druckereien dieses Landes mit anderen Druckerzeugnissen.
    Wenige Stunden später rollen Vierzigtonner in Hassloch ein, um ihre Zeitungsballen
    abzuwerfen. In Hassloch ist alles typisch. Hassloch ist die Negativrolle unserer
    Republik. Darum entscheidet sich die Zukunft in Hassloch. Alle Erzeuger wissen,
    dass der Hasslocher entscheidet was gegessen, was gewünscht und was gekauft
    wird. Das hat Vorteile nicht nur für die Erzeuger. Die HörZu gibt es kostenlos und
    einen Kabelgebührzuschuss von Drei Euro 85 Cent monatlich obendrein. Und Alle
    Daten der Konsumenten, ihr Fernseh-, Freizeit und Kaufverhalten, ihr Leben sammelt
    still und leise die Gesellschaft für Konsumforschung, die GfK.
    Wie der Hasslocher entschieden hat, welches Produkt angekommen und welches
    Produkt auf keinem anderen Warenband der Republik mehr landen wird, dass weiß
    am Ende nur die GfK. Darum dulden die GfK und die schon im Verein zusammengeschlossenen
    Hasslocher-Probekonsumenten nicht, wenn einer wo anders einkauft
    als in Hassloch. Da erkundigt sich dann schon mal ein Mitarbeiter der GfK persönlich.
    Der Clown
    Tief unten im Nürnberger Erdreich, im tiefsten Kellergeschoss stehen die number
    cruncher, die Hochleistungsrechner und Datenbankserver der GfK-Zentrale.
    Sie werden ununterbrochen von einer Datenpipeline gefüttert, die sekündlich das
    Konsumverhalten der Hasslocher in die Rechen-Getüme pumpen.
    Modernste Lüftertechnik minimiert das Rechnen der Prozessoren und die
    Abspeicherung der Daten auf die Festplatten zu einem leisen Sirren.
    An der Frontseite des großen Rechnerraumes öffnet sich eine Fahrstuhltür. Zwei
    Uniformierte betreten den Raum. Sie sind augenblicklich irritiert, denn sie sind allein.
    Eigentlich müsste hier mindestens ein Systemadministrator anwesend sein.
    „Haben die heute alle frei? Hier stimmt doch was nicht?“, fragt der Ältere sichtlich
    nervös. „Hier stimmt doch was absolut nicht.“
    Der jüngere glotzt nur tumb. Er wandert weiter in den Raum hinein. Sein Kollege
    nestelt unschlüssig an seinem Funkgerät. Die Situation ist ihnen neu.
    Der Jüngere bleibt unvermittelt stehen und starrt auf einen Monitor.
    „Komm mal schnell.“
    „Was denn?“
    „Komm doch mal. Schnell. Guck Dir das mal an.“
    Der alte Wachmann, jetzt so alarmiert, dass sein Puls am Anschlag ist, zögert nicht
    länger und läuft zu seinem Kollegen.
    Als er das Bild auf dem Display sieht, ist ihm als ob die Zeit aussetzt. Die Momente kleben aneinander. Alle Geräusche, alle Hintergründe verlieren sich. Er sieht ist nur noch einen Clown. Ein großes Clownsgesicht mit einer großen, roten Nase, füllt den
    gesamten Bildschirm aus. Die Pupillen des Clowns rollen zu einem Zählwerk, dass
    auf Null runterzählt. 19. Dann schaut der Clown ihn wieder an und wieder auf das
    Uhrwerk. 18. Die Mimik des Clowns wird zunehmend entsetzter.

    „Cool, oder?“
    Die Worte des Jungspunds vernimmt er erst nur gedehnt, dann scheinen die Worte
    sich zu überholen. Schlagartig ist ihm der ganze Raum und das monotone Sirren der
    Lüfter wieder präsent.

    „Raus hier! Schnell!“, schreit er und sprintet zur Tür.
    Jetzt erkennt auch der Jüngere welche Gefahr ihnen droht. Sie stürmen zum
    Fahrstuhl und hämmern auf die Ruftaste. Indes der Clown bei 10 angelangt ist. Nun bläst er seine Wangen überdimensional auf und stopft sich bei 5 die Finger in die Ohren.
    Die Fahrstuhltür geht wieder zu. Die Wärter drücken sich an die gegenüberliegende
    Wand.
    Ein fürchterlicher Knall. Den Wachleuten erstarrt jeder Muskel im Gesicht. Sie wissen es ist ihr letzter Moment. Dann spüren sie wie die Tür der Kabine sich nach innen drückt; das Aufzugsseil über ihnen reißt. Die Tür bricht. Eine Feuer- und Hitzewand quellt hinein. Ihr Sauerstoff wird augenblicklich verschluckt und ihre beiden
    Seelen werden wie Lichter am Docht ausgedrückt.


    ... und wer weiter lesen will kann das hier

    http://www.guennimats-tippit.de/KurzundSchmerzlosneu.pdf

    tun, bzw. sich den Text als Pdf von da runterladen. Danke.
  • Ein Müsser mußDatum16.05.1970 17:05
    Thema von Brotnic2um im Forum Liebe und Leidenschaft
    Du musst, hast Du geschrieben.
    Aber nichts muß müssen.

    Das Schöne ist,
    daß Texte nicht müssen
    sondern sind.

    Such nicht Deine Texte,
    denn wenn sie sind,
    werden sie Dich finden.
  • MacGuffinDatum16.05.1970 16:21
    Thema von Brotnic2um im Forum Zwischenwelten
    MacGuffin
    (kleines kino)


    Bewegt, meinem kleinen, dekadenten Herzen einen Stoß versetzt, kurz aufblitzen lassen, dass mein Arsch am Kopf hängt, diesen Stoß hat mir MacGuffin im Brunnen versetzt.

    Es sind keine Bilder hungernder Kinder oder beschnittener Mädchen südlich des Weißwurst Äquators. Angesichts dieser Brot für die Welt Spots bin ich nur versucht, meine Cheese Nachos in die erzwungene Betroffenheitsvisage meines Sitznachbarn zu reiben. Weil mir der Appetit vergangen ist. Nicht weil ich ein schlechtes Gewissen oder unversehrte Schamlippen hätte, nein, weil es mich ankotzt, in einem Cineplex-Multiglas-Hybrid-3D-Palast von so einer aufgesetzten Scheiße kurz vor dem Langnese beworbenen Hauptfilm belästigt zu werden.

    Das widert mich nur an, das lässt mein Herz kein Hopperchen machen, dass lässt mich nicht spüren, dass ich vergänglich und ein Arschloch bin.
    Schon gar nicht im Vergleich zu der Popcorn im Familienformat vermümmelnden biologischen Einheit hinter mir. Popcorn riecht nicht nur nach toter Maus und fragt besser nicht woher ich das weiß – probiert es einfach aus – es ist eindeutig: tote Maus. Aber das bewegt mich alles nicht. Angst habe ich nur vor MacGuffin aus dem Brunnen.

    Kein Asteroid, auf 2029 prognostiziert, vermag mich in meiner Routine zu beeinflussen. Auch nicht 2028. Den jetzt, oder später angestochenen Schweinen, die quiekend durch die Endzeit winseln, sei schon versprochen, dass ich mit meiner Elektrozange auf euch warte. Quäken, kreischen, alle Sitten fahren lassen, ist stillos selbst wenn die Hunnen an die Pforte klopfen. Ich schenke euch schon jetzt meine stiff upper lip.

    Das widert mich nur an, daß lässt mein Herz kein Hopperchen machen.

    Angst habe ich nur vor MacGuffin aus dem Brunnen.

    Einen Deckel auf den Schacht schieben. Ihn einschließen, daß sich kein Licht mehr aus seinem Schacht bricht. Ein Mantra murmeln, daß ihn auf ewig bindet. Das alles will ich tun, um ihm nicht in die Augen zu sehen, um ihn nicht auf die Leinwand zu lassen.
  • Durch die NachtDatum16.05.1970 14:08
    Thema von Brotnic2um im Forum Arbeitshügel
    Irgendwann begriff ich, daß ich alleine bin. Und immer alleine war. Ich begriff, daß ich vor dieser Einsicht flüchtete. Daß ich nur tat, worum Ihr mich gebeten habt.

    Dazu musste keiner von Euch aufstehen und mich fordern. Ihr musstet nur sein wie Ihr seid: Gemeinsam.

    Da ich nicht wusste was mein Geist und auch mein Körper wollte, da ich nicht begriff, daß ich anders hätte sein können als Ihr, zwang ich mich, Euch zu folgen und wähnte auch kurz, als ich eine Frau fand, mich zu Hause.

    Welch Irrtum. Entfernt hatte ich mich von mir.

    All die Traditionen, die Folklore, sie waren nur aufgesogen, aber nicht inhaliert. Ich versuchte zu verstehen obwohl mein Magen rebellierte.

    Ich blieb ich und Ihr ward Ihr.

    Die Mauer zwischen mir und Euch konnte ich weder durch kauen noch durch Osmose durchdringen. Mein Herz blieb stets nur bei mir.


    Als ich, wie so oft, mit Euch durch die Nacht fuhr, und Du, Weib, hinten saßt mit der Tochter, die nicht alleine sitzen kann, da spürte ich, daß ich nie bei Euch war. Da spürte ich, daß alles was ich wirklich bin , besser vorne bleibt und Euch keine ehrlichen Blicke schenkt.

    Es schneite und ich fuhr Euch durch die Nacht. Wir, zwei Erwachsene, Eltern gar, hatten Angst. Angst, daß die Verhältnisse unser aller Glück ein Ende bereiten könnte. Wir hatten Angst vor dem Schnee, vor dem Eis, aber nicht vor Uns.

    Ich hörte wie Du mit Ihr sprachst, wie Du auf Sie eingingst, suchtest Ihr die Furcht zu nehmen. Ich hörte das. Aber es berührte mich nicht.

    Die Straße, der Schnee, die abgefahrenen Reifen, das Dröhnen der Radlager, die Stimmen hinter mir, die sich in Liebe zugetan und ich selbst, der sich mitunter im Spiegel sah. Teile, die nicht zueinander passten, je zueinander passen würden. Welcher Druck brachte zusammen was nicht zusammen gehört?

    Welche Energie mich von Euch trennte? Gewalt. Freiheit!

    Der Wunsch zu mir zu kommen, zu mir allein. Bei mir will ich bleiben.

    Kein Richter hätte besser trennen, was dieses Messer nicht sauberer hätte können.



    [Ist das zu fett? Kann das alleine taugen? Mit einem bestimmten Avatar an einem anderen Ort war ich mit dieser Geschichte, d.h. mit dieser kurzen Zustandsbeschreibung ganz zufrieden.]
  • Tod eines BlütenblattbewohnersDatum16.05.1970 11:15
    Thema von Brotnic2um im Forum Märchen, Fabeln, Sci-F...
    St. Michael und der starke Samurai,

    pflügten mit Flut und Axt mein Feld um, bis keiner meiner Erdäpfel es mehr wagte, sein knollenhaftes Haupt zu heben.

    Schon lange vorher vertrieben sie den natürlichen Meister auf eine unfruchtbare Scholle, wo er nur sein trauriges, crumbuckliges Gewächs züchten konnte.

    Hingegen der Wärter der blauen Blume und sein freundlicher Freund ehrbar nicken und im Gleichklang reinen Gewissens wieder neue und unverdorbene Saat säen.

    Worthygiene und Regeln sind unseren Trollspaltern oberstes Ziel. Gewissenhaft spähen sie über Auen. Soll kein Orc sich trauen ins kuschlige Auenland. Selbst das lüttkische Ficken wurde erfolgreich verbannt. Nur echte Tierliebhaber reichen sich hier noch zum Gruß die Hand.

    Schwer ist ihre Aufgabe, ja unlösbar fast, denn der König dieses flachen Lands beschwor die beiden mit großen Worten, stets und sonders das Gesetz zu achten und niemandem außer sich selbst und den anderen Wächtern der Wortgemarkungen, - und wenn dann auch nur mit verhülltem Gesicht während mondbeschienener Nacht - die Namen und Adressen der Bösen zu nennen. Ach, wie in Ketten lag so ihre Macht. Doch groß Michael und mächtiger Samurai folgten dem Gebot und schafften was nicht zu schaffen war.

    Ja, jetzt wächst das Wort von allen Seiten grün. Auch das in den Brunnen gefallene teuflische Kind ist endlich still. Ein fünfzigmaliger Deckel, allein gehoben und gestemmt, vom starken Samurai, versperrt für immer dem Brunnenwicht den Weg ans Tageslicht.


    St. Michael und Samurai, euch schrieb ich gerne lange Briefe und drückte auch mal dort und hier auf jenen Klingelknopf: Kontakt. Ich war nicht wirklich überrascht, dass so eherne Rittersleut wie ihr es seid nicht mit Fröschen reden wollt. Ja, das sehe ich nun auch und halte mich drum an die Worte eures Königs, der mir empfahl, einfach ein anderer zu werden.

    So sei es.
  • VerdichtungDatum16.05.1970 10:49
    Thema von Brotnic2um im Forum Diverse
    Muß es so sein wie es ist?
    Wer bin ich schon, zu denken, dass es anders sein könnte?
    Na, dann ist es so wie es ist.
    Ist das nicht banal?
    Ja, wenn Du es nicht ändern willst, dann schon.
  • Thema von Brotnic2um im Forum Ausgezeichnete Prosa
    Zackes von der Saale


    - Gespräch zweier Herren in einer Gaststätte –

    „Der Dackel war ein Nazi!?“
    „Was?“
    „Das hast Du grad gesagt: Der Dackel war ein Nazi.“
    „Schmarren. So hab’ ich es nicht gesagt. Ich erklär dir das noch mal Stück – Ja, bitte das gleiche noch mal, danke – Stück für Stück. Also:


    Es fing mit diesem Anruf an. Mein Ex, Röhrchen, der bat mich um einen Gefallen. Den hätte er ja noch gut bei mir. Nur weil ich ihn halt, hab sitzen lassen. Tucken. Nicht? Egal: Er sprach; Wenn ich ein bisschen ein schlechtes Gewissen hätte und ich nicht nur so daher gesagt hätte, dass wir Freunde bleiben könnten, dann könnte ich ihm einen riesigen Gefallen tun und alles wär vergessen.


    „Und?“
    „Der ist sonst nicht so.“
    „Wie jetzt?“
    „Na, wie schon? Tuntig!“
    „Ja? Ihr wart mal zusammen?“
    „Können wir weiter machen?“
    „Na gut, wie hast Du reagiert?“
    „Wie ein Mann von Charakter. Ich sagte zu,“
    „Wo? Zu?“
    „Zum Brandenburger Dackeltreffen, quatsch, Entschuldigung, es war nicht Brandenburg, es war...


    Rudow, ja, da sollte ich hin, an seiner Statt. Darauf hatte er keinen Bock gehabt. Der Chefredakteur des Rudower Käseblattanzeiger wollte nämlich einen Bericht über das Treffen des Dackelclubs Zackes e.v. 1969 von ihm. Der Club trifft sich jedes Jahr zum 20.4. und gedenkt nun zum 25’ten male des Schirmherren, falsch : des Schirmdackels. Und darüber sollte mein Ex berichten. Aber dafür hatte er ja mich eingeplant.
    Und als Mann von Ehre? War ich natürlich da. Am 20.4. begleitete ich die Dackel-Standarten-Träger zum Grab des Dackels Zackes.

    Die hatten alle einen waldgrünen Zwirn an und einen braunen Hut auf und guckten sehr ernst. Herausstach aus dieser Gruppe der blasse Dackelpräsident eher nicht. Nicht wirklich, nein. Aber neben ihm, links und rechts, da stand so ein Dicker und rechts ein Bückling. Sie schienen sehr wichtig zu sein. Und dann war da noch der Trompeter. Und der blies und blies und wie hieß der noch? - - wie hieß? – Michael!
    Genau. Der blies so tüchtig ins Rohr, dass es eine Art hatte. Obwohl der Kerl ja grottenhässlich ist. Grottenhässlich. Kahlrasiertes Haupt und engstehende Schweinsäuglein bei denen ich dem Schöpfer klag: Warum hast du zwei vergeben?



    „Äh redest Du jetzt in Metaphern?“
    „Nur ein bisschen. Höre weiter:“


    Mit meinen schnittlauchgleichen Haaren, meinem verwaschenen Überzieher, stand ich inmitten dieser uniformen Reihe und beobachtete und lauschte ihrem Treiben. Sie trugen einen Kranz zum Grab des Dackels Zackes, legten ihn dort ab – und, verzeih mein Gedächtnis macht mich lügen – aber es war der Dicke und nicht der Präsident, der fiel aufs Knie vor dem Gesteck und vor dem Grab. Scheiße, ich hab’s knacken hören, das Knie! Und den Schmerz in seinem Gesicht gesehen. Aber dem toten Dackel zur Ehre hielt er dem arthritischen Schmerz männlich stand. Dann aber trat des Dicken Bückling vor.


    „Bitte? Des Dicken Bückling? Wer ist das denn jetzt?“
    „Habe ich das nicht gesagt? Doch, hab’ ich: Neben dem blassen – ungewöhnlich jungem Dackelpräsidenten – stand zum einen dieser dicke Kerl und zum anderen der Bückling.“
    „Bückling, Bückling? Wie habe ich mir das vorzustellen?“
    „Wenn ich nüchtern wäre, würde ich sagen: Ihn als Goebbels sich vorzustellen wäre bitter. Aber dieser, jener, welcher von dem ich spreche, der ist dem Dicken so devot, hat die Haare streng zurückgetrimmt, achtet stets darauf, dass Beifallsklatscher sich erheben, drum kann ich angetrunken halt kein besseres Bild Dir als den Hinkefuß, den Goebbels geben.“
    „Ach, so einer!“
    „Genau,“
    „Nun, weiter:“


    Der Dackel Propaganda Minister trat nun hervor und sang dem Dackel ein Lied. Ein furchtbar langes Lied. Mir ist: er singt noch heute:


    Ganz Deutschland lag darnieder
    Doch siehe, immer wieder,
    erhob sich dieses Land,
    denn in den Trümmern fand
    man Gutes und Bewährtes.

    In diesem Jahre jährt es
    Zum fünfundzwanz'gem Male,
    dass Zackes von der Saale
    im Bau verklüftet hing
    und von der Fährte ging


    So hub er an, so fuhr er fort. Ich ahnte nicht wie oft ich diesen Text, dieses Geleier hören sollte. Der Dicke war aber so gerührt, dass er sich die Tränen von den Plusterbäckchen rieb. Sehr ergreifend, wie du siehst. Ich hingegen dürstete nach dem inoffiziellen Teil, um mehr von Zackes zu erheischen. Kurz darauf, fand ich mich im Bierzelt der Dackelfreunde an des Dicken Seite wieder. Argwöhnisch beobachtete der mich. Drum fragte ich ohne Arg: Was ist des Zackes Geheimnis? Sprich?

    "Pass mal auf mein Paparazzi, ich bin nicht dein Freund doch ich will dir von unserem Schirmdackel was erzählen:
    Es war in Berlin wohl im Jahre 1945. Jede Nacht, so schien es, gab es Bombennächte, hieß es Schutz zu suchen. Aber nicht jeder fand den Luftschutzkeller, sondern musste sehen wo er bleibt. Nicht selten nun begab es sich, dass manch ein Unglücklicher unter dem Schutt der Bomben lebend begraben wurde.
    Unser Dackel Zackes, es ist verbürgt, hatte aber so ein Näschen, so ein Gespür, dass er so manchen Armen fand, dass sie ihn ausgruben und zum Leben bringen konnten. So ein Dackel war unser Zackes. Doch es war just am 20. April im selben Jahr, so viel konnten wir später dann erfahren, dass Zackes bei seinen treuen Taten einem Haderlumpen ohne Ehre in die Falle ging. Der wilde Kerl tötete, ja schlachtete das Tier.
    Erst im Jahre 1969, fand man den Kadaver dieses Dackels und seine Marke. Drauf stand der Name: Zackes. Das Schicksal dieses treuen Tieres ließ sich schnell ergründen, lebte doch sein einstiger Führer noch. So ehren wir heute am 20. April dieses, ach, so tapfere Tier."

    Der Mann war tief ergriffen von der Story, die er preisgab, doch ich verstand diese Betroffenheit leider nicht. Wohl aber, dass sich wie zufällig sein kleiner Kadett zu uns gesellt hatte und jede Bemerkung des anderen mit einem ernsten Nicken unterstrich. Du weißt, dass diese stest und immer Nicker mir schon immer sehr verdächtig sind. Drum war’s mir recht, dass der Dicke mir ein Gedeck nach dem anderen gab. Und immer wieder erscholls im Chor, das endlose Lied vom Zackes und seinem bitteren Los:


    Der Hundeführer musste
    Erzählen, was er wusste.
    Der Führer war zwar krank,
    doch lebte, Gott sei Dank!
    So konnte er berichten:

    Es waren Teckelspflichten,
    in Trümmern und Ruinen
    dem Vaterland zu dienen.
    So vieles ging verschütt
    Und viele gingen mit.

    Ja, auch ich ging verschütt in diesem Laden und verfluchte meine Freundschaftstat. Typen saßen da um mich herum, die grölten über jeden schlechten Witz. Einmal schien es mir sie lasen sich ihre Satzung vor und feixten sich eins, bei jedem neuen Paragraphen. Bisweilen verstand ich nichts, denn diese Dackel Sprache mein Lieber, die ist sehr speziell und nur zu eigen, wer sich entschlossen hat dem Tier in Treue stets und fest zu dienen.
    Die waren sich daher alle einig in ihrer Sprache, ihrem Geist und Wirken. Vielleicht war Einer da, der etwas abseits saß und selten mitsang. Aber sprechen, tat der auch nix. Der Michael, der schlug ihn gerne auf Rücken oder Kopf und machte seine Scherzchen mit dem Mann, der sich nicht wehren konnte, durfte oder wollte. Egal, ich fand es zwar weder recht noch billig, aber Wurscht.
    Und die gab’s auch. Fette Wurst, dicke Wurst, Leberwurst und Schinkenspeck. Die Humpen war bald ganz schmierig von dem Gefinger und dem permanenten Klatschen. Da waren mir des Dicken Runden, die er laufend uns spendierte, sehr willkommen. Doch nicht enden wollte sie die Ode an den Zackes:


    die Toten zu begraben.
    So ging mit vollem Schmackes
    Alleinejäger Zackes,
    die Baujagd fortzusetzen,
    den grimmen Tod zu hetzen.

    Von dessen Schippe sprangen,
    wen dieser Hund gefangen.
    Doch einer war vergiftet
    Und hat den Hund verklüftet,
    gefangen unter Tage.

    Drum hüte dich und jage
    Nicht jeden Mensch zum Glücke,
    sonst reißt es dich in Stücke.
    Wer immer da geheuchelt,
    hat unsern Ahn gemeuchelt

    Vollkommen fertig und satt an Schnaps, Bier und Wurst bekam ich endlich mein Taxi und fuhr zu meinem Freund.



    „Dann ist der Dackel doch kein Nazidackel? Was redest Du denn nur?“
    „Bin ich fertig, oder was? Fahr ich für eine Nacht nach Berlin? Also, wart es ab.“
    „Ich höre!“


    Schwer verkatert lag ich auf der Couch. Von Hunden respektive Dackeln wollte ich nichts mehr hören. Mir war das alles arg zuwider. Doch mit dem sanftem Qualm, heiß und frisch gebrühten Kaffees, wickelte mein Gastgeber mich ein.
    Er sprach: Sprich, erzähle, was hast du erlebt?
    Im verkaterten Delirium erzählte ich dann. Und wie ich erzählte. Erzählte von dem Helden Hund, sang ihm die Brocken des Lieds was ich immer noch in den Ohren hatte, beschrieb ihm den Dicken, seinen Chefnicker, das wachsame Schweineauge und sein Opfertier und schließlich bat ich ihn, mich doch allein und ruhen zu lassen. Doch der wollte nicht, wollte nur noch das Lied des Zackes hören. Alles was mir einfiel sollte ich ihm vorleiern.


    die Toten zu begraben.
    So ging mit vollem Schmackes
    Alleinejäger Zackes,
    die Baujagd fortzusetzen,
    den grimmen Tod zu hetzen.

    Von dessen Schippe sprangen,
    wen dieser Hund gefangen.
    Doch einer war vergiftet
    Und hat den Hund verklüftet,
    gefangen unter Tage.


    Diese Strophen immer wieder rezitierend, ging er im Zimmer auf und ab. Kein Freund des gebundenen Wortes, ignorierte ich sein Tun und konzentrierte mich wieder auf mein Katerleiden.
    Infolge meines Suffs, schwebte ich zwischen Leben und Tod. Ich verfluchte den Schnaps und meinen Magen. Erst nach etlichen Stunden konnte ich das Bier aus dem Kühlfach vertragen. Auch mein Freund ward bald nicht mehr gesehen. Nach ein paar Telefonaten und einem Heureka verließ er grußlos seine Wohnstatt und ließ mich wieder allein. Zwei Tage kochte ich nichts ahnend in meinem Saft.

    Dann kam er endlich abgerissen und übernächtigt wieder. Was ist mein Bester? Was ist dir widerfahren fragte ich. Er ließ sich in seinen Sessel fallen und blickte mich wohl minutenlang schweigend an. Mit einem Male fing er an:
    „Zackes!, der zackige Zackes, der nette Hund von nebenan, der jeden unter tausend Tonen Schutt erschnüffeln kann, hat eine andere Vergangenheit, als du erahnen kannst.“
    Der tolle Hund? Ich stand senkrecht auf dem Sofa.

    „Der harmlose Zackes“, so klärte er mich weiter auf, „war kein netter Trümmerdackel. Zackes kam 1942 zur Welt und wurde erzogen von einer SS-Schar, die vorrangig damit beschäftigt war, sogenannte Volkszersetzer, Deserteure aufzuspüren. So ein Dackel kam in alles rein und war daher ideal. Da die Moral der Truppe gegen Ende des Krieges nicht die Beste war, hat unser Zackes den Auftrag gehabt den verdufteten Kameraden hinterzuschnüffeln und zu steigen. Der Zackes muß wohl ein Meister seines Fachs gewesen sein, denn Zackes silberne Marke, war nicht Marke, sondern das eiserne Kreuz seines Führers. Sein Führer, dem es eigentlich zugedacht, hat es in treuer Ergebenheit seinem Dackel vermacht. Zackes mein Lieber, war bekannt, weil sein Name sein Ehrenzeichen war.“

    Ich war perplex, ich bat um einen Schnaps. Und gleich noch einen, denn ich stellte mir den Dicken und den Bückling vor, wie sie solches lasen. Ich fasste mir an den Kopf und rief: „Das hast Du nicht geschrieben?“
    „Ich kam ja nicht dazu.“, antwortete er leicht gereizt.
    Nun verstand ich gar nichts mehr. Doch er klärte mich ja gleich wieder auf

    „Ich bin bei meiner Recherche auch mit dem armen Mann zusammengekommen, den sie immer kloppen würden auf ihren Treffen und der spielte mir den Namen des Führers von Zackes zu. Der Rest war dann schnell herausgebracht. Ohne diese Hilfe hätte ich Zackes Geheimnis aber nicht erraten. Das Lied mein lieber war ein feiner Hinweis, denn es holpert doch an einigen Stellen ganz arg und: wer bringt seinen Lebensretter schon um, gell?“
    „ Ja, diese Stelle lag mir auch schon quer im Magen“, pflichtete ich ihm altklug bei und verstand erst später was er meinte und fragte dann noch ohne Arg:
    „Gut mein Bester, jetzt wusstest du alles, schriebst deinen Text und veröffentlichtest ihn im Rudower Volksanzeiger?“

    Getroffen stöhnte er darauf hin auf, wanderte laut fluchend durchs Zimmer, verwünschte seinen Chefredakteur und brüllte immer wieder: „Dieser verfickte Fritten Frieder“.



    „Fritten Frieder? Der Fritz Frieder, genannt Fritten Frieder?“
    „Nun behalt mal dein Bier bei dir. Der Name bekommt dir nicht beim trinken. Mir sagte der Name damals nichts.“
    „Himmel, Fritten Frieder ist der Pommes König von Neuköln. Der macht in Pommes. Hat ein Vermögen mit seinem pappigen Zeug gemacht. Von den quittegelben Stäbchen hab ich schon übel brechen müssen.“
    „Ja, ja das weiß ich doch jetzt auch.“
    „Aber wie kam Frieder in dieses Schmierenstück?“
    „Ganz einfach: Frieder und der Dicke, sind ein und dieselbe Person und Frieder ist...“
    „Na, was?“
    „Der Neffe von Zackes Führer.“
    „Ach du Kacke. Und der Chefredakteur?“
    „Bekommt von Frieder fette Anzeigen a la: Pommes Rot, Weiß, bei Fritten Frieder immer heiß. So ein Scheiß halt. Aber Kohle stimmt. Mein Freund, der dumme Hund, hat dem armen Knilch aus dem Dackelclub eine vorab Version seines Artikels gemailt. Der Dämlack hat nichts besseres zu tun, um dem Michael, dem Schweinebären, brühwarm zu erzählen, dass wohl bald ein anderer Wind wehen würde. Der hat nicht bis drei zählen können, schon war er rausgeflogen aus dem Club. Dann ein Anruf von Fritten Frieder in der Redaktion und der Artikel war Geschichte. Mein armer Freund musste dann noch zu Frieder hin. Entschuldigen. Erniedrigen. Aber den Job hat er wenigstens behalten.“
    „Erinnert mich an Schimmerlos und Heini Haffenloher.“
    „Wen?“
    „Ach, Du kennst ja wirklich nichts.“
    „Das mag ja sein, aber gemerkt hab ich mir eines:
    Drum hüte dich und jage
    Nicht jeden Mensch zum Glücke,
    sonst reißt es dich in Stücke.“

    Ende.


    Post Scriptum:
    Für Freunde der hohen Reimkultur, hier die Ode an den Zackes in voller Länge. Die ursprünglich von den Blutschergen gesungene Version ist leider verschollen. Vielleicht ist ein Exemplar noch in Frieders Familienbesitz. Wer genau liest, spürt, so mancher Reim ist nachträglich arg entnazifiziert worden:


    Zackes von der Saale

    Ganz Deutschland lag darnieder
    Doch siehe, immer wieder,
    erhob sich dieses Land,
    denn in den Trümmern fand
    man Gutes und Bewährtes.

    In diesem Jahre jährt es
    Zum fünfundzwanz'gem Male,
    dass Zackes von der Saale
    im Bau verklüftet hing
    und von der Fährte ging.

    Als später Trümmerfrauen,
    um Deutschland neu zu bauen,
    die ganzen Steine räumten,
    weil wir von Zukunft träumten,
    hat man das Tier entdeckt.

    Der Schutt war blutbefleckt,
    der Dachs, der da berochen,
    der hat ihn abgestochen!
    Wie konnte das geschehen?
    Wer hat die Tat gesehen?

    Der Hundeführer musste
    Erzählen, was er wusste.
    Der Führer war zwar krank,
    doch lebte, Gott sei Dank!
    So konnte er berichten:

    Es waren Teckelspflichten,
    in Trümmern und Ruinen
    dem Vaterland zu dienen.
    So vieles ging verschütt
    Und viele gingen mit.

    Nicht alle waren tot,
    jedoch vom Tod bedroht.
    Die galt es, schnell zu finden,
    den Dachshund loszubinden,
    denn der war stets entschlossen.

    Der Hund hat es genossen,
    gestöbert und gesprengt,
    wen das Geschick gelenkt
    in untergründ'ge Bahnen.
    Wir können nur erahnen,

    wie viele er gefunden
    in diesen dunklen Stunden.
    Zum Ende jenes Krieges,
    so heißt es, überstieg es
    die Kraft der Kameraden,

    die Toten zu begraben.
    So ging mit vollem Schmackes
    Alleinejäger Zackes,
    die Baujad fortzusetzen,
    den grimmen Tod zu hetzen.

    Von dessen Schippe sprangen,
    wen dieser Hund gefangen.
    Doch einer war vergiftet
    Und hat den Hund verklüftet,
    gefangen unter Tage.

    Drum hüte dich und jage
    Nicht jeden Mensch zum Glücke,
    sonst reißt es dich in Stücke.
    Wer immer da geheuchelt,
    hat unsern Ahn gemeuchelt.

    Wir sinnen unterdessen
    Auf Ruhm, der angemessen
    Dem Dackel, der besessen
    Solch Tugend. Hier indessen
    bleibt Zackes unvergessen!
  • ScroogedDatum16.05.1970 10:01
    Thema von Brotnic2um im Forum Kommentare, Essays, Gl...
    Scrooged

    Ständig muss ich husten. Ständig spüre ich den Schleim in meinen Bronchien, meiner Lunge. Es kratzt, es juckt, es stört, drum huste ich wie verrückt so schön. Die Anderen schauen mich ganz entsetzt an. Ich solle zum Arzt gehen. Das sei nicht gesund. Ach was. Vielleicht war ich da schon?

    Husten hat so etwas ansteckendes. Vergessen Sie nie, sich die Hand vor den Mund zu halten und sich nach dem Hustenanfall die Hände abzuwischen. Oder husten Sie immer in die linke Hand. Immer links husten dann klappt ’s auch mit dem Händeschütteln. Der Virenbefall lauert überall. Diese Myriaden von winzigen Tröpfchen die ich jedes Mal vulkanös aus mir rausschleudere. Dieser unsichtbare Strom fauler Bakterien, Viren und Würmer. Ich sehe Sie zum Glück nicht und ich hab die ja schon. Der Ekel hält sich somit in Grenzen.

    Ekel hat auch etwas ansteckendes. Aber auch anziehendes. Die Allermeisten bleiben ja doch stehen und gucken. Auch wenn eindringlich abgeraten wird, sich den an der Schreibtischkante abgeschmierten dicken Popel, der sogar eine Spur Blut enthalte, anzusehen. Ein richtig fetter grüner Popel. Wohlmöglich sehr viskos, doch jetzt einigermaßen ausgehärtet. Es besteht nicht die Gefahr dass er sich stalaktitengleich dem Teppich nähert, sich ablöst und auf Wanderschaft geht, vielleicht um in Kinderbetten sein Unwesen zu treiben.

    Juvenile Riechkolben haben des Öfteren grünlichgelben Schleim hängen. Das Kindergesicht lacht dann auch noch frech, dass kleine Blasen aus den Nasenlöchern schlagen. Rotzlöffel halt. Mit der Handkante wird’s schnell abgewischt und in der Hose verrieben. Das ist die sehnsüchtig verlorene Reinheit und Unschuld einer kindlichen Seele? Von Reinheit mag ich da nicht mehr sprechen. Zeihen Sie mich nicht der Pedanterie oder Krümelkackerei, zeihen Sie mich das erst, wenn so ein Racker vor Ihnen mit ausgestreckter Hand steht. Sei es um Ihnen artig Hallo zu sagen, oder einen oder mehr Euro abzufordern.

    Ständig kommen mir in diesen Tagen Leute mit ausgestreckter Hand über den Weg gelaufen. Wenige, die sich nur artig bei mir für die Zusammenarbeit im letzten Jahr bedanken wollen, viel mehr aber, um in dieser besinnlichen Zeit mich an meine Pflichten als mitfühlender und besitzender Mensch zu erinnern. Milde Gaben auch genannt. Und eh ich mich versehe, greife ich in meine Tasche und lass einen Euro für diese Weihnachtsgespenster springen. Altruismus ist das nicht. Es ist ein Euro für mein verdorbenes Seelchen. Ein Vademecum für mich. Was die armen oder reichen Teufel damit machen ist mir Jacke wie Hose. Ich will nur, wenn mich dereinst mein quälender Hustenreiz gänzlich zu Grunde gerichtet hat, und tatsächlich irgendeine supernatürliche Wesenseinheit meint mir auch noch den letzten Frieden rauben zu müssen, statt mich einfach in Ruhe in meinem Erdmöbel verwesen zu lassen, dann will ich die billigen ein Euro Seelenverkäufer an dieser verlogenen Gottheit vorbeiparadieren lassen, wie einstmals die FDJ vor der SED Bezirksleitung, und dieser allmächtigen Supermacht entgegnen: Ich hab denen wenigstens einen Groschen gegeben. Was hast Du Ihnen denn beschert?

    Als ob es ausgemachte Sache sei, dass wir, bzw. ich, Rechtschaffenheit ablegen müssen? Mir will nicht in den Sinn, dass es so und nicht andersherum ist. Denn anders, wäre es mir viel logischer, bzw. fairer. Gibt es den Himmel, das Paradies wirklich, dann fürchte ich, dass die Beschwerdestellen gänzlich überlastet und - wer oder was auch immer Gott spielen mag -, wäre schon von einem Haufen wirklich guter Anwälte verklagt worden. Rührt die ganze Kohlenstoffbrühe an und verlangt auch noch, dass man dankbar dafür ist in diesem Sumpf aus Rotz und Schleim zu sitzen. Der Husten bringt mich noch mal um.
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