Thema von gugol im Forum Kurzgeschichten, Erzäh...
Er sass allein in der Sonne und blickte über den Fluss. Ob ich mich setzen dürfe, fragte ich zögernd. Man weiss bei alten Männern nie so recht, wie gern sie Gesellschaft mögen. “Sicher”, erwiderte der Alte, und ich liess mich neben ihm nieder, weit genug, um ihn nicht zu bedrängen und doch so nah, dass ein Gespräch möglich wäre.
Ob ich ihn gesehen hätte, den Eisvogel, wollte er wissen. Ich hatte, oft schon, im Grunde jedes mal, wenn ich an den Fluss kam. Er sei allein, seltsamerweise immer allein, meinte der Mann weiter. Das sei ungewöhnlich, denn Eisvögel seien nicht gern allein. “Aber was heisst schon gern”, korrigierte er sich selber, “gern und ungern, das sind menschliche Kategorien und Tiere sollte man nicht vermenschlichen.” 'Sollte man nicht', dachte ich bei mir selber, sprach es aber nicht aus, denn eben fiel mir ein, wie ich vor wenigen Minuten über die “streitlustigen” Erpel gelacht hatte, die sich um die Entendamen gekabbelt hatten wie picklige Halbwüchsige auf dem Hof des Regionalgymnasiums um die schönsten Mädchen. Streitlustige Jungs, streitlustige Enten – menschliche Kategorien also. “Können Menschen anders als in menschlichen Kategorien denken?” fragte ich. Nein, wenn ich mich recht erinnere, äusserte ich auch diesen Gedanken nicht laut, jedenfalls erhielt ich keine Antwort. So sassen wir eine Weile schweigend da.
“Sind Sie einsam?” entschlüpfte es mir. Mein Sitznachbar nickte. In seinem Alter sei das ja nicht ungewöhnlich, er sei nicht einsamer als andere alte Menschen. Einsam halt, nicht mehr und nicht weniger. Ob es ihm etwas ausmache, fragte ich weiter. Das Alleinsein habe viele Vorteile. Er könne zum Beispiel ohne Rute hier sitzen, einfach nur sitzen, ohne einen Grund dafür erfinden zu müssen: “Schauen sie die Fischer da drüben”, sein braungefleckter Finger deutete zum anderen Ufer, “keiner hat in der letzten Stunde seine Rute berührt. Sie wollen nur einfach allein dort sitzen. Aber wie sollen sie diesen Wunsch ihren Ehefrauen erklären?” Ich lächelte, denn ich war ja selber eine Ehefrau, und ich sass eben einfach nur da, hätte für solch ein Männerbedürfnis also durchaus Verständnis gehabt. War ich etwa einsam, einsam trotz Ehemann, der für Dinge wie Fischen keine Zeit hatte? Auch der Eisvogel sass nie still und hatte immer “etwas zu tun”. Vielleicht gab es ja doch ein Weibchen, seines, und es sass irgendwo, weil es gern allein sein "wollte"? Wieder Denken in menschlichen Kategorien...
“Es war nett, Sie getroffen zu haben”, sagte der Mann in die Stille meiner Gedanken hinein. Im selben Moment hörten wir einen scharfen, hohen Pfiff und zwei Eisvögel schossen direkt vor uns pfeilschnell knapp über die Wasseroberfläche.
Grundlage dieser Gedichteserie "Die Konferenz" bilden fragmentarische, poetische Notizen von Werner Baumgarten. Ich durfte diese ver- und umarbeiten. Wir haben beide einschlägige Tagungserfahrungen - es ist also eine Art Gemeinschaftswerk und doch nicht. Jedenfalls: Danke Werner für die Ideen und scharfen Detailbeobachtungen!
Paris am Konferenztag eins: Programm mit Inhalt gibt’s noch keins. Man trifft sich zwischen halb und zwo erst zum Begrüßungs-Apéro,
um später mal am Infotisch das Namensschild und all die frisch gedruckten Tagungsunterlagen zu fassen. Und für alle Fragen
gibt’s noch das “Help-You-A-Z”. Die Gachets find ich auch ganz nett: Ein Headset, ein Erfrischungstuch, ein Kugelschreiber und ein Buch.
Eröffnungsrede ist um drei, danach ist dieser Tag vorbei. Ich bin auch müde von der Reise und leg mich hin, bevor ich speise.
Ich will mich schnell und immer schneller drehen, das Blut vom Körper ins Gehirn mir knallen, und nur wenn's wirklich sein muss, bleib ich stehen.
Es kann mir danach noch so elend gehen, ich brauch den Rausch und lass mich angstfrei fallen. Ich will mich schnell und immer schneller drehen,
verlier den Boden unter meinen Zehen. Das ist so mega-geil, ich sag’s euch allen! Und nur wenn's wirklich sein muss, bleib ich stehen.
Berauscht kann ich Gefahren nicht mehr sehen, beginn in alle Dinge rein zu prallen. Ich wollt mich schnell und immer schneller drehen.
Erschrocken sollt ich wohl um Hilfe flehen und schwindeltrunken mich an etwas krallen, doch nur wenn's wirklich sein muss, bleib ich stehen.
Ich kann den Drang geniessen und verstehen, bin zwar dem Taumelglücksgefühl verfallen –denn will mich schnell und immer schneller drehen –, jedoch wenn's wirklich sein muss, kann ich stehen.
Links vom Eingang steht die Bühne, kahl gefegt wie eine Glatze. Vis à vis, auf der Tribüne, liegt ein Handy unterm Platze, wo die Schnebels gestern sassen.
Kurz nach sieben regt sich Leben: Erst ne Kippe, zwei Glas Wein, schminken und aufs Klo mal eben, um danach bereit zu sein, die Besucher zu bespassen.
Gegen neune streben eilig eben jene in den Saal. Pünktlichkeit ist ihnen heilig, kommen nicht zum ersten Mal, wissen alle um die Regeln.
Endlich lüftet sich der Vorhang und das Mimenspiel beginnt: Einer schlurft bekifft zum Ausgang, während schon das Blut gerinnt unter seinen Fingernägeln.
Auf der Bühne hinter Kisten eine Leiche - leichenblass, gleich daneben die Statisten, bleich wie nach dem Aderlass. Schaudern zieht sich durch die Ränge.
Ja, man lässt sich gern belügen, zahlt auch gerne gutes Geld für das Fantasievergnügen, jenseits der realen Welt, fern der schnöden Alltagszwänge.
Weiter geht es Akt für Akt, nah dem Höhepunkte schon - die Akteure splitternackt - klingelt Schnebels Telefon.
Thema von gugol im Forum Philosophisches und Gr...
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xxxxxxxxxxxxxxxixxxxxIch lebe in den Tag hineinxxxxxxxxIch mache immer alles mit System xxxxxxxxxxxxxxohne Sorgen und Verpflichtungenxxxxxxxxvom frühen Morgen bis zum Abend spät xxxxxxxxxxxxvon einem Vergnügen zum anderenxxxxxxxxmein Leben wurde dadurch sehr bequem xxxxxxxxxxxxxxxxxxdarf, will und bekomme allesxxxxxxxxweil niemals etwas aus dem Takt gerät
xxxxxxxDoch nichts mehr versetzt mir einen KickxxxxxxxxDie Disziplin jedoch macht mich beklommen xxixxxxxxxxxxxxxxxxxxxxund alles wurde so ödexxxxxxxxund alle meine Schritte wurden klein xxxxxxxxxxxxWie soll ich mir die Zeit vertreiben?xxxxxxxxwie soll ich so nur jemals weiter kommen?
xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxDas kann’s ja wohl nicht schon gewesen sein xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxMir hängt das alles hier zum Hals raus xxxxxxxxxAch könnte ich an einem Ort verweilenxxxxxxxxAch müsst’ ich nicht an einem Ort verweilen xxxxxund müsste nicht mehr ständig weiter eilenxxxxxxxxund könnte endlich einmal vorwärts eilen xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxIch probiere das jetzt aus
xixxxxxxxxxSo lebt es sich nun also mit StrukturxxxxxxxxSo lebt es sich also ohne Struktur xxxxxxMein Spielraum ist auf einmal derart kleinxxxxxxxxIch kann tun und lassen, was ich will xxxxxxxDenn alles geht exakt nach Plan und UhrxxxxxxxxAber festhalten kann ich mich nirgendwo xVerdammt, das kann es wirklich auch nicht seinxxxxxxxxund verliere den Boden unter den Füssen
xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxIch brauche offensichtlich diese beiden Seiten: xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxDank Ordnung gibt’s nen Ort, wo ich zu Hause bin xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxund etwas Chaos hält mich springlebendig jung
xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxIch muss für’s Gleichgewicht Extreme überwinden xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxStrukturen weise mit dem Freiheitsdrang verbinden xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxund endlich die für mich gesunde Mitte finden
“Es gibt für mich nur dich, oh liebste Henriette!” Sie, hingerissen, schenkt ihm eine Muschelkette. Doch geht's im Bett zur Sache, öffnet kurz vorm Schuss sich jedes Mal der blöde Klickverschluss.
Am nächsten Tag mit einer andern Henriette verliert er diese Kette wohl in deren Bette. Zurück bei seiner Henriette ‘number one’, wirft die ihm vor: "Du bist ja ein Don Juan!"
In ihrer Aufgebrachtheit klebt ihm Henriette erst eine links, dann eine rechts, und beides fette. Und ihm wird klar: Von seinen Alibis zieht keins so ohne Kette von der Nummer eins.
Wir haben hier dies etwas andre Kind, es ist das Grösste von den sieben Jungen. Warum auch wächst es so verdammt geschwind? Da ist uns wohl ein Meisterstreich gelungen.
Es ist das Grösste von den sieben Jungen und frisst den andern ständig alles weg. Da ist uns doch kein Meisterstreich gelungen. Wir hoffen schon, er bringt uns nicht ums Eck!
Er frisst uns allen ständig alles weg. Wir finden ja, er sieht gar anders aus und fürchten echt, er bringt uns noch ums Eck; wird langsam Zeit, er kommt bald aus dem Haus.
Wir sehen ja, er sieht nun anders aus. Zum Kuckuck mit dem überfetten Flegel; wird wirklich Zeit, er kommt jetzt aus dem Haus! Wir machen uns des Nachbars Trick zur Regel.
Hey Kuckuck, nimm den überfetten Flegel, nur deine wachsen so verdammt geschwind! Wir machen uns mal deinen Trick zur Regel und geben dir dies etwas andre Kind.
Sobald sich an den Buchen und den Eichen die bunten Blätter unaufhaltsam lichten, erkennen wir darin ein klares Zeichen.
Der Winter kommt und wird so rasch nicht weichen. Was Grünes sieht man nur noch an den Fichten, jedoch nicht an den Buchen und den Eichen.
Und wenn die Bäume erst Gerippen gleichen, die ihre Knochenfinger auf uns richten, erkennen wir darin ein klares Zeichen:
Der Tod greift jedem einmal in die Speichen. Er gönnt uns unsre Lebenskraft mitnichten, es geht uns wie den Buchen und den Eichen.
Wir werden selbst zu kalten Winterleichen und müssen auf das warme Licht verzichten. Erkennen wir auch dann ein klares Zeichen?
Ja, eines Tages werden alle bleichen Geschöpfe wieder Frühlingssonne sichten. Hat’s Knospen an den Buchen und den Eichen, erkennen wir darin ein klares Zeichen.
Es wohnte einst in der Bretagne die Königstochter Selestine. Sie war die Schönste dort im Land, nur leider einsam, wie so viele und wusste nichts von Selestino, dem edlen Prinz aus Pergamo.
Man kannte nicht mal Pergamo am Königshof in der Bretagne, geschweige denn den Selestino. Doch der vernahm von Selestine – es schien, als liebten sie gar viele – auf einem Ritt durchs Frankenland.
Ein jeder sprach von ihr im Land, sodass der Prinz aus Pergamo sich rüstete. Es dauert viele, ach viele Wochen zur Bretagne aufs Schloss der schönen Selestine; das wusste auch der Selestino.
“Auf wiedersehn!” rief Selestino und ritt hinaus ins weite Land, vor seinem Auge Selestine und hinter sich schon Pergamo. “Ist das denn endlich die Bretagne?” befragte der schon Müde viele.
Ach nein, es folgten noch sehr viele und harte Meilen. Selestino verfluchte langsam die Bretagne, dies ferne, unbekannte Land. Er sehnte sich nach Pergamo und weniger nach Selestine.
“Was wäre denn, wenn Selestine – sie hat ja der Verehrer viele – mir gar nicht folgt nach Pergamo?” das dacht’ verzweifelt Selestino und hasste vollends dieses Land, die vielgepriesene Bretagne.
Nach Pergamo ritt Selestino, ins Heimatland statt zur Bretagne! Auch dort gibt’s viele "Selestine"...
Ein kleiner Teddy liegt im Strassengraben: Achtlos hingeschmissen? Vom Regen mitgerissen? Was mag es damit auf sich haben? Ein Ohr halbiert und eine Tatze amputiert.
Er wird von einem Müllmann aufgelesen, herzlos mitgerissen, als Abfall weggeschmissen. Das ist es also jetzt gewesen: Sein Plüsch verdreckt und er mit Unrat zugedeckt,
bis Hunde ihn heraus- und weiterziehen. Wieder weggeschmissen, vom Adler hochgerissen zum Horst - hier gibt es kein Entfliehen: Der arme Bär, ach wenn er doch ein Vogel wär.
Im tiefsten Winter stürzt er aus dem Nest; der Wind hat’s hochgerissen und ihn aufs Eis geschmissen. Dort bleibt er liegen bis Silvester: Weil kaum noch Fell, gefriert der kleine Kerl ganz schnell.
Neujahr - da scheint wer sanft nach ihm zu greifen. Nichts mehr wird geschmissen, und nichts mehr wird zerrissen. Man will ihm nur den Schnee abstreifen: Es kommt schon gut. Der Bär schöpft neuen Lebensmut.
Der Finder nimmt das Bündel mit nach Hause, näht, wo was zerrissen, hat andres hingeschmissen und gönnt sich auch nicht eine Pause: Das Ohr geflickt und eine Tatze angestrickt.
Thema von gugol im Forum Düsteres und Trübsinniges
Mein Kinderteller wurde niemals leer, die Mutter und der Vater gaben ihr wohl Bestes und das Allerletzte her für mich, ich war ihr Lebenselixier. Doch irgendwann, da engte mich das ein, mein Elternhaus erschien mir plötzlich klein, ich sehnte mich nach einem grossen Saal. Am Ende blieb mir keine andre Wahl: Es kribbelte vom Kopf bis zu den Zehen, das spürte ich zum wiederholten Mal, und eines Tages war es Zeit zu gehen.
Ich mochte meine neue Freiheit sehr, genoss in vollem Mass das Jetzt und Hier. So ging das sieben Jahre ungefähr, dann wuchs ein neues Leben ran in mir. Der Kleine war mein heller Sonnenschein. Die Jahre flogen! Kann das möglich sein? Es waren bald schon achtzehn an der Zahl, ein junger Mann, sein Körper hart wie Stahl. Als Mutter konnte ich das gut verstehen, es ist naturgegeben und banal: Für alle Kinder kommt die Zeit zu gehen.
Das Glück beschenkte mich danach noch mehr; du wolltest mich und ich vertraute dir, wir lachten viel, verbrachten unbeschwer- te Stunden – du und ich, perfektes Wir. Doch unvermutet traf das Schlimmste ein, man sah von Weitem deine grosse Pein: Der Kopf war aufgedunsen und ganz kahl, die Wangen leichenblass, die Lippen schmal. Da halfen auch nicht Beten oder Flehen, das Leben war für dich die reinste Qual, und eines Tages war es Zeit zu gehen.
Seit jenem Abschied ist mein Alltag schal, mir fehlen Liebe und ein Sonnenstrahl. Gleichwohl, ich sollte es gelassen sehen: Alsdann folgt auch für mich das letzte Mahl, und eines Tages wird es Zeit zu gehen.
Thema von gugol im Forum Düsteres und Trübsinniges
Bis gestern lebte er im offnen Meer, wo er die schönsten Walgesänge sang, die Bucht durchschwommen hatte, kreuz und quer und mit den andern um die Wette sprang. Er kannte selten Kummer und Verzicht, auch echte Feinde hatte er dort nicht. Aus heiterm Himmel traf ihn dieser Pfeil, daran gebunden war ein langes Seil. Das Blut, vermischt mit Wasser, wirkte fahl – am Fleisch verletzt, doch blieb die Seele heil? Das weiss allein der alte Buckelwal.
Zumindest setzte er sich kaum zur Wehr, als ob er nicht um seine Freiheit rang. Die Walfangmänner zogen an dem Speer, der tief in Haut und Fett des Riesen drang und hätten nun die gottverdammte Pflicht, ihn fair zu töten, aber machen schlicht von dem was richtig wär das Gegenteil: Sie bieten ihn auf einem Tiermarkt feil, und Käufer kommen her in grosser Zahl. Doch findet das ein Meeressäuger geil? Das weiss allein der alte Buckelwal.
Ein junger Unternehmer bietet mehr als seine Konkurrenz für diesen Fang. Sein Engagement kommt nicht von ungefähr, das wird die Attraktion vom Zoo Pjöngjang: Ein Wal im Delfinbecken! – ein Gedicht, von dem schon bald die ganze Gegend spricht. Die Zoobesucherzahlen steigen steil und insbesondere die Kinder eil- en schnurstracks rein ins Tierquäljammertal. Wie tragisch alles ist, ahnt keines, weil das weiss allein der alte Buckelwal.
Im Herbst verbreitet sich die Kunde meil- enweit, welch Schicksal ward dem Wal zuteil: 'Er ist befreit von seiner langen Qual.' War’s Selbstmord, oder war’s des Neiders Beil? Das weiss allein der alte Buckelwal.